Band der Woche: Vertigo

Rock`n`Roll steht längst nicht mehr für Skandale und Drogen, die Band Vertigo weiß das und verwandelt den “Highway to hell” kurzerhand zur “Highroad to Happiness”. Gute Rockmusik machen sie trotzdem.

Was ist nur mit dem Rock ’n’ Roll passiert? Was ist aus diesem einst aus der Widerspenstigkeit heraus geborenen Genre der Rock-Musik geworden? Ein Genre, in dem provoziert wurde. Ein Genre, vor dem Eltern und Großeltern einstimmig warnten und die Musiker wie die Fans sich abseits der Gesellschaft positionierten, fröhlich grölend, mitten auf dem „Highway to hell“. Und jetzt sind die Rock ’n’ Roller die schönsten Schwiegersöhne von allen, auf die sich alle einigen können – bei Bandwettbewerben genauso wie bei buddhistischen Selbstfindungskursen.

Exemplarisch dafür steht die Münchner Band Vertigo (Foto: Laura Fiona Holder), die in diesem Jahr den Sprungbrett-Wettbewerb des Feierwerks gewann, ihr kommendes Album erfolgreich per Crowdfunding finanzierte und einen Song im Gepäck hat, mit dem programmatischen Titel „Highroad to Happiness“. Ja, Vertigo, eine Band, die den Anspruch für sich verficht, authentische Rock-Musik zu machen, sich also damit abgrenzen möchte von all dem Mainstream-Indie und dem Konsens-Elektro, ist gleichzeitig auch Kind ihrer Konsens-Zeit – eine Zeit, in der man eher durch gute Leistung als durch Herumsandeln überzeugt.

Dass die vier Jungs von Vertigo das können, was sie tun, steht außer Frage. Sie können das sogar wirklich gut – sehr tight spielen sie da zum Teil gar nicht unkomplizierte Rhythmen, intonationssicher jault Lead-Sänger und Gitarrist Mario Hain darüber, lässt die Stimme absichtlich ein wenig brüchig klingen. Man macht das einfach so, wenn man heutzutage Rock-Musik spielt. Und damit führen Vertigo das weiter, was die Guns ’n’ Roses in den Neunzigerjahren begannen – sie überführen Rockmusik in den Pop. Doch ohne die Skandale eines Axl Rose, denn Skandale und Drogen sind spätestens seit Amy Winehouse aus der Codestruktur konsensfähiger Rockmusik herausgefallen. Drogen sind uncool, Skandale auch. Heutzutage macht man die Dinge richtig, im dem Sinne, wie es die Erwachsenen definieren. Oder noch richtiger als es die heute im Großelternalter angekommenen Sechziger- und Siebzigerjahre-Rebellen es jemals zu träumen wagten.

Man darf das nicht falsch verstehen, Vertigo machen ihre Sache richtig gut. Sie haben sich vor ungefähr vier Jahren während des Studiums in München kennengelernt. Sie beschäftigen sich in ihrer Kunst mit Themen, „die für uns selbst gerade interessant und wichtig sind und damit wohl auch die Gefühle und Sehnsüchte unserer Generation widerspiegeln“, erklären sie. Das seien Liebesthemen, Zukunftsunsicherheiten und Fernweh – ja, diese Generation sieht ganz andere dunkle Wolken über ihrer Zukunft hängen als es noch vor 40 Jahren der Fall war, als die Jugend lustvoll und voller Agit-Prop-Spaß gegen den Staat aufbegehrte. Mit dem Staat hat man heute weniger Probleme, man weiß nur auch, dass dieser einen im Zweifelsfall nicht retten wird.

Rückzug ins Private lautet in solchen Fällen der Slogan seit dem Biedermeier. Und auch das ist nicht negativ, in der Romantik ist großartige Hausmusik entstanden. Und die Musik von Vertigo ist eben ebenso gut gemacht, detailreich ausgefüllt und ein wenig wie die rock ’n’ rollige Variante von zwei Bands, die vor ein paar Jahren in München diese biedermeierliche Ästhetik dem Indie-Rock aufstülpten: This is the Arrival und Hello Gravity. Die scheiterten letztlich nicht an mangelnder Zuneigung der Fans, aber an der Big-Business-Musik-Industrie, die sie verhökern wollte, was bei der Zartheit beider Bands zum Scheitern verurteilt war.

Deshalb kann man Vertigo nur wünschen, dass sie noch möglichst lange bei sich bleiben, denn diese spezielle Gefühl ihrer Generation treffen nur sie so gut, das kapiert kein Musikmanager mehr richtig, der bereits jenseits der 30 ist.  Rita Argauer

Vertigo

Stil: Neo-Rock
Besetzung: Mario Hain (Gesang, Gitarre), Andre Akansu (Gitarre, Gesang), Sebastian Stöckl (Bass), Wolfgang Winkler (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.vertigo-band.com