Beerpong und ein türkiser BH

Ein Mob kreischender Mädchen – Üblich bei einem Konzert der Killerpilze. Nicht so gewöhnlich aber ist der Ort, an dem die drei Jungs performen: Vor der Balkontür in einer 3-Zimmer-WG.

„Oh-ne-dich, oh-ne-dich, oh-ne-dich“, rufen die jungen Frauen an diesem Abend immer wieder. Sie wollen ihr Lieblingslied der Killerpilze endlich hören. Doch sie stehen nicht in einer großen Halle vor einer großen Bühne, sondern in einem Zimmer in Ismaning. Das Zimmer gehört Alexandra Brunner, Gewinnerin des WG-Konzerts der Junge-Leute-Seite. Sie hat heute die jungen Männer, die sie früher in der Bravo anschmachtete, nur wenige Zentimeter vor sich stehen. 

Schon am Eingang zeigt sich: Es wird eng. Der Schuhsalat ist kurz davor, die Treppe hinab zu fliegen, der Gang ist gesperrt von einem langen Tisch, der für
Beerpong umfunktioniert wurde, Tisch und Anrichte in der Küche sind voll mit Essen und Getränken, und dann das Zimmer, in dem das Konzert stattfindet. Die 20 Quadratmeter sind für ein WG-Zimmer groß, für ein WG-Konzert der Killerpilze immer noch klein. In die erste Reihe passen gerade einmal vier bis fünf Personen, dahinter tummeln sich viele andere. Selbst hinter dem Türrahmen stehen noch Menschen, die kaum einen Blick auf die Band haben.
 Doch hinter dem Schlagzeuger Fabi Halbig, der für gewöhnlich keinen im Nacken sitzen hat, stehen weitere junge Leute, jedoch vom Raum getrennt durch eine Fensterscheibe. Der Balkon bietet ihnen einen Blick, den man auf keinem Konzert sonst hat – hinter die Kulissen, hinter der Band. Und obwohl die Balkontür geschlossen ist, hört man jede Liedzeile. Im Gegensatz zu anderen privaten Konzerten, die die Killerpilze schon gegeben haben, spielen sie dieses Mal nicht unplugged, haben ihre Lautsprecher aufgestellt und bringen die Menge auch noch dazu zu springen, bis man wirklich Sorgen hat, ob das Regal in der Mitte des Zimmers ganz bleibt.

Alexandra, der Gewinnerin des WG-Konzerts, macht das jedoch nichts aus. Sie springt mit ein paar anderen auf ihrem Bett, weil sonst kein Platz im Zimmer ist, und genießt den Abend. Ebenso wie Klaus, der Vermieter der WG. Er begrüßt einen freudig am Eingang und strahlt mindestens so sehr, wie seine Tochter, die er mitgebracht hat. Da ist es dann auch nicht schlimm, dass das Konzert fast eine halbe Stunde länger geht als geplant, auch Frontsänger Jo Halbig will sich noch nicht vom Publikum lösen: „Wir sind überwältigt. Wir hätten nicht gedacht, dass es so geil wird.“ 

Die verlorene Zeit wird dann auch wieder reingeholt, indem nach Konzertende viele der Zuschauer beim Abbau helfen. Umso schneller steht man den Musikern dann beim Beerpong oder auf dem Balkon beim Rauchen gegenüber, wo man sie auch privat ein wenig kennenlernen kann.
Auch für die Killerpilze ist das aufgrund ihres Jubiläumsjahres ein besonderes Konzert. Auf 15 Jahre Bandgeschichte können sie zurückblicken – viele der Zuschauer steckten damals noch in den Kinderschuhen. Passend zu den kreischenden Mädchen und, ja tatsächlich, dem fliegenden türkisen BH, spielt die Band den Song „Immer noch jung“. Die meisten Zuschauer kennen die Killerpilze von früher, holen hier die Party nach, die sie mit 14 noch nicht feiern durften und sind ein gutes Beispiel dafür, dass die Killerpilze alles andere sind als eine längst ausrangierte Boyband. Die Stimmung ebbt nicht ab. Zwischenzeitlich wird sogar ein Wiesnhit von der Band gesungen, danach wird „Ein Prosit“ angestimmt und der große Freundeskreis zeigt: Ismaning kann mehr als man ihm zutraut. 

Noch dröhnt es in den Ohren, das Publikum ist berauscht. Und am Ende kommt es endlich. Das Lied, das viele der Anwesenden beim ersten Liebeskummer gehört haben: „Ich kann auch ohne dich“. Mit Feuerzeugen in der Luft. „Schöner wird’s nicht mehr“, sagt Leadsänger Jo.

Text & Foto: Sandra Will

Studentenbude statt Fernsehbühne

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Musik, Chili und Weißbier-Bowle: Xavier Darcy spielt auf Einladung der Junge-Leute-Seite ein WG-Konzert in Milbertshofen. Am Schluss steht er in einem Kreis aus tanzenden Leuten

Auf dem Boden steht ein kleines Pedal, es ist an einem einzelnen Kabel angeschlossen. Es ist ein Stimmgerät und alles, was Xavier Darcy an Equipment dabei hat an diesem Abend in einer WG in Milbertshofen im Münchner Norden. Mehr braucht er auch nicht, denn mit seiner rauchigen Stimme und den Gitarrenklängen spielt er sich schnell ins Herz aller Anwesenden. Schlussakkord, in einem hohen Bund gegriffen und aus dem Publikum kommt Anerkennung. „Der letzte war geil“, lobt einer der Zuhörer.

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Um 19 Uhr geht es los, alle Gäste haben sich vorbildlich pünktlich in der WG von Anna Achhammer, 20, und Katharina Edlbauer, 20, eingefunden. Schon im Hausflur hängt eine Karikatur, mit der die Nachbarn auf das WG-Konzert, das die Junge-Leute-Seite der SZ vermittelt hat, aufmerksam gemacht werden. Die WG selbst: voller Postkarten mit Sprüchen, im Durchschnitt schlauere, als man sie in anderen Wohnungen oft findet. An den Wänden Zeichnungen, im Zimmer eine Fotoserie von Erwin Wurm. Nudelskulpturen. Daneben eine Gitarre und ein Klavier. Im Flur hängt eine Dartscheibe und es wird fleißig gespielt, allerdings ist die Automatik kaputt und niemand zählt mit. Aber hier nimmt man so etwas nicht so genau, wie beim veganen Chili, das mit einem Klecks Joghurt verfeinert wird.

Auch Xavier Darcy nimmt es mit der Uhrzeit nicht so genau, um 19 Uhr ist von ihm noch nichts zu sehen. Letztendlich taucht er eine halbe Stunde zu spät auf. Macht ja nichts, Hauptsache er ist jetzt da. Gitarrenkoffer auf dem Rücken, kein Equipment – aber es gibt ja nicht mal eine Bühne. Das Konzert findet im Zimmer von Anna statt. Das Bett wurde extra ins Wohnzimmer gestellt und ein Stuhl in der Ecke ist für den Musiker vorgesehen. Ein Stuhl? Für Darcy? Man wird sehen. Darcy legt los mit seinem bekanntesten Song, „Cape Of No Hope“, am Anfang A cappella. Das Publikum sitzt größtenteils auf dem Boden, aber Darcy hat gar nicht daran gedacht, seinen Stuhl für mehr als seine Jacke zu benutzen. Schnell wird klar, warum: Wer die exzentrischen Moves des Sängers kennt, erwartet eine Performance im Stehen. Fast ein bisschen eng ist es für Darcy, der in jüngster Zeit an immer größere Bühnen gewöhnt ist und im Februar sein Debüt-Album veröffentlicht. Bei der TV-Show „Inas Nacht“ war er zu sehen, auch bei „Mein Song – deine Chance“ mit Rea Garvey. Und zu Anfang wissen wohl weder er, noch das Publikum, wie sie in dieser ungewohnten Atmosphäre miteinander umgehen sollen.

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Das Eis bricht irgendwo zwischen dem ersten Glas Wein und dem Moment, in dem alle tanzend durch den Raum hüpfen. Auch eine Nachbarin aus dem Haus ist da, sie hat die Ankündigung im Flur gesehen und einfach mal vorbei geschaut. Der syrische „Bruder“ von Anna, der bei ihren Eltern wohnt, der jüngste unter den Anwesenden, hat sich herausgeputzt mit Hemd. Mitten im Erzählen wechselt Darcy von Deutsch zu Englisch, seiner Muttersprache. „Nach dem ersten Glas Wein schrumpft mein deutscher Wortschatz“, gibt er zu. Und Carmen, die Spanierin, ruft: „Das kenne ich!“ Man versteht sich eben. Nach ein bisschen Alkohol noch viel besser, und Sprachen sind völlig nebensächlich.

Nachdem man ein bisschen warm geworden ist, stehen endlich alle auf zum Tanzen. Da spielt Darcy eigentlich schon den letzten geplanten Song. Aber das kann jetzt keiner akzeptieren, eine kurze Raucherpause wird genehmigt und danach geht es weiter, bitte schön! Das muss man Xavier nicht zweimal sagen, und am Schluss steht er in einem Kreis aus tanzenden Leuten, nur mit einer Gitarre und seiner Stimme. Irgendwann ist das Konzert vorbei, aber der Abend noch lange nicht. Mit Wein und Bier und etwas, das sich Weißbier-Bowle nennt, lässt es sich gut bis spät über die Münchner Musikszene diskutieren. Dart-Pfeile fliegen weiter, Carmen und Anna verabreden sich zum Spieleabend und zum Schluss geht es für viele weiter in die Glockenbachwerkstatt – Darcy ist da natürlich auch dabei.  

Text: Marina Sprenger

Fotos: Anna Achhammer

Session im 18.Stock

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Auf Einladung der Junge-Leute-Seite spielen Matthew Austin & Matilda ein WG-Konzert in der Studentenstadt, bei dem nicht nur der Ausblick begeistert.

Stille. Am Ende des Abends dauert sie einige Augenblicke länger als sonst bei Konzerten. Als wollte das Publikum die letzten sanften Töne der vergangenen Stunde noch ein bisschen länger festhalten, bevor sie sich endgültig verflüchtigen und der Auftritt vorbei ist. Der Stimme von Mat Austin, 27, dem Cello von Matilda, 18, noch ein bisschen länger zuhören. Und dann brandet Applaus auf.

Noch früh am Abend herrscht Betriebsamkeit im 18. Stock der Studentenstadt München. Boxen und Verstärker werden aufgebaut, Couch-Elemente im Gang
verteilt, die Lampen abgeklebt. Hier wohnt Maximilian Mumme, 22. Er hat bei der Verlosung der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung ein Konzert von Mat Austin und Matilda gewonnen. Max spielt selbst in einer Band und kennt sich mit der notwendigen Technik aus. Er will, „dass an dem Abend alles perfekt funktioniert“.

Es ist durchaus ein ungewöhnliches WG-Konzert, schließlich wohnen in dieser „WG“ 32 Leute. Doch das typische Gefühl lässt sich trotzdem beobachten, etwa als zwei Bewohner für das ganze Stockwerk Abendessen zubereiten – wozu natürlich auch die Band eingeladen wird. Entsprechend angetan sind die beiden Musiker dann auch von der Location und der Atmosphäre, fasziniert betrachten sie den Siebzigerjahre-Charme des Betonbaus, in dem zahllose Studentengenerationen Bilder und Illustrationen auf den Wänden hinterlassen haben. Auch der Ausblick begeistert Musiker wie Gäste.

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Mat und Matilda musizieren erst seit etwas mehr als einem Jahr gemeinsam, er spielt die Gitarre und singt, sie begleitet ihn mit Cello oder Bass. Zusammengefunden haben sie eher durch Zufall, bei einem Bandwettbewerb ergab es sich, dass sie zusammen antraten – und sie gewannen prompt. Seitdem spielen sie gemeinsam einen ruhigen, aufs Wesentliche beschränkten Folk, was in Verbindung mit dem Auftreten der beiden sympathisch aus der Zeit gefallen wirkt.

Der 18. Stock hat sich mittlerweile gut gefüllt, die Sitzplätze auf den Couches sind vergeben, auch die umfunktionierten Biertische sind bis auf den letzten Platz besetzt. Wirklich nervös wirken die beiden Musiker nicht, aber: „Ich bin gespannt, wie unsere Musik hier ankommt und wie sie zur Atmosphäre passt“, sagt Matilda. Und auch das Publikum ist gespannt, schon beim Soundcheck sind die 50 anwesenden Leute mucksmäuschenstill, das erste Mal Gelächter, als Gastgeber Max dann informiert: „Leute, das ist nur der Soundcheck, ihr könnt weiterreden.“

Doch auch Mat weiß, wie er die Leute bei Laune hält. Beim ersten Song sagt er lässig ins Mikrofon und grinst: „Das Lied ist über die amerikanische Politik.“ In dem Stil gehen seine Ansagen weiter. Mit trockenem englischem Humor trifft er den Nerv des Publikums, das sich an seinen etwas vernuschelt-knurrigen Einwürfen sichtlich erfreut. Durch Zufall sitzt er direkt unter einem Wandtattoo der Tower Bridge, Mat ist aus Manchester und erst seit wenigen Jahren in München. Deshalb entschuldigt er sich auch wiederholt für sein Deutsch oder erheitert die anwesenden Studenten mit ein paar Takten aus „Hurra, die Welt geht unter“ der Berliner Rap-Combo K.I.Z.

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Aber das Konzert wie auch die Band leben von der Chemie zwischen Mat und Matilda. Wenn sie spielen, sehen sie sich meistens gegenseitig an und geben dem Publikum das Gefühl, Teil eines sehr intimen Auftritts zu sein. Sie vermitteln dabei einen ähnlichen Eindruck wie Alison Mosshart und Jamie Hince von The Kills, bei denen es auch immer so aussieht, als würden sie nur für sich spielen. „Wir spielen nicht nur für das Publikum, sondern mit dem Publikum“, beschreibt Matilda die Stimmung, die sie erzeugen wollen.

An diesem Abend, den Max als „eines der größten Events, die je bei uns stattgefunden haben“ angekündigt hat, funktioniert das sehr gut. Das Publikum hängt Mat an den Lippen, folgt jeder Bewegung von Matildas Bogen. Viele, die das noch sehr junge Duo nicht kannten, sind begeistert, sagen Dinge wie: „Die sind ja richtig gut“ oder gar: „Das war das perfekte Konzert für mich.“ Und auch, dass die Aufzüge immer wieder aufgehen und verdutzte Leute ihren Kopf in den Gang stecken, schadet der Stimmung nicht. Auf dem Stockwerk sind die einzigen Trockner im Haus, aber es geht dann doch keiner mit seiner nassen Wäsche quer durch das Konzert.

So ungewöhnlich die Location ist, so trägt sie doch viel zum Charme des Abends bei. Deshalb schlägt Mat auch vor, man sollte das regelmäßig machen, etwa einen YouTube-Kanal mit „18th floor sessions“ starten. Und dann ist sie auch schon da, die Stille am Ende. Der Applaus. Und die lautstarken Rufe nach einer Zugabe. Aber Mat grinst nur, er kennt sein studentisches Publikum: „Ich freue mich auf den nächsten Auftritt. Jetzt spielt Bierpong!”

Von: Philipp Kreiter

Fotos: Moritz Ossenberg-Engels

Weitere Einblicke gibt es in der Bildergalerie auf der Facebook-Seite der Jungen Leute.

Nebel im Hochsommer

Es ist heiß. Sehr heiß. Die Leute schwitzen – aber jeder bleibt sitzen und hört fasziniert zu: „Blue Haze“ spielen ein WG-Konzert in Untergiesing

Von Jacqueline Lang

Nebel, viel Nebel. Und rote Grablichter auf dem hellen Laminat. Im Mittelpunkt zwei Gestalten ganz in Schwarz. Sie im kleinen Schwarzen, dazu Ankle Boots mit hohem Absatz; er in Hemd und Jeans, dazu spitz zulaufende Lederstiefel. Diese zwei Gestalten sind Rosa Kammermeier und Julian Riegl, beide Mitte 20. Zusammen sind sie die Münchner Band Blue Haze. Passend zum Ambiente klingt ihre Musik etwas düster, Elektro-Pop mit Rock-Einflüssen, beeinflusst von Regisseur und Musiker David Lynch, wie sie sagen.

Zu Gast ist die Band am Samstagabend in einer WG in Untergiesing. Gastgeberin und Gewinnerin des WG-Konzerts der Junge-Leute-Seite ist Sina Lena Schneller, 26. Eigentlich wohnt die quirlige Blondine hier mit drei Jungs – die sind aber alle ausgeflogen. Macht nichts, denn die selbstgebaute Holz-Kühltruhe haben sie da gelassen. Die steht auf der schmalen Empore, an die der Balkon angrenzt. Man muss also nicht jedes Mal in die Küche laufen, wenn man ein Bier, einen Cider oder eine Matcha-Limonade möchte. Anders Blue Haze: Die Band hat seit dem frühen Nachmittag ihr ganzes Equipment und mehrere Kästen Augustiner die schmale Wendeltreppe mühsam hoch geschleppt. Inklusive Nebelmaschine. Das Bier hat Sinas Chef gesponsert. Der Inhaber des Rennsalons ist an diesem Abend sogar selbst zu Gast. Und auch sonst hat man das Gefühl, dass die halbe Belegschaft versammelt ist, um Blue Haze live zu erleben. Kaum verwunderlich, denn schließlich ist auch Rosa keine Unbekannte in der Bar im Glockenbachviertel. Regelmäßig legt sie dort mit Freundin Sina unter dem Namen „The Underground Girls“ auf. Entsprechend durchgemischt ist aber auch das Publikum an diesem Abend: Anfang 20 trifft auf Mitte 40, barfuß trifft auf Stöckelschuh, Rocker-Kluft trifft auf Blümchenkleid.

Obwohl Rosa und Julian ihre gemeinsamen Live-Auftritte bislang an einer Hand abzählen können, wirken sie sehr routiniert. Mit anderen Bandprojekten wie Kafkas Orient Bazaar und Lilit and the Men in Grey konnten sie in dieser Hinsicht auch schon reichlich Erfahrung sammeln. Dennoch lächelt Rosa bei jedem Applaus ein klein wenig verlegen.

Getanzt werden kann nicht, weil der Platz dafür schlicht nicht ausreicht, doch das gesamte Publikum wippt entweder mit Kopf oder Fuß zu den mal schnelleren, mal langsameren Beats. „Das war gerade ,No Love‘, aber hier ist sehr viel Love“, sagt Julian nach dem zweiten Song und lächelt kurz. Dann blickt er wieder konzentriert auf die zahlreichen Schalter zu seinen Füßen. Den Kopf wirft er dabei immer wild nach oben und nach unten, während er in die Saiten greift. Seine schwarze Haarmähne wirbelt durch die Luft und steht Rosas damit in nichts nach – im Gegenteil.

Nach dem vierten Song sind trotz des schwachen Kerzenlichts schon deutliche Schweißtropfen auf Rosas und Julians Stirn zu erkennen, auch das Publikum schwitzt im Stehen. „Ich hoffe, ihr habt vorher nicht geduscht“, sagt Julian, lacht und nimmt einen großen Schluck von seinem Wasser. Trotz der stehenden Luft im Raum drückt Rosa immer wieder auf den Schalter der Nebelmaschine. Was tut man nicht alles für eine gute Show?

Der letzte Song, jemand drückt versehentlich auf den Lichtschalter und alle lachen leise. Nachdem der letzte Ton verklungen ist, sind trotzdem alle froh, dass endlich wieder Türen und Fenster geöffnet werden dürfen. Das sei hier ja wie in der Sauna, sagt jemand auf dem Weg an die frische Luft. Gastgeberin Sina macht eine Ansage: „Jetzt kann man wieder atmen. Und rauchen. Bier ist im Kühlschrank.“ 

Für Bandmitglied Julian gibt erst einmal eine Runde Belohnungsküsschen von der Freundin. Und einen Dürum-Döner. Der hat schon die ganze Zeit neben dem Laptop auf ihn gewartet. Die restlichen Personen versuchen, sich einen Platz auf dem kleinen Balkon zu ergattern. So auch Rosa. Erschöpft und zufrieden nimmt sie einen Zug von ihrer Zigarette. Dann lehnt sie sich zurück und atmet langsam ein. Luft, endlich Luft. 

Fotos: Käthe deKoe

Neuland: Nick Yume bei Rihanna

Von 30 Zuschauern in einem Wohnzimmer, zu einer Arena mit 28 000 Menschen: Vor drei Wochen spielte Nick Yume für die SZ ein exklusives WG-Konzert in Obergiesing, am Sonntag steht er beim Rihanna-Konzert in Bukarest als Support auf der Bühne. 

Für den 21-jährigen Musiker, der einen Großteil seines Lebens in England verbracht hat und erst seit ein paar Monaten offiziell als Solokünstler gehandelt wird, beginnt gerade etwas, das man durchaus als Blitzstart in der Musikbranche bezeichnen kann. Seine tiefe, markante Stimme zusammen mit den elektronischen Beats und innovativen Melodien hat vor einigen Tagen nun auch eine internationale Booking-Agentur überzeugt. „Das war ganz schön verrückt“, sagt Nicks Manager Gregor Amadeus Böhm. „Wir hatten damit gerechnet, im nächsten halben Jahr etwas von ihnen zu hören, schließlich geht es ja auch für uns erst los.“ Aber schon ein paar Stunden nach dem ersten Meeting mit der Agentur sei eine Mail mit der Anfrage angekommen, ob er Lust hätte, bei Rihanna dabei zu sein. Auch Nick selbst konnte es erst nicht fassen. „Wir dachten, das sei ein Witz. Die zweite Reaktion war dann aber: Oh Mann, jetzt müssen wir echt anfangen zu proben“, sagt er und lacht dabei.  

Von: Theresa Parstofer

Allein, allein auf der Erfolgsspur

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Nick Yume, 20, veröffentlicht am Freitag seine erste Single bei Sony. Sein Ziel: die großen Bühnen. Bis dahin spielt er auch intime Shows – so auch auf Einladung der SZ-Junge-Leute-Seite in einer WG in Obergiesing.

 
Wenn es nach dieser Party am Samstagabend geht, ist die Trendfarbe des Sommers definitiv Pink. Pinke Luftballons und Girlanden hängen an den Wänden, die Tisch-Deko leuchtet in Neonfarben. Die Gastgeberinnen Laura Holder, 23, und Sara Laalou, 24, haben sich für diesen Abend extra die Haare pink gefärbt. Auf dem Regal thront Juan, eine flamingoförmige Lampe, das Maskottchen der Party in Obergiesing. Das Motto des WG-Konzerts mit Nick Yume, das die Junge-Leute-Seite der SZ verlost hat: Flamingo, natürlich! Um die aufwendige Deko hat sich Laura gekümmert, die Design-Management studiert. Die ersten Gäste trudeln ein und schlürfen selbstgemachte Fruchtbowle durch Flamingo-Strohhalme. Einige haben das Motto sehr erst genommen und ihre knalligsten Outfits hervorgekramt: pinke Blumenkränze, Flamingo-Prints und Glitzer im Gesicht. 

Nichts für Nick Yume, 20. Der Münchner Sänger trägt graues Hemd und schwarze Jeans. Die Hosenbeine hochgekrempelt und barfuß sitzt er auf dem Balkon (der auch rosa dekoriert ist). Ohne Bowle. „Ich trinke nie. Na ja, während des Auftritts vielleicht mal ein Wasser. Aber bitte nicht mit Sprudel, da bekomme ich sofort Schluckauf.“ Star-Allüren sehen anders aus.
 Vor zwei Wochen hat Nick Yume eine digitale EP mit drei Tracks veröffentlicht. Drei ganz unterschiedliche Songs, wie Nick sagt. Den verträumten Song „Lullaby“ habe er etwa schon mit 16 Jahren geschrieben. In „Prison“ beschreibt er, wie er für die Uni lernen muss, aber lieber Musik mache: „My mind is prisoned, but I don’t mind“, heißt es im Song, ein Gefangener, den das aber wenig interessiert. Kommenden Freitag erscheint bei der Plattenfirma Sony seine erste Single – ein Remake eines Songs von Polarkreis 18.

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Wie kam es zu dem Deal mit dem Major-Label? Nick hatte an einem Songwriter-Camp in Köln teilgenommen. Dort sollten alte Titel neuaufgelegt werden. „Sony fand das ganz gut“, sagt Nick. Tausende Klicks bei Youtube, Mini-Platte, Sony-Platte, Nicks Karriere entwickelt sich rasant weiter, eine Erfolgsgeschichte.
 

Die Badewanne in der WG in Obergiesing ist bis oben hin voll mit Bier, die kleine Küchenecke ist zur Bar umfunktioniert worden. Auf dem Tisch steht ein Buffet aus liebevoll zubereiteten Häppchen: Tomatenspieße, Käsestulle, Muffins mit rosa Zuckerguss. Um 22 Uhr geht es los. Nick hat seinen Bandkollegen Keno Peer mit dabei. Er kümmert sich um die Backing-Tracks. „Wir dachten, eine ganze Band mit Schlagzeug und Co macht hier vielleicht wenig Sinn“, sagt Nick. Etwa 25 Gäste haben sich im Wohnzimmer versammelt, auf der riesigen Sofaecke ist schon lange kein Platz mehr. Die Hälfte der Gäste hat es sich auf dem Boden bequem gemacht. Mittendrin – eine Box und Nick am Mikro. Draußen schüttet es mittlerweile wie aus Eimern. Drinnen ist es gemütlich. Als Nicks warme Stimme und ein pulsierender Bass den Raum erfüllt, will sowieso keiner mehr woanders sein.
 

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Bislang ist nur die erste Single bei Sony sicher. Und wenn die Anfrage für ein Plattenvertrag kommt? „Nein wird man nicht sagen“, antwortet Nick. „Man“ steht für Nick, aber das würde er nie direkt sagen. Wer mit Nick spricht, erlebt einen überlegten und ehrlichen Musiker, der mit 20 Jahren überraschend aufgeräumt wirkt. Er sucht nach den richtigen Worten, überlegt, bevor er spricht, antwortet strukturiert. Ehrgeiz spürt man nicht – dieses Gefühl kenne er nur beim Song-Schreiben. „Wenn ich einen Sound im Kopf habe, treibe ich gern weg“, sagt Yume, er sei dann „verträumt“. Daher auch sein Künstlername. Nick Yume heißt bürgerlich Nick Gnan. „Yume“ ist das japanische Wort für Traum.
 

Seine Ziele? „Losspielen und Spaß haben“, sagt der 20-Jährige. Am Freitagabend musste er zunächst passen. Sein Auftritt beim Stadt-Land-Rock-Festival wurde wegen des Amoklaufs im OEZ abgesagt.
„Wenn die Chance kommt, gebe ich 100 Prozent“, sagt Nick. Und wenn nicht? Im September beginnt er seine Master-Studium in London: „In London als Vorband für einen großen Musiker zu spielen, wäre ein persönlicher Erfolg“, sagt Nick. Und dann? „Weiter“, sagt er.

Vor den großen Bühnen spielt er aber erst einmal die kleinen Shows. Im Wohnzimmer einer WG. „Ich liebe dieses Homie-Feeling“, sagt Nick. „Ich habe schon mit fast jedem kurz gequatscht und habe das Gefühl, alle schon zu kennen.“ Mitten im Konzert klingelt es. Die Nachbarn. Ob es jetzt Ärgern gibt? „Unser Vermieter hat gesagt: Wir dürfen so laut sein, wie wir wollen,“ sagt Laura. Zwei erstaunte Gesichter kucken in die Wohnzimmertür. „Wir dachten, die Musik kommt aus dem Fernseher.“ Mit großen Augen bemerken sie den Live-Act mitten im Zimmer. Natürlich bleiben sie und feiern mit. Nach einer halben Stunde Konzert ist die Stimmung bestens, spätestens nach Nicks Coverversion von Polarkreis 18s „Allein, Allein“ summen alle mit. „Es war der Hammer“, sagt Sara erfreut. Weder sie noch ihre Mitbewohnerin kannten den britisch-stämmigen Sänger vor dem Konzert. „Kannst du nicht einfach noch mal von vorne anfangen?“, rufen die Mädels aus dem Publikum. Drei Zugaben sind drin, dem Flamingo Juan gewidmet, der über Nicks Kopf wacht.
Für Nick ist das Konzert hier eh noch nicht zu Ende: Die Hälfte der Partygäste wollen an diesem Montag zum Free & Easy-Festival kommen, wo er mit Band auftritt.

Von: Verena Lederer, David-Pierce Brill

Fotos: Laura Holder

The Living: Märchenkonzert im WG-Garten

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The Living spielte Donnerstagabend noch im Strom – Samstag dann in kleiner gemütlicher Atmosphäre bei unserem WG-Konzert. Viel Grün, viel Märchen, mehr gute Musik. 

Von Marina Sprenger

Langsam wird es dunkel im Wohnzimmer und die Leute tanzen barfuß im Gras. Statt einem Lagerfeuer dreht sich alles um die fünf Musiker, die mit Lichterketten-behängten Instrumenten unter den Bäumen stehen und gerade zum zweiten Mal eine Zugabe spielen. „Das muss einfach sein, wenn das Publikum so laut klatscht und jubelt, kein Problem, wir spielen nochmal “Valerie”. Weil da alle mitsingen können, und tanzen sowieso.“

Dann beendet der Sänger, Karlo Rödinger, 23, und seine Band The Living eines der schönsten Konzerte dieses Sommers. In München sind sie fester Bestandteil der jungen Musikszene, erst Donnerstag haben sie im Strom gespielt, aber das war ein Konzert, das sich um Lichtjahre von diesem Abend unterscheidet. Konzertsaal versus Lagerfeuer-Romantik. Zwei Geschwisterpaare plus eins, das ist die Band, zwei Kathis, Katrin Röding, 20, und Katharina Würzberg, 20, am Schlagzeug und dem Keyboard, Simon Holzinger, 20, an der Gitarre, Johannes Würzberg, 22, der Bruder der einen Kathi, am Bass und Karlo, der Bruder der anderen Kathi, der Sänger mit der Stimme wie Joe Cocker.

Wenn man die WG in der Reutterstraße betritt, trifft man sicher schon am Eingang ein paar Leute, denen man nicht ins Haus, sondern in den Garten folgen kann. Dort wird schon seit dem Nachmittag gegrillt und The Living sind seit Stunden am Aufbauen, sie haben ein neues In-Ear-Monitoring und müssen sich erst mal mit der Technik vertraut machen.

Am Keyboard und am Schlagzeug hängen schon jetzt Lichterketten, aber um acht Uhr abends ist es noch zu hell dafür. Auch in den Bäumen hängen Lichterketten, auf dem Gras stehen Gartenstühle und alte Sofas mit abgewetzten Brokatbezügen. Die Stimmung hat etwas Märchenhaftes, mit diesen ungewöhnlichen Sitzgelegenheiten und dem kleinen Garten, der von Bäumen umschlossen wird.

In der WG wohnen acht Leute, in den Räumen sieht es nach bewohntem Chaos aus, in vielen Zimmern stehen Instrumente, die Wände sind mit Unterwasserwelten bemalt, weil Jenny so gut malen kann. Die wohnt hier mit ihrer Schwester Vicki, mit Jonas, Lisa, Jon, Andi, Mona und Vinzent. Ein Haus mitten im Grünen, wie eine kleine Hippie-Kommune, und so sind die Bewohner auch, ungeschminkt, echt, ausgelassen – barfuß tanzen unter dem Sternenhimmel ist hier sicher keine Seltenheit. “Das kommt mir so surreal vor hier, wie im Paradies”, sagt Jonas über sein WG-Haus mit Garten, “und dass wir hier so ein Konzert haben ist natürlich das Sahnehäubchen auf dem I-Tüpfelchen”

Während die WG-Bewohner noch über die Einrichtung ihres Outdoor-Wohnzimmers reden, ist die Band langsam bereit. Die Sofas umrahmen eine kleine Tanzfläche direkt vor der Band, im Hintergrund läuft noch die Grillparty, vom Dach aus ruft man nach den Nachbarn, die sollen doch auch rüber kommen. Dann legen The Living los. “Wenn ihr nicht sitzen wollt, könnt ihr gerne aufstehen und tanzen und Spaß haben”, sagt Karlo in seinem typisch bluesig angehauchten Tonfall. Diese Aufforderung hätte es eigentlich schon nicht mehr gebraucht. Anfangs wird zwar noch etwas verhalten getanzt, aber schnell sind die Sofas leer und die Tanzfläche ist voll.

Auch mitsingen sollen alle, die Band macht es vor, alle machen mit, “bis die Nachbarn kommen”, ruft Karlo, und dann kommen tatsächlich die Nachbarn – Nehmen sich einen Stuhl, stellen sich dazu, setzen sich mit ihren Kindern aufs Dach und feiern mit. “Die sind schon einiges gewohnt”, erklärt jemand aus der WG. Trotzdem (oder deswegen?) ist das Verhältnis zu den Nachbarn super, einer will sogar die Kontaktdaten der Band und sie selbst für ein Fest buchen, besser könnte es also gar nicht laufen. Auf den Lautsprechern steht eine Seifenblasenmaschine, die alle paar Minuten nachgefüllt werden muss, Karlo tanzt mit Tambourin auf der Tanzfläche mit, auch auf dem Dach wird getanzt und das Bier aus den Kästen in der Badewanne schmeckt immer noch, obwohl es schon nicht mehr richtig kühl ist.

Es wird dunkler und die Lichterketten werden angemacht, und alle, die vorher noch eher in gemütlicher Grillparty-Stimmung waren, sind mittlerweile auch aufgestanden. Es wird wilder getanzt, je mehr sich Gläser und Flaschen leeren, und egal, wen man fragt, es ist niemand anwesend, der nicht absolut begeistert ist. Es ist ja auch etwas besonderes, so eine Band im WG-Garten, das gibt es nicht jede Woche, obwohl die Musiker so selbstverständlich mit ihren Instrumenten den Platz zwischen den Bäumen füllen, als wäre hier jedes Wochenende ein Konzert geboten. Die Songs von The Living sind aber auch einfach wie geschaffen für genau diese Atmosphäre, nicht zu aufgeregt, aber schnell und laut genug, dass man tanzen kann, eine Mischung aus Blues und Indie, ein bisschen Folk, ein bisschen Rock und damit die perfekte Mischung, um nicht nur die WG-Bewohner und ihre Freunde, sondern auch die Nachbarn jedes Alters glücklich und den Abend unvergesslich zu machen.

Nach dem letzten Song „Head over Heels“ ist noch niemand bereit, aufzuhören, alle stehen noch vorne und die Band hat keine andere Chance, als noch einen Song zu spielen, den hatten wir zwar schon, aber ist ja egal, es ist einfach zu schön, um jetzt schon aufzuhören. Also wird der Song wiederholt, und auch danach lässt niemand das Argument gelten, dass die Band keine weiteren Songs hat – dann spielen sie eben nochmal „Valerie“. Als das Konzert dann vorbei ist, sind alle wie entrückt, Gelächter liegt in der Luft, die Sofas werden langsam wieder in Beschlag genommen und die Band ist sichtlich zufrieden. Mit dieser Begeisterung und Stimmung hätten sie nicht gerechnet, „Es war einfach total geil“, sagt Johannes Würzberg und grinst, der Rest der Band stimmt lachend zu. Dann picken sie eine verirrte Nacktschnecke vom Schlagzeug, Katharina Würzberg kühlt mit einem Bier einen Mückenstich und die WG-Kasse wird geplündert – natürlich müssen die Jungs und Mädels ein Album von The Living kaufen.

Foto: Anne Gerstenberg

Bis die Bierdosen wackeln

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Große Auftritte bei Festivals, Release-Show in der Muffathalle, Musik für Fernsehwerbung: Die Kytes sind gerade auf der Erfolgsspur – für die Junge-Leute-Seite haben sie ein WG-Konzert in Obergiesing gespielt.

Von Theresa Parstorfer

Normalerweise würde Michael Spieler, Sänger der Münchner Band Kytes, das Publikum vor dem letzten Song ihres Konzerts auffordern, „die Bude einzureißen“. Das wäre an diesem Freitagabend jedoch tatsächlich sehr schade, denn die Wohnung am Tegernseer Platz, in der das erste Wohnzimmerkonzert der Kytes stattfindet, könnte gut auf dem Cover einer Einrichtungszeitschrift für junges Wohnen abgebildet sein. Altbau, verwinkelt, aber lichtdurchflutet, hohe Decken, helles Parkett, weiße Möbel – schlicht, stilvoll und unglaublich hip.

Verena Lederer, 23, und Marie-Therese Listmeier, 22, wohnen hier und Verena hat vor mehr als einem Monat das erste von der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung verloste WG-Konzert gewonnen. „Das ist natürlich total cool, ich hatte noch nie eine ganze Band in meinem Schlafzimmer“, sagt sie.

Die Musik der Kytes kannte sie davor schon – die vier jungen Männer aus München noch nicht. Aber gegen 22.30 Uhr, als die Band aufgehört hat zu spielen und langsam wieder Sauerstoff durch die geöffneten Fenster strömen kann, die während des Konzerts geschlossen bleiben mussten, hat sich Michael bereits eine Jogginghose der Gastgeberin ausgeliehen und unterhält sich lachend mit ihren Freunden.

Verenas Freunde bevölkern die beiden Schlafzimmer, den Gang und die Küche, in der liebevoll zubereitete Häppchen und die Getränke bereitstehen. Das Bier steht in der Dusche, sodass jeder, der kein Bier will, erst einmal den Toilettenbesuch ankündigen sollte, bevor er die Tür hinter sich schließt. Vier Paletten Dosenbier hat ein Harlachinger Brauerei-Start-up an diesem Abend vorbeigebracht. Die Gründer des jungen Unternehmens versorgen die Kytes auf ihren Touren mit dem in der „Garagen-Brauerei“ hergestellten Hellen.

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„Das ist natürlich total cool, ich hatte noch nie eine ganze Band in meinem Schlafzimmer“, sagt Verena Lederer (Foto oben).  Für das WG-Konzert der Kytes hat eine Münchner Start-up-Brauerei Getränke zur Verfügung gestellt – so was nennt man dann vermutlich Bierdusche. Fotos: Yunus Hutterer

Zwei Stunden zuvor: Das ohrenbetäubende Schrillen der Klingel will gar nicht mehr verstummen. Das ist keine Metapher. „Ach, das passiert manchmal“, sagt Verena und läuft barfuß in ihrer kurzen Lederhose und dem leicht bauchfreien, geblümten Oberteil die Treppe hinunter, um die Klingel zu reparieren, die sich manchmal verklemmt, wenn man zu fest draufdrückt.

Die Gäste werden immer zahlreicher und man drückt sich die Türklinke in die Hand. Auch das keine Phrase: Auf einmal hält Michael, der Sänger der Kytes, den inneren Griff der Tür in der Hand. Das passiert wohl manchmal. Schallendes Gelächter.

Timothy Lush, der Schlagzeuger, baut gerade die letzten Drums auf. Auf der größten steht „Not Blind Freddy“. Blind Freddy – so hießen die Kytes bis vor ein paar Jahren. Aber dann: neuer Name, neues Image, neuer Sound. Doch nach wie vor ganz viel Vertrauen von vier langjährigen Freunden in den gemeinsamen Wunsch, wirklich gute und erfolgreiche Musik zu machen.

Dass sich dieser Schritt gelohnt hat, zeigt sich an dem sich anbahnenden Erfolg der jungen Band: die Single „On the run“ von den Kytes läuft derzeit im Fernsehen als Hintergrund der Fernsehkampagne eines Mobilfunkanbieters. Im März standen die vier Musiker in Austin, Texas, beim SXSW 2016 auf der Bühne, dem größten Music-Showcase-Festival der Welt. Für den Rest des Jahres sind weitere 36 Konzerte geplant, unter anderem beim Melt! Festival, dem MsDockville und bei ihrem CD-Release-Konzert im Oktober in der Muffathalle.

Dass sich Michael Spieler, Timothy Lush, Kerim Öke und Thomas Sedlacek trotzdem nicht zu schade sind, ohne große Planung ein Wohnzimmerkonzert zu spielen, zeigt, was der wirkliche Charme der Band ist: Ohne Starallüren, unverfälscht und witzig machen sie ihr Ding – und das ist Gute-Laune-Musik irgendwo zwischen Indie-Pop und Rock mit überraschend vielfältigen, elektronischen Einflüssen, sodass sich die Musik nicht unbedingt in eine bestimmte Schublade stecken lässt.

An diesem Abend klingt das Ganze natürlich noch einmal ein bisschen anders. Nicht nur, weil da nur ein kleiner Verstärker in Verenas Schlafzimmer steht und dieser der Nachbarschaft zuliebe nicht auf volle Leistung aufgedreht wird und der elektronische Teil der Musik fehlt, sondern auch, weil die Band nicht ganz vollständig auftreten kann. Kerim, der zweite Gitarrist, ist krank geworden, und „ein Dude von vier Dudes ist dann doch ganz schön viel“, sagt Sänger Michael bei der Eröffnung des Konzerts. „Aber er wäre auch viel lieber hier“, beeilt er sich zu sagen. Wieder wird gelacht.

Zumindest für das Raumproblem ist die kleinere Besetzung beinahe ein Glücksfall, denn das Schlagzeug steht eng an den Schreibtisch gedrängt, für wildes Tanzen ist kaum Platz. Einen „Mini-Pogo“ bekommt das begeisterte Publikum dann aber doch hin, unterstützt von Michael selbst, sodass die Bierdosen neben den feinsäuberlich geordneten Lippenstiften in einem Karton auf dem weißen Schminktischchen bedenklich wackeln.

Bis zum Ende des Gigs fallen aber nur ein Bild von der Wand auf den Schreibtisch und ein paar von Verenas Ketten und Ohrringen auf den Boden. Zumindest nach der knappen Stunde Kytes-Genuss steht die „Bude“ noch – und ein Foto von dem Zimmer, dem Band-Equipment und den leeren Bierdosen würde sich gut machen auf dem Cover von „junges wildes Wohnen“.