Wenn aus Reibung Kunst wird

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Für die Farbenladen-Ausstellung „10 im Quadrat“ bringt die Junge-Leute-Seite zehn junge Fotografen mit zehn jungen Künstlern zusammen, die regelmäßig auf Bühnen stehen – ein Experiment.

Sie balanciert. Amelie Satzger steht in einer weiten, gelben Hose auf der obersten Sprosse einer Leiter, hält eine Kamera fest. „Du musst auf dem Teppich bleiben“, sagt sie freundlich, aber bestimmt. Unter ihr liegt Kilian Unger, als Musiker bekannt unter dem Namen Liann. Er wird an diesem Tag fotografiert. Oberkörperfrei, in verschiedene bunte Teppiche gehüllt. Viele Anweisungen hat die junge Fotografin ihrem Model vor dem Shooting nicht gegeben. Nur so viel: Er soll seine Augen geschlossen halten und sich in seine normale Schlafpose legen. 

Das klingt einfach. Doch Kilian ist kein Model. Er ist Musiker, steht für gewöhnlich mit seiner Gitarre vor Publikum, hat sich bisher nicht so oft fotografieren lassen, schon gar nicht mit nackter Brust. Gemeinsam mit neun anderen jungen Künstlern, die regelmäßig auf Bühnen stehen, hat er sich auf Einladung der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung nun dennoch vor die Kamera getraut. Für die SZ-Ausstellung „10 im Quadrat“ hat Liann sich von zehn aufstrebenden Fotografen ablichten lassen. Sie alle sind zwischen 17 und Ende 20, kommen aus München und sind genau wie ihre Models gerade dabei, sich zu professionalisieren.

Die Idee hinter der Ausstellung: Wer sind eigentlich die jungen Künstler dieser Stadt? Wer kennt wen? Wie nimmt man einander gegenseitig wahr? Die knapp 100 Fotos, die aus diesen Begegnungen entstanden sind, gibt es von Samstag, 6. Mai, an im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.

Auch Amelie Satzger stellt dort ihre Fotos aus: Die Bilder der zehn Models hat sie später zu einer großen Collage zusammengefügt. So ist eine farbintensive Liegewiese entstanden, in der der Betrachter die scheinbar Schlafenden entdecken kann. „Wir Künstler werden von der Gesellschaft oft als Träumer gesehen“, sagt Amelie. Sie überträgt das Klischee des Träumers in ihr Bild – und versucht es zugleich zu hinterfragen. Künstler hätten schließlich anderes zu tun, als wirklichkeitsfernen Träumereien nachzujagen. Die verschiedenfarbigen Flicken ihres Teppichs stehen so auch für die unterschiedlichen Ideen und Projekte ihrer Models. Da gibt es neben Liann etwa Leonard Hohm. Er ist Synchronsprecher und Schauspieler, derzeit ist er in „Die Räuber“ von Friedrich Schiller am Residenztheater zu sehen. Oder Felicia Brembeck alias Fee, Münchens bekannteste Poetry-Slammerin. Sie alle machen komplett verschiedene Dinge, bewegen sich in unterschiedlichen Szenen dieser Stadt.

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Doch was passiert, wenn Künstler auf Künstler treffen? Wenn vor wie hinter der Kamera jemand steht, der eine eigenständige ästhetische Vorstellung hat? Klar, da gibt es auch mal Reibung, Schwierigkeiten. Korbinian Vogt hat die Künstler beispielsweise als Teilakt vor die Kamera gebeten. Und das an ungewöhnlichen Orten: In der Uni, im Park. An Plätzen also, an denen man nicht alleine ist. Wo vielleicht Leute stehen bleiben, zusehen. „Akt beziehungsweise alleine das Zeigen von Haut ist immer noch ein Problem. Es zeigt einen Menschen ohne den Schutz, den er durch Kleidung bekommen kann. Er fühlt sich in diesen Momenten oft verletzlich. Das so zuzulassen ist schwer“, sagt Korbinian. Da musste er erst einmal Vertrauen schaffen.

„Sich fotografieren zu lassen, erfordert immer ein wenig Mut. Gerade wenn der Fotograf erst mal ein Fremder ist“, gibt Musikerin Mola zu. Model-Kollegin Rosa Kammermeier sieht das ähnlich: „Es war etwas ungewohnt, so oft fotografiert zu werden.“ Rosa ist Musikerin, tritt für gewöhnlich mit ihrem Musikerkollegen Julian Riegl unter dem Namen Blue Haze auf. Für die Fotos hat sie einiges von sich preisgegeben, so etwa beim Shooting mit Milena Wojhan. Die Fotografin hat ihre Models in eine kleine Box gesetzt, an einer Seite ein so genannter „Spionagespiegel“, wie man ihn aus Fernsehkrimis kennt. Wer von außen reinschaut, sieht den anderen. Doch wer selbst in der Box sitzt, blickt seinem Spiegelbild entgegen. Und das auf unbestimmte Zeit. Schauspielstudentin Vera Flück erinnert sich an das Shooting: „Ich habe mich noch nie so lange in einem Spiegel betrachtet. Es ist verrückt, was ein einziger Gedanke in deinem Gesicht verändert“, sagt sie.

Als angehende Schauspielerin ist sie es gewohnt, sich anderen zu zeigen, eine bestimmte Rolle einzunehmen – bei den Rollenvorspielen ihrer Schule zum Beispiel, oder beim Livehörspiel von „Don Quijote“, das am Donnerstag, 4. Mai, in den Münchner Kammerspielen gezeigt wird. Doch so lange mit sich und dem eigenen Gesicht allein zu sein, sich selbst beim Denken zuzusehen, war auch für Vera ungewohnt. „Das ist ja auch ein Bestandteil des Schauspiels: Denken alleine formt die Mimik. Denkt man wirklich, braucht man kein Gesichtsgulasch zu machen.“

Einige Bildstrecken fordern diese Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit explizit heraus: Für Sophie Wanningers Foto musste jeder eine Grimasse schneiden, Julia Schneider hat allen eine Nudel ins Gesicht gelegt. Dass die von ihnen Porträtierten keine Profi-Models sind, schätzen beide sehr. „Professionelle Models haben oft schon zu sehr eingefahrene Posen, meistens geht es nicht um den Menschen dahinter, besonders, wenn man ein Lookbook fotografiert oder das Model etwas anderes präsentieren soll“, sagt Sophie. „Für diese Bildserie war es wesentlich einfacher, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, da sie im Gegensatz zu professionellen Models nicht den Anspruch haben, in erster Linie vorteilhaft auszusehen“, stimmt Julia zu. Natürlich fühlt sich das anfangs albern an. Wie bitte posiert man mit einer Nudel im Gesicht? Aber gerade deshalb seien letztlich zehn sehr unterschiedliche Bilder herausgekommen: „Es hat Spaß gemacht, Leuten die Nudel ins Gesicht zu werfen. Erstaunlich war, dass die Künstler alles dafür gegeben haben, der Nudel ihre Präsenz streitig zu machen.“ 

Doch aus all diesen Fototerminen sind nicht nur Bilder entstanden. Sondern auch Gespräche, zum Teil Freundschaften. Viele Künstler sind sich bei den Shootings zum ersten Mal begegnet. „Ich kannte einige der Sänger vom Sehen, aber ich denke schon, dass es mehr Vernetzung bedarf“, sagt Michael Färber, „wir Fotografen sind manchmal ziemlich isoliert von anderen Künsten.“ Fotograf Jean-Marc Turmes resümiert: „Es gibt so viele nette Leute, die aber oft untergehen im Schall und Rauch der Gegenwart. Jetzt kennen wir uns und können uns gegenseitig unterstützen.“ 

Eine Viertelstunde ist vergangen, Kilian wirkt inzwischen weniger nervös, wie er dort so liegt, im Fotostudio von Amelies Hochschule zwischen den beiden Reflektorschirmen. Im Hintergrund läuft Musik, manchmal summt er die Melodien mit, dann muss Amelie wieder sagen: „Entspann deinen Mund.“ Doch nach ein paar neuen Schlafposen ist die Fotodesign-Studentin dann auch schon zufrieden. „Das war definitiv das entspannteste Foto-Shooting bis jetzt“, sagt Kilian hinterher.

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Hier gibt es einen kurzen Vorgeschmack in Form eines Making-of-Videos der Fotografin Julia Schneider zu sehen. 

Und hier könnt ihr Euch einen Überblick über die teilnehmenden Fotografen machen. 


Text: Carolina Heberling und Amelie Völker

Fotos/Zeichnung: Amelie Satzger

Foto: privat

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