Clara Bütow, 27, wandert gerade mit dem Team von Impact Revolution über die Alpen. Die Aktivisten tragen Kostüme aus Müll, um auf die Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen
Vier bunte Punkte inmitten der Natur. Blickt man diesen Sonntag aus ein wenig Entfernung auf den Wanderweg entlang der Isar, sieht man diese Flecken – grün, blau, pink, leuchtende Farben, alles andere als unauffällig. Ist das Kunst oder Müll? Sowohl das eine als auch das andere. Es sind Müllberge auf Rucksäcken. Getragen werden diese Rucksäcke mit Kunstüberwurf von Mitgliedern des Vereins Impact Revolution. Ganz aus Müll geformt, zeigen sich auf den Überwürfen Formen von Korallen, Tieren, Pilzen. Außerdem: allerlei Bezüge zur Natur.
Nur ist an diesen Kunstwerken überhaupt nichts natürlich. Alle so liebevoll geformten Körper bestehen ausschließlich aus Plastik-Müll. Das Ziel der Gruppe ist Venedig, gestartet sind sie vor einer Woche am Münchner Marienplatz. In vierzig Tagen gehen 25 Mitglieder des Vereins für ihr Projekt Plastic Mountains 557 Kilometer. „Wie bei einem Staffellauf“, sagt Clara Bütow, 27, Co-Gründerin des Vereins. Die Mitglieder laufen nicht die ganze Strecke, sondern teilen sie sich über verschiedene Etappen auf und geben dann jeweils die Kostüme an die nächste Gruppe weiter. Manche laufen eine Etappe, manche zwei, jeder so viel wie er kann und zeitlich schafft. Denn die jungen Menschen studieren und arbeiten, Impact Revolution machen sie nur nebenbei.
Aber wie kommt es zu einer solchen Idee? Alles habe bei einem Bier mit Mitgründerin Clara Stoll angefangen, sagt Clara Bütow. Beide sind begeisterte Bergmenschen und fantasierten darüber, einfach mal von München aus über die Alpen zu wandern. Ihnen sei aber schnell klar geworden, dass sie das Ganze nicht einfach zum Spaß machen wollen. Sie wollten es mit einer Mission verbinden. Ein Verein war ja schon vorhanden, und so brachten sie die Idee in die Runde. „Wir sind relativ schnell auf dieses Thema gekommen, dass wir die Berge von Plastik verglichen haben mit den Bergen, die es zu überwinden gilt. Und daraus ist die Geschichte geworden, dass wir Plastik-Berge versetzen müssen“, sagt Clara Bütow.
Für sie ist die Thematik des Projektes nichts Neues, zur Zeit studiert sie in Oxford Environmental Change and Management. Außerdem hat sie bereits 2018, bevor der Verein überhaupt gegründet wurde, Kunstaktivismus betrieben und diesen mit einer sportlichen Herausforderung kombiniert. Sie radelte eine Strecke von 1500 Kilometer und hielt in 15 Städten, im Schlepptau einen aus Müll gebastelten Flamingo. „Ich möchte das Thema unter die Leute bringen“, sagt Clara Bütow. Auf der Reise habe sie gesehen, wie sehr eine solche Aktion die Menschen beeindrucke. Wie neugierig sie waren. Es helfe einfach, ins Gespräch zu kommen und dann wollen sie meistens mehr wissen. „Durch Kunst gerade an Orten, wo man sie nicht erwartet, wo sie einen überrascht, schafft das Neugierde.“ Dann habe man einen Fuß in der Tür und könne das Thema hinter dieser Kunst einfacher ansprechen. „Ich versuche eine Version zu schaffen, wie es anders aussehen könnte und wie unser Leben funktionieren könnte, ohne dass wir uns einschränken müssen“, sagt sie. Es mache einen großen Unterschied, die Leute mit positiven, statt negativen Bildern einzufangen.
Kleine Rückschläge gebe es natürlich trotz allem und dann und wann stiegen ihr die Sorgen über den Kopf. Aber „der einzige Weg, damit umzugehen, ist, etwas zu machen“, sagt Clara Bütow. Egal, wie man es mache, es sei nur wichtig, dass man etwas tue.
Auch sie hat sich ohne jegliche Vorkenntnisse in eine Werkstatt gestellt und angefangen, den Flamingo zu basteln. „Es ist sehr in unserem Verein verankert, dass wir lieber versuchen, Dinge nicht perfekt zu machen, dafür aber mit den Ressourcen, die wir haben, als dass wir sie Jahre lang vor uns herschieben“, sagt sie.
Während der Corona-Pandemie ist der Verein deutlich gewachsen, denn das digitale Zusammenarbeiten wurde für jeden normaler, gerade im ehrenamtlichen Bereich. „Es ist echt toll, dass es sich so hält und so trägt – auf vielen Händen verteilt über viele Länder“, sagt Clara Bütow. „Wir haben das Glück, dass wir viele verschiedene Leute aus verschiedenen Bereichen im Team haben, die helfen dann den jeweils anderen mit ihrer Expertise“.
Eine dieser Expertinnen ist Johanna Alscheken, 26, Schneidermeisterin und Kostümbildnerin. Sie hat Modedesign studiert und ist zum neuen Projekt gestoßen, um dem kreativen Team beiseite zu stehen und selbst eines der vier Kostüme zu kreieren. Es sei alles andere als leicht, mit Plastik-Müll zu arbeiten, und die Sachen, die man braucht, zu sammeln, sagt sie. „Wir sind nicht raus und haben gesammelt, weil das ziemlich spezifisch war, welche Sorten an Müll wir brauchten. Das Kostüm soll ja am Ende nicht in der Natur zerfallen und den Müll wieder verteilen“, sagt Johanna Alscheken. Sie habe allen Leuten, die bei ihr in der Nähe wohnen, Bescheid gesagt, was sie brauche. „Ich habe denen gesagt: Kein Joghurtbecher wird mehr zum Plastikmüll gebracht, ich will jede Hohes-C Flasche und alles an Luftpolsterfolie, was ihr habt.“
Dann habe ein Berg an Müll vor ihren Füßen in ihrem Atelier gelegen und sie habe zuerst gar keine Ahnung gehabt, wie sie sich davon inspirieren lassen sollte. „Damit zu arbeiten, ist halt auch noch mal schwieriger, weil es eigentlich der Feind ist“, sagt Johanna Alscheken. Das Ziel wäre gewesen, einfach etwas Organisches darzustellen. „Am Ende geht es darum, dass die Leute sich das ankucken und verstehen, dass es etwas Erdliches abbildet. Ob da dann Blumen oder Korallen gesehen werden, das ist egal. Plastik ist scheiße, egal, ob im Wasser oder der Wiese“, sagt Johanna Alscheken.
„Da ist dieser Raum gefüllt mit Müll, der unsere Erde zerstört. Das ist schon sehr emotional.“
Als sie anfing, mit dem Müll zu arbeiten, und es dann so intensiv wurde, dass sie auch nachts noch dasaß, wurde ihr bewusst, wie wichtig ihr das Ganze sei. „Ich habe gemerkt, dass es Mehr ist.“ Sie sei ins Nachdenken gekommen. Wenn man sehe, wie viel Plastikmüll allein der eigene Freundeskreis produziere, bekomme man schon Angst, sagt sie. „Da ist dieser Raum gefüllt mit Müll, der unsere Erde zerstört. Das ist schon sehr emotional“, sagt Johanna Alscheken.
Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Das Kostüm von Johanna Alscheken ist unterwegs nach Venedig und macht ganz schön was her, trotz oder eben wegen des ganzen Mülls. Anfangs ist die Gruppe noch groß, denn am ersten Tag laufen viele Unterstützer mit. Bis nach Wolfratshausen geht es am ersten Tag. Unterwegs haben sie einige Events geplant. Auch am Ende in Venedig. Vielleicht versetzten sie keine Berge, aber übersehen lassen sie sich bestimmt nicht.
Von Sabrina Ahm