Nicola Schwartze, 22, hat ihr Studium abgebrochen, um sich der Musik zu widmen. Es geht ihr nicht um ihren Erfolg – sie möchte im Hintergrund Künstlern bei ihrem Aufstieg in der Branche helfen
Von Viktor Schacherl
Ausgeglichen wirkt Nicola Schwartze in diesem Moment nicht. Sie hetzt durch eine Menschenmenge. Sie bleibt kurz stehen. „Der Merchandising-Stand ist noch nicht perfekt ausgeleuchtet“, sagt sie kurz. Dann eilt sie davon auf der Suche nach einem passenden Scheinwerfer. Immer mehr Menschen warten indes im Vorraum der Münchner Glockenbachwerkstatt auf den Beginn der Release-Party von Amanda Marie. Die Sängerin wird von Nicola, 22, gemanagt. Wenig später ist das Licht angebracht, das Publikum strömt zur Bühne. Der Raum ist gut gefüllt und der Abend für alle ein voller Erfolg.
Dass es zu Abenden wie diesen gekommen ist, war für Nicola ein langer Weg, der seinen Ursprung genau am 24. Februar 2017 hat. Die britische Indie-Pop-Band The XX spielte an diesem Tag im Münchner Zenith. Die Show war ausverkauft, aber für Nicola sollte es ein besonders intimes und wegweisendes Event werden. Sie stand weit vorne in der großen Halle und fühlte sich vom ersten Ton an, als würde die Band nur für sie alleine spielen. Nicola war wie in Trance, befand sich in einer Art Blase und grinste das gesamte Konzert. Es war der Moment, in dem sie etwas erkannte: Sie kann nicht die Einzige sein, bei der Musik so etwas auslöst. Ihr Entschluss: Sie möchte fortan auch für andere solche Momente erschaffen. Nicht als Musikerin. Sondern als Frau im Hintergrund, die Musiker solche Shows ermöglicht, die Künstlern bei ihrem Aufstieg in der Branche hilft. „Ich könnte mir nicht vorstellen, selbst auf einer Bühne zu stehen. Da würde ich sofort rot werden“, sagt sie.
Um ihren Traum verwirklichen zu können, brach sie ihr Studium ab, Gastronomie-Management. Sie wollte den schnellstmöglichen Einstieg in die Szene und landete als Praktikantin bei der Münchner Indie-Plattenfirma Flowerstreet Records. Beim Münchner Musiker und Produzenten Amadeus Böhm machte sie dann die ersten Schritte im Musikgeschäft. Amadeus Böhm kann sich noch gut an Nicola erinnern, an ihren „Riesenehrgeiz und ihre große Musikbegeisterung“, wie es der Musiker nennt. „Ich habe mich immer sehr gut aufgehoben gefühlt, wenn ich Themen an sie abgegeben habe. Deswegen habe ich sie dann auch fest übernommen“, sagt Amadeus Böhm. Während ihrer Zeit bei Flowerstreet war sie vor allem für das Organisieren und Buchen von Veranstaltungen zuständig und konnte sich, wie Amadeus Böhm erzählt, besonders dadurch auszeichnen, wenn es darum ging, Bands unter Vertrag zu nehmen. Bei Flowerstreet Records lernt Nicola auch Karolin Böck, 35, kennen. Sie beschließen, eine eigene Agentur zu gründen: Nika Music.
Agenturen gibt es wie Sand am Meer. Doch Nicola will mit ihrem Projekt das Musikbusiness anders angehen und somit aus der Masse herausstechen. Ihr Konzept richtet sich gegen die weit verbreitete Massenabfertigung. Denn Agenturen und Labels tendieren dazu, viele Bands anzusammeln, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, eine spätere Erfolgsband in ihren Reihen zu haben. Dabei geht der persönliche Charakter in der Beziehung zu den Künstlern verloren, findet zumindest Nicola. Bei ihrer Agentur hat genau diese persönliche Komponente höchste Priorität. Das Menschliche muss passen. Um das zu garantieren, will sie Nika Music erst einmal klein halten.
Auf ihrer Website wirbt sie nur um Bands und Künstler, die „nicht davon ausgehen, dass eine Agentur jede Kleinigkeit für sie übernimmt, sondern auch selber bereit sind, Zeit und Mühen in ihr Projekt zu stecken“. Diese Ansage mag für viele Bands abschreckend wirken – aber genau das möchte Nicola auch: „Das ist mit Absicht so ausgedrückt“, sagt sie. „Irgendwann hast du dann Mails von 200 Bands und weißt nicht wohin damit.“ Der Bandpool wird dadurch automatisch reduziert, in der Hoffnung, ausschließlich relevante Angebote zu erhalten.
Die Herangehensweise der jungen Agentur hat aber auch einen anderen Grund. Amadeus Böhm weiß nur zu gut, dass viele Musiker dazu tendieren, sich zurückzulehnen, sobald sie den nächsten Schritt in ihrer Karriere gemacht haben. „Der Satz ist sicher auch ein bisschen mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern gemeint, aber da steckt natürlich auch ein Stück Wahrheit drinnen“, sagt Amadeus Böhm. Agenturen werben normalerweise mit genau dem Gegenteil. „Ich verstehe den Satz und fast jeder aus der Musikbranche wird ihn verstehen“, sagt Nicolas ehemaliger Mentor.
Letztendlich geht es im Musikgeschäft eigentlich nur darum, dass die Bands weiterkommen. Und wenn sich die Musiker zurücklehnen, kommen sie nicht weiter. Selbst wenn es eine Band zu einem Engagement bei einem Major-Label geschafft hat, ist Zurücklehnen erst recht keine Option.
Mittlerweile studiert Nicola Wirtschaftspsychologie, was ihr auch bei ihrer Arbeit im Musikgeschäft helfen soll. Die Frage des Geldes nimmt sie wegen ihres Studentenstatus aktuell noch etwas lockerer: „Es macht mir einfach so unglaublich viel Spaß, dass ich da eher nicht so das Augenmerk darauf habe, ob wir da jetzt viel verdienen. Ich achte zur Zeit mehr darauf, dass die Künstler das Geld bekommen.“ Was nach dem Studium passiert, kann man nie wissen. Im Idealfall will sie später aber mit ihrer eigenen Agentur ihren Lebensunterhalt verdienen.
Primär geht es Nicola und ihrer Geschäftspartnerin derzeit darum, die bestehenden Kontakte zu pflegen und weiter auszubauen. Mit den Anfängen bei Flowerstreet Records wurde nur der erste Schritt getan. Neben Studium und eigener Agentur arbeitet Nicola derzeit zum Beispiel auch bei der Konzertagentur Bang Bang Concerts, wodurch weiter Optionen entstehen. Wie zum Beispiel Auftritte im Ampere bei der Konzertreihe „Munich Rocks“ in Aussicht stellen zu können. Solche Angebote sind in München immer mehr wert. Beschwerden über die Lautstärke in der Nähe von Bars und Clubs häufen sich und bestätigen damit das eher spießige Image der Landeshauptstadt. Das Nachtleben inklusive der Konzertszene wird dadurch immer mehr eingeschränkt. „Die Locations haben wahnsinnige Probleme mit der Lautstärke und den Anwohnern. Dementsprechend gibt es nicht mehr so viele Möglichkeiten wie früher. München hatte mal so viele Jazz-Clubs und du konntest überall Musik spielen. Inzwischen kämpft jeder um seinen Standort und um die Uhrzeit“, sagt Nicola.
Aber genau das soll als Ansporn dienen. Das Nachtleben in München ist deswegen ja nicht weniger umkämpft als in Berlin oder Hamburg, sondern ist ein noch schwierigerer Markt. Denn auch in München gibt es genug Menschen, die abends ein Bier in einer Bar trinken, im Lieblingsklub tanzen oder eben auf Konzerte gehen wollen. Nicola will mit Nika Music deswegen darum kämpfen, die Nächte in der Stadt weiterhin bunt oder vielleicht sogar noch bunter als bislang zu gestalten.
Doch was ist Nicola Schwartze jetzt genau? Promoterin, Bookerin, Managerin? Von allem ein bisschen, meint sie selbst. Diese Vielseitigkeit soll den Erfolg in der Zukunft bringen. Das vergangene Jahr sieht sie zumindest schon als Erfolg: Die ersten Konzerte wurden veranstaltet und die erste Künstlerin wird betreut. Um das nächste Level zu erreichen, will sie nun auch Geld investieren, unter anderem in eine Homepage.
Auch das ist eine Voraussetzung, um in der Münchner Musikszene ein bisschen mitreden und mitwirken zu können. Alles in der Hoffnung, der Stadt möglichst viele Konzerte zu bieten, die genau diese Emotionen auslösen, die sie damals im Zenith bei The XX erfahren hat.
Foto: Stephan Rumpf