In elf kurzen Videos setzen sich Studierende der Filmhochschule für eine rassismuskritische Filmlandschaft ein. Quynh Le Nguyen, 25, will „Black, Indigenious und People of Color“ ermutigen, selbst Regie zu führen
Keines der Videos ist länger als 60 Sekunden. Mehr Zeit brauchen Quynh Le Nguyen, 25, und weitere Studierende der Münchner Filmhochschule nicht, um ihre Erfahrungen zu teilen, ihre Geschichte. Dafür erleben sie diese zu oft – und vor allem immer wieder. Es sind Geschichten von deutschen Filmen und Serien, in denen asiatisch gelesene Männer nur als entsexualisierte Nebendarsteller, Nerds und Taxifahrer gecastet werden. Von Abspännen, in denen die immer gleichklingenden Namen die Leinwand hinunterlaufen. Von fehlenden Vorbildern, rassistischen Darstellungen und einengenden Fragen.
„Mit diesem Video möchte ich euch – Black, Indigenious und People of Color – sagen, dass ich an euch glaube und dass ihr es schaffen könnt!“ Quynh Le Nguyen spricht ihre Worte ruhig, bedacht, mit Nachdruck in die Kamera. Ihr Video ist eines von elf, zu sehen auf dem Instagram-Account @bipoc.hffmuenchen, dem Account der BIPoC-Gruppe der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Le, wie sie von allen genannt wird, ist Mitinitiatorin der Gruppe, die sich im Dezember vergangenen Jahres gegründet hat – aus einem gewissen Leidensdruck heraus, aus Unzufriedenheit mit den Strukturen der Filmbranche, mit den Lehrinhalten der HFF, sagt Le.
Elf Videoaufnahmen, in denen BIPoC-Studierende der HFF zukünftigen Bewerberinnen und Bewerbern Mut machen und Unterstützung anbieten wollen. Elf Videos, mit denen eine neue Selbstverständlichkeit geschaffen werden soll, in der nicht-weiße Menschen vorkommen und mitgedacht werden – und zwar nicht nur auch, sondern eben selbstverständlich. An der HFF München, in Deutschland, vor und hinter der Kamera. „Ihr könnt auch Drehbücher schreiben, produzieren, Regie führen! Ihr könnt das alles, lasst euch nichts anderes sagen! Wir freuen uns auf euch“, beendet Le das Video.
Vor drei Jahren studierte Le noch Kulturwissenschaften in Hildesheim in Niedersachsen. Damals war sie innerlich noch etwas weiter entfernt von ihrer jetzigen selbstbewussten Videobotschaft. Irgendwann saß sie während ihres Studiums dann in einem Seminar, in dem eine schwarze Studentin der HFF über das Studium in München sprach.
Le erinnert sich heute noch sehr genau an diese Begegnung. „Das war ein sehr wichtiger Moment für mich, um überhaupt an mich zu glauben.“ Sie holte sich erst die Nummer der Studentin, dann Tipps für die Bewerbung. Und dann bewarb sie sich. Sie schrieb über einen Film, dessen reduzierte Erzählweise sie begeisterte: „Die Geträumten“, ein Spielfilm von Ruth Beckermann über die Liebesgeschichte zwischen den Dichtern Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Sie gab eine Fotografie-Aufgabe zum Thema „Am Ende des Weges“ ab, sie recherchierte zur Bedeutung des Begriffs queer.
Le wurde genommen – Abteilung IV: Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik. Sie bewarb sich, obwohl sie sich von der Webseite der HFF mit zum größten Teil weißen Lehrenden und Gesichtern nicht gerade ermutigt gefühlt habe, wie sie erzählt. Sie bewarb sich wegen der Begegnung mit der Studentin. Sie bewarb sich, weil sie es unbedingt wollte. Weil sie zuvor schon mitbekam, was Bilder auslösen können. Während eines Projektsemesters in Hildesheim, vor ihrem Studium an der HFF.
Ihr Dokumentarfilm „Hühnerfuß im Kopfsalat“ handelt von Vietnamesen in Deutschland
Damals drehte Le ihren ersten Dokumentarfilm: Hühnerfuß im Kopfsalat. Es wurde ein Film über eine vietnamesische Generation in Deutschland, über die Konflikte zwischen der ersten und zweiten Generation. Der Film wurde 2017 beim internationalen up-and-coming-Film-Festival in Hannover gezeigt. „Meine weißen Kommilitoninnen waren total überrascht, weil sie diese Perspektive gar nicht kannten. Da habe ich gemerkt: Cool, man kann mit Dokumentarfilmen einen anderen Blickwinkel aufzeigen.“
Le – Pulli, weiße Stoffhose, schulterlange schwarze Haare – sitzt entspannt, mit angewinkeltem Bein auf einem Schreibtischstuhl im Haus ihrer Eltern, bei denen sie gerade aus München zu Besuch ist. Wenn Le erzählt, schaut sie oft direkt in die Kamera ihres Laptops. Sie wirkt sicher und selbstbewusst, in dem was sie zu sagen hat. In ihrer Stimme liegt eine unaufgeregte Empathie. In ihrer Art zu Sprechen ebenso. Besonders zum Vorschein kommt diese bedachte Rücksicht in den routinierten Pausen, die sie oft beim Sprechen einlegt. Zwischen zwei Sätzen, aber auch zwischen einzelnen Silben, um die generischen Maskulinformen zu umgehen.
Die BIPoC-Gruppe der HFF setzt sich für eine rassismuskritische Filmlandschaft ein, auf Instagram sind neben besagten Videos auch aufklärende Beiträge über Multiperspektivität und Repräsentation zu finden. „Wenn eine Zuschauerin of Color sich im Film nicht wiedersieht, wie kann sie sich selbstbewusst in der Gesellschaft bewegen? Wenn Filme Stereotypen am Leben erhalten, wie können marginalisierte Gruppen sich im alltäglichen Leben dagegen behaupten?“ Das steht dort zum Beispiel geschrieben. „Ich bin überzeugt davon, dass Filme unsere eigene Sicht auf die Welt und die Menschen, die hier leben, prägen. Nicht alle Menschen haben asiatisch markierte Freundinnen. Wenn sie dann nur über die Medien und in stereotypen Bildern erfahren, wie diese Menschen angeblich sind, dann ist das total problematisch für ein menschliches Miteinander“, sagt Le.
Dass die Bilder in der deutschen Filmlandschaft oft noch stereotypisch sind, bestätigt auch die Initiative Vielfalt im Film, die unter anderem von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstützt wird. Sie stellte vergangenes Jahr in einer Online-Umfrage circa 30 000 Filmschaffenden verschiedene Fragen zur Diversität der deutschsprachigen Film- und Fernsehbranche. Mehr als 6 000 Personen antworteten, die Ergebnisse wurden Ende März dieses Jahres veröffentlicht. Demnach stimmen 75 Prozent der befragten Filmschaffenden der Aussage zu, dass asiatische Menschen im Film und Fernsehen klischeehaft dargestellt werden. Geht es um die stereotype Darstellung von Schwarzen Menschen steigt die Prozentzahl auf 78 Prozent. Die filmische Repräsentation von Sinti und Sintize, Romnja und Roma sowie muslimischen Menschen empfinden sogar mehr als 80 Prozent der Befragten als klischeehaft.
„Mein Leben lang erfahre ich Rassismus. Und wenn ich darüber spreche, werde ich unterbrochen.“
Die BIPoC-Gruppe der HFF will ihren Beitrag dazu leisten, dass sich diese Zahlen verbessern, dass sich etwas verändert. Es sind Empowerment-Workshops mit der Münchner Gruppe Beyond Color geplant, Gastdozierende, die aus ihrer Sicht postkoloniale Themen unterrichten, sollen an die HFF geholt werden. Vor allem aber soll die Gruppe erst einmal einfach existieren, weil allein das schon Veränderung bringt. Ein gemeinsamer Ort für BIPoCs an der HFF. „Ich habe sehr oft Angst davor, Rassismuskritik in weißen Räumen zu äußern. Mein Leben lang erfahre ich Rassismus und wenn ich dann darüber spreche, werde ich unterbrochen, nicht ernst genommen. Das macht viel mit einem. Als marginalisierte Person ist es schwierig, egal wo, einfach nur durch den Alltag zu kommen. Es ist deshalb unglaublich befreiend, einen sicheren Ort zu haben, an dem man offen reden kann, an dem Menschen zuhören, die den Schmerz nachfühlen können. An dem man auch mal weinen kann, ohne dass das als schwach gesehen wird. Niemand möchte vor Leuten weinen, die einen angreifen.“
Die Gruppe besteht mittlerweile aus knapp 20 Personen. 20 Personen, die sich regelmäßig online treffen, über ihre Erfahrungen reden, Jobangebote weiterleiten, sich gegenseitig unterstützen, füreinander da sind, aneinander glauben, sich aufeinander freuen. Und so eine neue Wirklichkeit, eine neue Selbstverständlichkeit schaffen.
Von Lena Bammert