DJs verändern zur Zeit die Weggehkultur in München, indem sie Trash zu ihrer
Marke machen. Sie tragen Künstlernamen wie DJ Geld oder DJ Tankstelle,
geben ihren Abenden bescheuerte Mottos und laden schon mal zu Frittierpartys
Von Wolfgang Westermeier
Die Loretta Bar im Glockenbachviertel: Kirill Saratovskiy, 24, und André Bauch, 29, sind noch in ihr Gespräch vertieft. Es geht um den Club, in dem Kirill vergangene Nacht als DJ einen Auftritt hatte und in dem André demnächst spielen wird. Sie unterhalten sich über die Crowd und über Gagen. Dabei sehen sie aus, wie sie sonst auch aussehen, wenn sie hinter den Plattenspielern stehen. André ist mit einem dunkelblauen Käppi von Ralph Lauren unterwegs, was man so sonst nur bei Cabriofahrern sieht. Die Kopfbedeckung wirkt aber nicht spießig, was auch an seinen rosafarbenen Sneakern liegt. Kirill sitzt in Hoodie und Jogginghose da. Er trägt eine goldumrandete, achteckige Brille, die Seiten seines Schädels sind rasiert, der Rest ist eine Topffrisur.
In einer Stadt, in der um diese Jahreszeit die Hälfte der Einwohner in nahezu identisch aussehenden Winterjacken mit Pelzkragen herumläuft, fallen die beiden auf. Wirklich ernst nehmen sie sich dabei nicht. Kirill und André zählen zu einer Gruppe von DJs, die zur Zeit die Weggehkultur in München verändert, indem sie Trash zu ihrem Markenkern gemacht hat. Sie tragen Künstlernamen wie DJ Geld oder DJ Tankstelle, fallen durch kreative Veranstaltungsankündigungen auf oder laden zu Frittierpartys ein, auf denen natürlich Lebensmittel frittiert werden, vor allem aber dem Trash gehuldigt wird.
Der Auftritt ist dabei immer ein Gesamtkunstwerk: Er beginnt mit dem Künstlernamen und endet mit dem letzten Track, der zum Abschluss einer Nacht gespielt wird. Während es DJs gibt, die monatelang über ein passendes Alias brüten, ist Kirill einfach auf eine Internetseite gegangen, die zufällig DJ-Namen generiert, und hat den erstbesten Vorschlag genommen. Zeitaufwand: zwei Minuten. „Nach diesem Moment ging es rapide bergab mit der Ernsthaftigkeit“, sagt Kirill, der nun seit vier Jahren als DJ Hot in den Clubs unterwegs ist. Das Internet spielte auch bei dieser Entwicklung eine nicht unwesentliche Rolle. „Wir sind einfach Internetkids“, sagt Kirill.
Auch André stimmt dem zu: „Bei uns dreht sich immer alles um die neuesten Memes und Jokes.“ Er ist bei den ausgehfreudigen Bewohnern der Stadt eine kleine Berühmtheit. Als Dancekowski steht er regelmäßig hinter den Plattenspielern, sein Instagram-Account hat knapp 3500 Follower, er feiert sich selbst als den „schlechtesten DJ der Welt“ und lädt zu Partys mit dem Motto: „Ich hab Bock.“
Der weitere Freundeskreis, der hinter vielen beliebten Events in München steckt, hat sich vor allem über soziale Medien kennengelernt. Bevor sich diese neue Szene im Nachtleben manifestierte, tauschten sie Memes aus, machten Witze auf eigene Kosten und posteten absichtlich amateurhaft bearbeitete Bilder im Internet. Als DJ Hot hatte Kirill beispielsweise über ein Jahr lang eine eigene Fanpage auf Facebook, von der er zunächst nichts wusste und zu der er auch selbst keinen Zugang hatte. Seine Freunde bespielten die Seite, fragten in seinem Namen Gästelisteplätze an und antworteten auf jede Frage mit: „Wenn das Budget stimmt.“ Das kam nicht immer gut an, manchmal gab es Anfeindungen von Menschen, die das Ganze ernst nahmen. André und Kirill macht diese Art von Provokation aber sichtlich Spaß. Sie spielen mit Klischees und Erwartungshaltungen und schaffen sich so den Freiraum, ein bisschen mehr das tun zu können, worauf sie Lust haben.
Darin liegt auch die aktuelle Beliebtheit von Veranstaltungen mit absonderlichem Motto, von scheinbar unsinnigen Künstlernamen und Trash-Musik. Ironie ist aber immer auch ein Schutzmechanismus, sie macht immun gegen Kritik. Wer die Musik schlecht, die Outfits dämlich oder den Humor zu derb findet, der hat eben nicht verstanden, dass das alles nicht wirklich ernst gemeint ist. Die DJs und Produzenten, die Teil dieser Entwicklung sind, können auf diese Weise viel freier agieren, auch mal etwas ausprobieren, vor allem aber mit Spaß bei der Sache sein. „Darum geht es doch im Nachtleben“, sagt André. „Als DJ steuert man den Abend. Und ich möchte, dass alle Spaß haben.“ Das funktioniert dann am besten, wenn man nicht das Bild eines genialen Künstlers abgeben muss, sondern mit seinen Freunden auf ungezwungene Weise einfach mal loslegen kann.
Julius Zimmer, 25, sieht das ähnlich. „Die Nächte sollen einen aus dem Alltag rausholen“, sagt er. „Ich möchte mir nachts keine Gedanken über die Tiefgründigkeit meiner Bassline machen.“ Als Veranstalter und DJ ist Julius schon lange im Münchner Nachtleben aktiv, zusammen mit Lorenz Gleißl, ebenfalls 25, legt er seit etwa einem Jahr auf. Das Duo nennt sich „2 Prozent Akku“ – und die Geschichte des Namens ist ähnlich frei von jeglicher Ernsthaftigkeit wie die von DJ Hot. Für eine bevorstehende Veranstaltung mussten sie einen Namen angeben und diskutierten am Telefon die Optionen „Silly Vanilly“ und „Modern Stalking“. Lorenz drängte irgendwann auf eine Entscheidung, weil er nur noch zwei Prozent Akku hatte. „So war der Name geboren“, sagt Julius. „Er steht dafür, dass er für nichts steht. Alles ist erlaubt.“ Deshalb kommt es bei Partys von 2 Prozent Akku auch mal vor, dass House und Disco von Kuschelrock oder einem französischen Chanson unterbrochen werden. „Wir nennen das Disco-Break“, sagt Julius.
Bei aller Ironie wird die Sache an sich, die Musik, sehr ernst genommen. André, der sich auch „Papa of Trash“ nennt, wird bei diesem Thema kurz nachdenklich. „Ich könnte auch den ganzen Abend House- und Discomusik spielen, die vielleicht eine Handvoll Leute kennt“, sagt er. „Aber ich weiß, dass alle mehr Freude haben, wenn ab und zu etwas Unerwartetes, Trashiges kommt. Von meinen Sets, die ein paar Stunden gehen, macht das aber nur einen Bruchteil aus.“
Auch für Julius ist die Musik alles andere als ein Witz. „Es geht ja nicht nur darum, Trash zu spielen“, sagt er. „Wir wollen mit bekannten Songs Aufmerksamkeit erzeugen und die dann dazu nutzen, den Menschen eher unbekannte Musik näherzubringen. Das ist uns wichtig.“ Bevor Kirill zum ersten Mal im bekannten Münchner Hip-Hop-Laden Crux auflegte, übte er vier Monate lang im leeren Club.
Pascal Kaestel, 28, ist ein weiteres Beispiel für einen Münchner DJ, der sich nicht allzu ernst nimmt, an die musikalische Gestaltung eines Abends aber dennoch höchste Ansprüche stellt. Er spielt und produziert unter dem Namen DJ Tankstelle, vor kurzem ist eine Platte mit einem Track von ihm und drei anderen DJs erschienen, die bei den Charts des Branchendienstes deejay.de auf Rang eins landete. Trotzdem geht es ihm vornehmlich um gute Laune. „Ich produziere und lege auf, weil es mir Spaß macht“, sagt Pascal. „Ich habe viele Freunde, die nicht aus München kommen und die tun sich oft schwer, hier Anschluss zu finden.“ Deshalb wünscht er sich weniger durchgestylte Technopartys und mehr Veranstaltungen, bei denen Mut zur Experimentierfreude im Vordergrund steht.
Der neue Münchner Sinn für Ironie im Nachtleben stammt aus ebendieser Erkenntnis: Als DJ ist man sowohl Dienstleister als auch Künstler. Am wichtigsten ist jedoch die persönliche Einstellung, die man transportiert. Im Nachtleben, wo die Leute vor allem deshalb unterwegs sind, weil sie eine gute Zeit haben möchten, kann es nicht schaden, ab und zu den Ernst aus der Sache zu nehmen. Und mit Ralph-Lauren-Käppi und Hawaiihemd „Sandstorm“ von Darude zu spielen.
Titelfoto: Jakob Landsberger