Fotos: Stephan Rumpf

15 Minuten Vollgas

Beim Festival „Sound of Munich Now“ haben die 21 Bands nur kurz Zeit, das Publikum zu überzeugen. Ein Crashkurs durch die Szene der Stadt, der den Besuchern gefällt – und den Musikern einiges abverlangt. Auch die Shows „Sound of Munich Now Electronica“, „Sound of Munich Now International“ und „Sound of Passau Now“ kommen sehr gut an

Von Max Fluder (Text)
und Stephan Rumpf (Fotos)

Es hat bei diesem Festival schon jede Menge unvergessliche Momente gegeben – aber das haben die Zuschauer hier noch nie erlebt. „Wollt ihr uns heiraten?“, fragt Maximilian Weigl von der Bühne aus ins Publikum. Der Gitarrist und Sänger der Postpunk-Band Endlich Rudern, Bassist Felix Nagel und Drummer Simon Richter haben ihren Auftritt beim Festival „Sound of Munich Now“, veranstaltet von der Süddeutschen Zeitung und vom Feierwerk, schon beinahe hinter sich. Das Publikum antwortet auf die Frage, oder besser: Es lacht, klatscht, kreischt. Und nun steht Maximilian da, angestrahlt von Scheinwerferlicht, ruft in die Menge: „Erinnert euch an die 15 Minuten, in denen wir verheiratet waren.“ Dann schlägt er die Gitarre für seinen letzten Song an.

Endlich Rudern ist eine von 21 Münchner Bands, die an diesem Samstagabend in der Hansa 39 des Feierwerks auftreten. Eine Woche zuvor steht die Band ebenfalls auf der Bühne, im Kult 9 in Neuhausen. Vorher proben die drei Musiker. Für die beiden Auftritte im Kult, indirekt aber auch fürs „Sound of Munich Now“. Maximilian setzt sich hin und legt seine Beine auf die Bühne. Er trägt rote Socken mit Herz-Motiv, ansonsten ist er schwarz gekleidet. Was er sich vom „Sound of Munich Now“ erhofft? „Dass ich viele neue Bands entdecke“, sagt Maximilian, „Viele habe ich auch noch nicht live gesehen.“ Auf Cosma Joy freut er sich, und auf Samt. Aufregung spürt er eher weniger. Endlich Rudern spielen ihre Songs immerhin, ohne etwas zu sehen. Die Auftritte im Kult 9 finden im Dunkeln statt.

Bei der Sängerin von Victoryaz ist die Sache anders: Victoria Zapf ist unruhig vor ihrem Auftritt, streicht sich oft durchs Haar oder stützt ihren Kopf mit ihren Armen auf dem Tisch ab. „Ich freue mich abartig auf den Gig, den letzten musste ich leider absagen, weil ich krank war. Ich habe die Bühne so vermisst“, sagt Victoria. Vor dem „Sound of Munich Now“ war Victoria noch mit ihrer Band in ihren Proberäumen am Harras: Generalprobe, mit neuem Gitarristen und spontan geänderter Setlist. Danach fuhren sie direkt ins Feierwerk. Sie sieht bühnenfertig aus, ihr schwarzes bauchfreies Top schimmert rot und blau. Das Drumherum vorher spannt sie jedoch an. „Aber das ist in dem Moment, wo ich auf der Bühne stehe, vergessen“, sagt sie.

Viele Acts, wenig Zeit. Vor ihrem Auftritt gehen die Mitglieder von Endlich Rudern das Feierwerk ab, schauen mal bei der „Sound of Munich Now International“-Bühne in der Kranhalle vorbei. Vier Bands, deren Musiker ursprünglich aus den USA, Großbritannien oder der Ukraine stammen, aber mittlerweile in München leben. Dementsprechend sind auch viele internationale Gäste im Publikum. Simon von Endlich Rudern wippt im Takt der Musik von Stella Sezon, bereitet sich auf seinen Auftritt vor. Gleich ist er an der Reihe. Aufgeregt ist er aber nicht wirklich. Sagt er zumindest. Maximilian wollte noch seine Gitarre stimmen lassen. Er trägt wieder schwarz, nur hat er heute Socken mit Totenkopf-Motiv an. Keine Herzen mehr.

Für die Veranstaltung wurde extra eine kleine zweite Bühne in der Hansa 39 aufgebaut. So gibt es für die Zuhörer ununterbrochen Musik – sofern sie denn ins Feierwerk kommen. Die Warteschlange ist lang. Dafür ist der Abend quasi ein Crashkurs durch die Münchner Musikszene: von Pop bis Hip-Hop, von Funk bis Punk. Für Taisha Leinfelder, eine Besucherin des Festivals „Sound of Munich Now“, die schon 2015 dabei war, ist die Vielfalt ein Grund wiederzukommen. „Es macht einfach immer wieder Spaß“, sagt sie.

Endlich Rudern müssen nach ihrem Auftritt schnell abbauen: Things That Need To Be Fixed spielen bereits auf der anderen Bühne und die Bandmitglieder von Elena Rud wollen aufbauen. Taschenlampen leuchten auf, Kabel werden ausgestöpselt, Instrumente von der Bühne getragen. Auf der Bühne haben Endlich Rudern „Vollgas“ gegeben, wie Felix sagt. „15 Minuten sind 15 Minuten“, da müsse man mit vollem Einsatz reingehen, könne nicht erst langsam aufbauen. Hat es geklappt?„Nach 15 Minuten hatten wir erst das Gefühl: ‚Ja, so ist’s gut’.“

Viele Musiker bleiben nach ihren Auftritten noch lange beim Festival. Sie hören bei anderen Acts zu oder gehen zum „Sound of Passau Now“ ins Orangehouse. Vier Passauer Bands spielen dort überwiegend Rock, eine härtere Musik als die von Endlich Rudern. Oder aber, sie tauschen sich untereinander aus. Vor dem Feierwerk stehen Mitglieder von verschiedenen Bands zusammen und ratschen über vergangene Konzerte. Die Münchner Musikszene ist enger zusammengerückt in den vergangenen Jahren. Ein Miteinander ist zu spüren – keine neidischen Blicke auf die Erfolge der anderen. Das Festival „Sound of Munich Now“ ist längst ein Treffpunkt geworden für das Musik-München. Manager sind hier Stammgäste, auch Musiker anderer Bands: Mola, Umme Block, der Singer-Songwriter Jacob Brass – alle da.

Victoryaz sind später auf der Bühne als Endlich Rudern. Victoria hatte sich Sorgen gemacht. Dass sie den Text vergisst. Dass sie sich verspricht. Dass irgendetwas schief geht. Verständlich, immerhin spielen die Bands hier vor einem Publikum, das sie sonst nicht erreichen würden. Da möchte man überzeugen, einen Eindruck hinterlassen. Während ihres Auftritts hält Victoria das Mikro fest in der Hand, tanzt vor und zurück, lächelt. Von ihrer Unsicherheit ist nichts zu erkennen.

Vielleicht hat es geholfen, dass sie noch mit Elena Rud vor dem Auftritt entspannen konnte. Und dass Elena Victoria Huckepack getragen hat. Wie fühlt sie sich jetzt nach dem Auftritt? Glücklich und zufrieden sei sie. Die Musikerin setzt sich in ein Sofa, lehnt sich zurück, versinkt richtig. Fordernd können diese Abende sein, vielleicht auch überfordernd. Aber auf eine schöne Weise. Victoria sagt: „Solche Abende bestätigen mir, dass ich nie etwas anderes machen möchte.“

„Sound of Munich Now International“

Kein Halten mehr

Deer Park Avenue

Von Laura Wiedemann

Der Kunstnebel schwebt im Scheinwerferlicht. Stella Sezon, ursprünglich aus der Ukraine, betritt die Bühne, den Hut tief ins Gesicht gezogen. Mit ihren souligen Klängen eröffnet sie die „Sound of Munich Now International“-Bühne. „Für mich ist das wirklich eine Ehre, hier zu spielen. Es ist auch ein Luxus, dass es so ein Festival in München gibt“, sagt die Sängerin. Das genießt auch das Publikum und tanzt sich zu dem Mix aus Soul, Hip-Hop und Jazz warm. Danach gibt es kein Halten mehr. The Lone Dining Society zieht die Menge von der ersten Sekunde an in ihren Bann. Die Pop-Folk-Kapelle aus England, deren Musiker jetzt in München wohnen, füllt den Raum mit Energie. „Man muss einfach mittanzen und mitsingen. Ich habe an nichts anderes gedacht außer an das Hier und Jetzt. Und das war toll“, sagt Kathi, eine junge Frau im Publikum.

Nach dieser ekstatischen Stimmung wird es wieder ruhiger in der Kranhalle. Die Zuhörer lauschen der verträumten Folk-Lieder der Singer-Songwriterin Stephanie Forryan und den persönlichen Geschichten, die darin versteckt sind. „Ich genieße die Vertrautheit. Heute habe ich diese Verbindung zu den Menschen, die mir zuhören, richtig gespürt“, schwärmt die Sängerin, die aus Boston stammt. Zum Abschluss des Abends wird es dann noch einmal wild. Deer Park Avenue bringen die Menge mit Rock und Old-School-Punk zum Ausrasten. Wildes Pogen und Tanzen auf und vor der Bühne. Beim „Sound of Munich Now International“ treffen die verschiedensten Musikstile und Menschen aufeinander und zeigen wie vielseitig München und seine Musikszene wirklich ist!

„Sound of Passau Now“

Rock ’n’ Roll-Revival

Flokati

Von Marietta Jestl

Nicht einmal 100 Meter trennen das Orangehouse vom Hansa 39 und somit an diesem Abend die Passauer von der Münchner Bühne. In der Hansa 39 wechseln Bands und Genres im 15-Minuten-Takt, die dicht gedrängte Menge scheint unruhig zu sein, der Weg zur Bar endlos. Wer jedoch die 100 Meter nach Passau auf sich nimmt, taucht in eine Kapsel, in der die Zeit verlangsamt abzulaufen scheint. In den 45 Minuten Spielzeit pro Band stehen Publikum und Musiker im Einklang: Es wird gemeinsam getanzt, mitgeklatscht, mitgesungen. Das Genre bleibt konstant – Passau präsentiert einen rockigen Sound, der den Eindruck erweckt, die Stadt sei der neue Dreh- und Angelpunkt eines Rock ’n’ Roll-Revivals. The Stringers wecken durch stampfende Viervierteltakte Erinnerungen an Songs der Proclaimers. Ghetto Royal schaffen es, durch überzeugende Bühnenpräsenz und wuchtige Blues-Einflüsse, deutschen Texten so einiges an Sexappeal zu verleihen. Die Grunge-Band Flokati feiert an diesem Abend nicht nur ihren tollen Sound, sondern auch noch den Geburtstag ihres Drummers. Und der Band Cone ist ihr Genre Stoner-Rock anzusehen: lange Haarsträhnen über bärtigen Gesichtern. Dazu gibt es pathetische Gitarrensoli. Und eine Hommage an die Stimme des Sängers von Alice In Chains. Die Passauer Zeitkapsel scheint blendend zu funktionieren.

„Aktuell passiert in Passau extrem viel“, sagt Marlies Resch, Sängerin der Grunge-Band Flokati. „Bands arbeiten mehr zusammen, es ist ein neuer Live-Club entstanden. Uns ist wichtig, dass nach außen getragen wird, was für eine tolle Szene wir haben. Daher ist es eine Ehre, dieses Jahr hier zu sein.“

Sound of Munich Now Electronica

Nur der Beat zählt

Dirty Mike

Von Max Fluder

Der Körper hört nicht mehr auf den Kopf. Er hört auf den Beat. Die Beine, die Arme, der Torso. Einige Besucher des Techno-Festivals „Sound of Munich Now Electronica“ am Freitagabend wirken fremdgesteuert von den vier DJs, die von 22 Uhr an in der Kranhalle des Feierwerks auflegen: Nicolai Diehl (Nicolai), Alina Agha Egbrahim (Dirty Mike), Bene Getz (etzo) und Lily Felixberger (Lily Lillemor).

Die DJs greifen vermehrt auf Musikfragmente und Beats aus vergangenen Jahrzehnten zurück. Je später der Abend wird, desto voller wird die Tanzfläche. Einige wippen mit den Füßen, andere bewegen sich nach Standardtanzschritte. Zwei Frauen tanzen Salsa.

Unterstützt werden die vier Electronica-Künstlerinnen und Künstler von drei VJs – eher eine Seltenheit in München. Drei Beamer projizieren ihre bunten Grafiken auf die Wände der Kranhalle. Patricia Springer alias VJ Madpoly lässt abstrakte Formen und Linien an der Wand erscheinen. Bei Paula Pongritz vom Kollektiv „tps nostromo“ sind plötzlich flackernde Bäume und Pirouetten drehende Ballerinas an der Wand. Oder politische Botschaften.

Mit der Zeit füllt sich die Kranhalle. Für Elena Janßen, die den Abend gemeinsam mit einer Gruppe Freunde hier verbringt, sind es dennoch zu wenig Besucher: „Ich wünschte, es wären mehr Leute gekommen“, sagt sie. Vor allem bei so guter Musik. DJ Bene sage ihr besonders zu. Dieser ist wiederum vor seinem Auftritt ein bisschen aufgeregt. Der Resident-DJ des Bahnwärter Thiel freut sich, vor einem ihm größtenteils unbekannten Publikum zu spielen.

Diskussionsrunde vor dem Sound of Munich Now Electronica

„Haben Träume, brauchen Räume“

Diskussion

Von Max Fluder

„Wir haben es dem Raumproblem zu verdanken, dass wir überhaupt existieren“, sagt Anna Do. Sie ist Mitglied bei Bushbash, einem Kollektiv, das auch mal unangemeldete Partys veranstaltet. Sie wirkt auch bei der Agnesbar mit, einem Ort der Subkultur in München. Kollektive feiern oft in verlassenen Hallen, unter Brücken oder im Wald.

Zusammen mit den beiden DJs Lily Felixberger vom Wut-Kollektiv und Bene Getz, Resident-DJ und Booker im Bahnwärter Thiel, sowie Peter Fleming vom Harry Klein sitzt sie am Freitagabend vor dem „Sound of Munich Now Electronica“ in der Bar des Feierwerks und diskutiert über die elektronische Szene in der Stadt. Alessa Patzer von der Fachstelle Pop moderiert den Abend.
Ein Themenkomplex nimmt den Großteil der Veranstaltung ein: der Raummangel in München und die Not einiger Veranstalter, deswegen unangemeldete Partys veranstalten zu müssen. Weiter an Relevanz gewonnen hat das Thema auch durch einen Todesfall auf einer illegalen Party im vergangenen Mai. Dass es nicht genügend erschwingliche Orte für junge Veranstalter gibt, ist allen Menschen auf dem Podium klar. Wie sich jetzt aber der „Reiz der Illegalität“, wie Bene es nennt, auf die Partys auswirkt, bleibt offen.

„Musik ist in dieser Stadt unterrepräsentiert“, sagt Lily noch bevor die Diskussion überhaupt angefangen hat. Sie sagt diesen Satz im Gespräch, beinahe schon beiläufig. Aber wie kann man jungen Veranstaltern und Kollektiven nun die Chance geben, sich auszuprobieren? Peter Fleming vom Harry Klein verweist auf den Kollektivtag im Harry Klein, den Donnerstag. Kein guter Tag wie Freitag oder Samstag, aber Lily zufolge könne man sich dennoch hocharbeiten.

Anna von Bushbash hat einen anderen Einsatz. „Ich denke, dass es die Räume gibt“, sagt sie, die Stadt müsse sie nur zugänglich machen und Zwischennutzungen nicht immer an die gleichen Leute vergeben. Unterstützung von der Politik also: Das Vorbild ist Berlin, wo unter anderem die Handelskammer jungen Veranstaltern hilft. Das Publikum ergänzt und fragt nach. David Süß vom Harry Klein kommt zweimal zu Wort, erläutert das Berliner Konzept genauer.

Auf dem Podium herrscht wenig Dissens. Lily bringt noch ein, dass Frauen und queere Personen zu wenig in der Szene repräsentiert seien. Gegen Ende der Veranstaltung kommt das Thema Sicherheit auf: Wie kann man nachts dafür sorgen, dass alle sicher sind, niemand belästigt wird. Oder Schlimmeres.
Versuchte man den Abend auf einen Satz zu münzen, käme er von Anna. „Jede Party ist politisch.“ Während der Veranstaltung macht ein Mitglied von Bushbash eine Instagram-Story mit Bildern der Diskutanten. Er fügt einen Schriftzug hinzu, weiß auf schwarz. „Haben Träume, brauchen Räume.“