Distanz ist auf Dauer oft ein Freundschafts-Killer. Unsere Autorin ist davon überzeugt, dass Skype und Co. zwar kein Ersatz für physische Nähe sind, aber immerhin eine stabile Alternative sein können.
„Haaallooo was machst du?“,
brüllt Vale hellwach und gut gelaunt ins Telefon. Ich bin überhaupt nicht gut
gelaunt und wach bin ich eigentlich auch noch nicht, denn es ist 7 Uhr morgens in
England. Ich versuche mich aus dem Bett zu quälen um dem Klischee einer Austauschstudentin
nicht gerecht zu werden und pünktlich in die Uni zu kommen. Vale war gerade auf
einer Party in Quito, wo er sein Auslandsjahr verbringt, und will berichten.
Mir ist das zu früh für so eine Art von Gespräch, also verschieben wir das.
Ich kenne Vale seit dem ersten
Semester und er war mir sofort sympathisch. Schon immer haben wir viel zusammen
gelacht, gemeinsam über nervige Gäste von unseren Nebenjobs in der Gastronomie gelästert
oder Theorien über das Seelenleben von Pflanzen aufgestellt. Es gibt wenige
Menschen mit denen ich all meine Gedanken teilen kann, egal wie schlau oder
nicht-schlau, ohne Angst zu haben müssen, dass ich dafür verurteilt werde.
Es ist Wochenende, wir
versuchen es noch einmal. Vale hat gerade gefrühstückt, in Quito ist es auch
erst 12 Uhr mittags, bei mir ist es schon wieder dunkel. „Ich weiß nicht mehr
wie der Akkord heißt, aber am besten hältst du die Gitarre so“, versuche ich zu
erklären, als ich ihm über Skype zeigen will wie man „Anyone Else But You“ von den
Moldy Peaches spielt. Dass mehr als 9.000.000 km, 7 Stunden und der Atlantik
zwischen uns liegen, merke ich erst als Vales fragendes Gesicht auf meinem
Laptop einfriert, weil meine Mitbewohnerin gerade mit ihren Großeltern in
Armenien skypet.
Durch die Distanz sind Vale und
ich, was unsere Freundschaft betrifft, einfach kreativer geworden. Selbst unsere
gemeinsamen Filmabende haben bisher nicht unter der physischen Entfernung gelitten.
Wir drücken gleichzeitig auf Play, parallel äußern wir unsere Gedanken dazu
dann eben einfach per Textnachricht. Ich würde sagen, das ist fast schon
romantisch, andere wären vielleicht eher genervt, wenn das „hahaha“ per
Nachricht schon kommt bevor man den Witz überhaupt gehört hat.
Wenn mich das Leben mal
überfordert, dann treffe ich mich normalerweise mit Vale. Mit seiner
entspannten und sorglosen Art öffnet er mir ein Bier mit einem Feuerzeug, weil
ich das nicht kann, und sagt, dass alles schon irgendwie laufen wird, sodass
die Welt vorerst wieder in Ordnung scheint. Inzwischen trinke ich kein Bier
mehr, sondern nur noch Wein mit Schraubverschluss und das aufmunternde Lachen
kommt trotzdem noch, nur eben nicht mehr sofort.
„In der Uni lernt man seine
Freunde fürs Leben kennen“, hat uns ein älterer Student an unserem ersten
Uni-Tag prophezeit. Dass wir uns mit 80 in dasselbe Altersheim stecken lassen,
ist schon versprochen, aber man kann das vorher ja nie so genau planen. Die
gemeinsamen Momente, wenn man nachts um die Häuser zieht oder sich beim
Italiener eine Pizza teilt, werden auf jeden Fall seltener werden. Trotzdem werde ich auf dem nächsten Radiohead-Konzert ohne Vale seinen
Lieblingssong „Creep“ einfach aufnehmen und ihm via Whatsapp schicken. Das
gemeinsame Mitgrölen kann man dann ja auch über Skype nachholen, vorausgesetzt
die Internetverbindung lässt es zu.
Text: Gabriella Silvestri
Foto: Yunus Hutterer