Mehrere hundert junge Menschen bewerben sich jährlich an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Der junge Syrer Daood Alabdulaa hat einen Platz bekommen. Sein Weg dorthin verlief über einige Umwege.
Die Spardose ist klein und blau. Sie steht neben dem Bett, in dem ein Junge liegt, die dunklen Locken auf dem Kopfkissen. Seine Mutter weckt ihn, die Schule ruft. Doch er will nicht aufstehen, lieber will er weiterträumen. „Films“ steht auf der Spardose. „Das Taschengeld habe ich immer gespart, um neue Filme zu kaufen“, sagt eine Erzählstimme.
Es ist die Stimme von Daood Alabdulaa, 27. Die Szene stammt aus seinem autobiografischen Film namens „Aus meinem Leben“. Er hat immer noch lange dunkle Locken, die er heute in einem Zopf gebunden trägt. Mit diesem Film und mit anderen Arbeitsproben bewarb er sich letztes Jahr an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, kurz HFF, – und wurde fürs Wintersemester 2020 angenommen. Damit hat er sich gegen mehrere hundert Bewerber durchgesetzt. Es war Daoods erster Versuch, sich an einer Filmhochschule zu bewerben. Doch den Traum, Regisseur zu werden, hat er fast schon sein ganzes Leben. Sein Weg zu diesem heiß begehrten Studienplatz ist kein linearer, er hat Spannungen und Wendungen. „Aus meinem Leben“ ist vier Minuten lang und besteht aus 36 gezeichneten Bildern. Daood hat darin seinen Weg zusammengefasst.
Schon mit zehn Jahren weiß Daood, dass er Filme machen möchte. Damals lebt er noch mit seinen Eltern und sieben Geschwistern in einem kleinen Dorf in der Region Deir ez-Zor im Osten Syriens. In seinem Heimatdorf gibt es keine Kinos. Vom Beruf des Regisseurs hat er noch nie gehört. Doch er sieht zusammen mit seinen Eltern viele Filme im Fernsehen, die ihm gefallen. Und einmal lauscht er einem Geschichtenerzähler in einem Café in Damaskus. „Ich war begeistert von seinen lebhaften Erzählungen über Helden und Hexen“, sagt Daood und lacht. Sein Lachen ist ansteckend und jung. Das begeisterte Kind kann man sich sofort vorstellen. Daood wird damals klar, dass auch er Geschichten erzählen will. Am liebsten in bewegten Bildern.
Er fragt sich, was viele junge Menschen sich fragen: Wo soll die Reise hingehen?
Doch der Vater wünscht sich für den Sohn einen sicheren Job – Elektrotechnik schlägt er vor. Daood geht es nach dem Schulabschluss so wie vielen jungen Menschen. Wohin soll die berufliche Reise gehen? Richtung Traum oder Vernunft? Nach dem Rat der Eltern oder dagegen? „In diesen Zeiten ist man ja selbst verwirrt. Man weiß nicht, was richtig ist und was falsch. Und obwohl man einen Traum hat, vertraut man lieber den Älteren“, sagt Daood. Nach seinem Schulabschluss folgt er daher dem Plan seines Vaters, macht eine Ausbildung und studiert Elektrotechnik in Aleppo. Doch das mit dem Geschichtenerzählen kann er nicht sein lassen. Neben dem Studium schreibt und inszeniert er Theaterstücke, mal für Kinder, mal politische.
In Daoods Kindheit und Jugend ist Krieg ein Thema. Statt Kindersendungen sieht er als Zehnjähriger Beiträge über den Krieg im Nachbarland Irak im Fernsehen. „Das hat mich schockiert“, sagt Daood. Als etwa zehn Jahre später auch sein Heimatland Syrien von Unruhen und Krieg betroffen ist, fasst der damals 19-Jährige einen Entschluss. „Ich wollte einfach nur in Sicherheit sein,“ sagt er. Im Sommer 2014 flieht er von Aleppo nach Deutschland, „über alle möglichen Transportwege, die du dir vorstellen kannst“. Daood erzählt ungern genauer über diesen Teil seiner Geschichte. In seinem Film lässt er lieber Bilder sprechen. Man sieht das Meer, groß und blau. Am Strand steht jemand, klein und dünn. Im nächsten Bild sieht man viele Menschen in Schwimmwesten. Sie sind umgeben von Meer.
Im Winter 2014 erreicht Daood Deutschland. „Ich weiß noch, dass mir genau jetzt vor sechs Jahren auch schon sehr kalt war“, sagt er. Seine Familienmitglieder sind nicht mit nach Deutschland geflohen. Sie leben jetzt überall in der Welt verteilt. Daood kommt in eine Gastfamilie in Karlsruhe und studiert dort weiter Elektrotechnik. Obwohl er schon weiß, dass er keine Freude daran hat. „Technik und ich werden nie Freunde werden“, sagt er. Daoods Gasteltern sprechen viel mit ihm über die Zukunft, darüber, was er wirklich will. Sie nehmen ihn mit in ein Filmmuseum in Frankfurt. Dort entdeckt er ein Exemplar des bekanntesten Filmpreises der Welt. Er sagt: „Das hat richtig wehgetan, diesen Oscar zu sehen. Mir wurde bewusst, wie weit entfernt ich von meinem Traum bin.“
„Ich liebe Sie“, sagte er zu der Dame im Hochschulbüro
Kurze Zeit später bricht er sein Studium ab und bewirbt sich für den Studiengang Spielfilm-Regie an der HFF. „Ich habe gemerkt, dass es verdammt wichtig ist, etwas zu machen, das einen glücklich macht. Nur dann kannst du in deinem Bereich kreativ werden. In meinem alten Studium war ich wie ein Zombie.“ Doch beim Bewerbungsprozess gibt es Probleme: Er erhält die Nachricht, seine Bewerbung könne wegen seines ausländischen Abiturs nicht berücksichtigt werden. Für Daood ein Schock. Nun soll es an der Bürokratie scheitern? Viele Telefonate und E-Mails später dann die Erleichterung: Seine Bewerbung wird von der HFF eingesehen. Und weil er der Pünktlichkeit der Post nicht traut, bringt er seine Unterlagen persönlich zur HFF nach München. An diesem Tag sieht er das imposante Gebäude zum ersten Mal, und möchte am liebsten gar nicht mehr gehen. „Ich war direkt verliebt in die HFF“, sagt Daood. Monate später kommt die Zusage per Telefon. „Der Dame am Telefon habe ich nur ‚ich liebe Sie‘ zurufen können.“
An einem Wintertag steht Daood vor der HFF. Die gläserne Fassade streckt sich hinauf in den Himmel. Daoods Blick durch seine Hornbrille auf das Gebäude wirkt, als könnte er selbst noch nicht glauben, dass er hier studiert. „Es ist ein wunderbarer Ort“, sagt er. Mit seinem Studium an der HFF ist er seinem Traum, Regisseur zu werden, einen Schritt näher gekommen. Wofür er als Junge in seiner Spardose gespart hat, kann er nun selbst inszenieren. Bei zwei Übungsfilmen hat er bereits Regie geführt. Momentan arbeitet er an einem Filmprojekt mit seinem Kommilitonen Henri Nunn, 22, der Kamera an der HFF studiert. „Ich mag es wahnsinnig gerne, mit Daood zusammenzuarbeiten, weil er sehr spannende Geschichten aus seiner Lebenserfahrung zu erzählen hat, und weil er den Mut hat, das alles hier zu erzählen“, sagt Henri. „Außerdem hat er viel Ehrgeiz und Energie, es macht Spaß, weil man gleich mitgezogen und motiviert wird.“ Und welche Filme inszeniert Daood am liebsten? Daood überlegt. „Alle meine Filme haben eine Liebesgeschichte. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und daher sind auch die Geschichten, die ich erzähle, sehr emotional.“
Apropos emotional: Was hat sein Vater denn zum Studienwechsel gesagt? „Der hat sich trotzdem gefreut“, sagt Daood. „Zwar nicht für sich, aber dafür für mich.“ Im Nachhinein sei er auch nicht sauer auf seine Eltern. „Ich bin ihnen eher dankbar. Sie wollten immer das Beste für mich. Aber ich wollte meinen eigenen Traum leben.“
Von Amelie Völker