Julius Althoetmar / Foto: Fabian Stuerz

Uns geht es gut, aber das reicht nicht

Julius Althoetmar, 19, geht es bei Poertry-Slams mehr als um Stimmung – er will, dass die Zuhörer nachdenken

Von Max Fluder

Julius Althoetmar, 19, trippelt auf der Bühne nach rechts. Dann nach links. Bewegt sich wie ein Boxer im Ring. „Three, two, one, fight!“, ruft er, und seine Handkante schnellt durch die Luft, er reißt seinen ganzen Körper mit nach vorne: Der Kampf kann beginnen. Faustschläge bleiben allerdings aus, es ist ja auch ein Poetry Slam, keine Sportveranstaltung. Julius trägt auch keine Boxerkluft, sondern einen dunklen Pullover mit Nasa-Logo und die blonden Haare kurz. Die Gegner im Kampf, wenn man sie denn so nennen möchte, sind die erneuerbaren Energien und die Kohleindustrie.

Der Text über den Boxkampf ist schon älter, drei Jahre lang führt ihn Julius jetzt schon auf. Aber er scheint mit dem Klimathema einen Nerv zu treffen. Der 19-Jährige geht auf politische Fragen ein. Auch solche, die ihm selbst unbequem werden können. Er spricht über die Energiewende. Über Verbote, welche die eigene Freiheit einschränken, und staatliche Regulierung. Aber genauso über den Umgang mit Privilegien, das Mannsein, in Zeiten, in denen patriarchale Macht- und Gewaltstrukturen deutlicher werden. Auch im Poetry Slam.

Julius Althoetmar setzt sich
mit den #MeToo-Vorfällen in der
Poetry-Slam-Szene auseinander

Klingt zu schwer und langatmig für einen Poetry Slam? Dem Publikum scheint es zu gefallen. Julius lässt, während er von dem fiktiven Boxkampf erzählt, kleine Pausen, damit es lachen kann. Und jedes Mal, wenn Julius erneut von drei herunter zählt, stimmen die Zuschauer lautstark mit ein: „Fight“. Über diese Situation sagt er: „Ich habe noch nie erlebt, dass es nie funktioniert hat.“

Was Julius für richtig hält, seine Einstellungen und vermutlich auch eine Botschaft – das alles lässt sich natürlich aus seinen Texten heraushören. Was er aber nicht macht: sich über andere erheben, dozieren und moralisieren, eine vorgefertigte Meinung präsentieren. Auf der Bühne spricht er relativ schnell, endet seine Sätze oft auf einem hohen Ton, geht auf das Publikum ein. „Ich glaube, dass man mit dem erhobenen Zeigefinger weniger erreicht, als mit einem Text, an dem die Leute Spaß haben“, sagt er.

Julius arbeitet viel mit Motiven, die auf den ersten Blick kaum mit dem Thema zusammenhängen, der Boxkampf und die Energiewende beispielsweise. Oder das Kirschkernkissen, stellvertretend für eine ganze Reihe an Privilegien. Der Poetry-Slammer erzählt aus der Ich-Perspektive, von einem Aufwachsen in relativem Wohlstand und der Möglichkeit, sich ein Jahr Auszeit zu nehmen. Immer wieder fragt sich das erzählende Ich, ob es sich nicht für andere einsetzen sollte, für die Gleichberechtigung von Frauen oder für Ärmere. Und macht es sich dann doch wieder bequem. Auf dem Kirschkernkissen. Dieses Ich hat Ähnlichkeiten mit Julius, aber auf eine komische, überzeichnete Art. Denn er würde wohl eher nicht auf der Bühne mehr quaken und krächzen als sprechen. Oder sich hinhocken, so dass es aussieht, als säße er auf besagtem Kissen.

Der Slamtext breitet ein Spannungsfeld aus: Wie sehr darf man sich über die eigenen Privilegien freuen? Und wie sehr muss man sich für andere einsetzen? Eine endgültige Antwort findet Julius nicht, aber er sagt: „Ich denke, man kann sich darauf einigen, zumindest die Frage stellen, wo es einem besser geht als anderen.“ Ein Minimum, wenn es nach ihm geht, aber immerhin. Er tut sich schwer, über das Thema zu sprechen, rutscht auf seinem Stuhl leicht hin und her, bricht seine Sätze manchmal mittendrin ab und fängt neu an. Das hängt auch damit zusammen, wie der Text zustande kam: aus dem Wunsch heraus, sich mit den #MeToo-Vorfällen in der Poetry Slam-Szene auseinanderzusetzen, mit männlich-dominierten Strukturen. „Das Problem ist, dass Frauen davon abgehalten werden, ihre Texte vorzutragen, dass sie anders behandelt werden“, sagt er.

Sein Kirschkernkissen-Text läuft auf eine Selbsterkenntnis hinaus: „Ich bin behütet aufgewachsen, habe keine schlimmen Krankheiten, bin deutsch, männlich, weiß und hetero. Man kann nicht bestreiten, dass ich es gut habe.“ Nur: Wie vermittelt man diese Art der Reflexion, ohne dass der falsche Eindruck aufkommt, man wolle selbst im Mittelpunkt stehen? „Diese Linie zu laufen, ist schwierig“, sagt Julius. „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich den Diskurs nicht weiterbringe, dann schreibe ich auch den Text nicht.“

Oft spricht er auf der Bühne
von sich, wenn er
eigentlich alle meint

Ein Montagabend im vergangenen Herbst, es ist Julius’ erste Moderation beim „Bless the Mic“ in der Glockenbachwerkstatt, einem Abend, an dem Rapper und Poetry Slammer aufeinandertreffen. Jeden ersten Montag im Monat treten dort Unter-25-Jährige auf. Während der zweieinhalb Stunden drängt sich Julius eher nicht in den Vordergrund. Einige Späßchen gönnt er sich jedoch: Ein Zuschauer lost aus, in welcher Reihenfolge aufgetreten wird. Julius nennt ihn „Losgnom“, nicht Losfee. „Unsinn“, sagt Julius, „darf auch mal auf der Slambühne stattfinden.“

Mit den Poetry Slams angefangen hat Julius im Alter von 15, sein erster Text handelte von einem größenwahnsinnigen Elch. „Nicht das Werk, auf das ich heute noch ungeheuer stolz bin“, sagt Julius. Der Einstieg in die Szene sei ihm leicht gemacht worden: „Man sticht auf der Bühne heraus, indem man fünf Jahre jünger ist.“ Man sei erfolgreicher, als man eigentlich sein sollte, sagt er. Selbstkritik gehört für ihn dazu, genauso wie Selbstironie. Oft spricht er auf der Bühne von sich, zeigt manchmal sogar demonstrativ auf seinen Kopf, wenn er eigentlich alle meint.

Ein weiterer Text: Es geht um ökologisches Einkaufen und die Frage, welche Milch jetzt die beste fürs Tierwohl und Klima sei. „Es ist schwer, die großen Zusammenhänge im Kleinen, also etwa beim Einkaufen, im Auge zu behalten“, sagt er, nicht auf der Bühne, sondern ganz privat. Er sieht die Politik in der Pflicht, zu handeln. Sein Slamtext sagt das auch aus, klingt aber ganz anders: „Ich weiß, welche Milch ich kaufen soll, ich weiß aber auch, dass ich für nur 50 Cent ein Überraschungsei kaufen kann.“