Ein Tattoo, eine Tasche, ein Lebenstraum: Sarah Jungbauer studierte fünf Semester lang BWL, dann brach sie ab. Nach einer Beratung in der Agentur für Arbeit wagte sie den Neuanfang. Heute designt sie Taschen
Von Johanna Schmidt
Auf die Innenseite von Sarah Jungbauers linkem Mittelfinger ist ein kleines Pferd tätowiert. Das Tattoo hat sie seit einem Jahr, Sarah ist 28, und das Pferd wacht quasi über jeden ihrer Handgriffe.
Sarahs Hände sind wichtig, denn Sarah ist gelernte Sattlerin, sie kann Leder schneiden, nähen, formen und seit einiger Zeit designt und fertigt sie ihre eigenen Lederhandtaschen. Sarah sitzt in einer Bar in der Nähe vom Sendlinger Tor und nippt an einem Gin Tonic. Das Pferd lugt zwischen den Fingern hervor.
Dass Sarah einmal ein Handwerk wie Sattlerin lernen würde, war nicht absehbar. Nach dem Abitur war sie ein bisschen verloren. Kein Lebensplan, alle Möglichkeiten offen. Also entschied sie sich für ein BWL-Studium. „Mathe war in der Schule das, was ich am Besten konnte“, sagt Sarah, also schien BWL irgendwie sinnvoll, eine sichere Bank. Fünf Semester hielt Sarah durch, doch dann kam ein Praktikum, bei dem sie sich viel mit Marketing beschäftigte. „Auf einmal konnte ich mir nicht mehr vorstellen, den ganzen Tag Zahlen in einen PC einzutippen“, sagt Sarah. Also brach sie ihr Studium ab. Wenn Sarah über diese Entscheidung spricht, wirkt sie erleichtert.
Nach dem Abbruch wurde ihr außerdem klar: „Ich wollte was mit den Händen fertigen, was selbst herstellen“, sagt sie. Aber sie wusste noch nicht genau, was. Also ging sie zur Agentur für Arbeit und ließ sich beraten. Herauskam: Sattlerin.
Sarah hat seit vielen Jahren ein Pflegepferd in einer Reitanlage in Riem. Bei den Pferden zu sein, das war für Sarah immer schon Entspannung. Und als dann diese Ausbildungsempfehlung im Raum stand, dachte sie sich: Warum nicht? Also bewarb sie sich erfolgreich für einen Ausbildungsplatz in einem Münchner Betrieb und lernte, Sättel und Zäume herzustellen und zu reparieren.
Reiten ist ein beliebtes Hobby. Reiten ist aber auch ein Luxushobby – vor allem, wenn man ein eigenes Pferd hat. Pferde sind teuer. In der Haltung, der Anschaffung und der Ausrüstung. Für ein neues Zaumzeug und einen neuen Sattel werden schnell Preise um die 3000 Euro fällig. Und irgendjemand muss diese Sättel ja fertigen – also fast schon eine sichere Bank.
Doch auch hier merkte Sarah irgendwann, dass ihr das Herstellen von Sätteln zu wenig war, und: zu einseitig. „Ich wollte weiter lernen, selbst gestalten und meinen eigenen Stil finden“, sagt Sarah.
Also begann sie 2016 genau aus diesem Grund eine Weiterbildung zur Gestalterin im Handwerk an der Akademie für Gestaltung und Design. Sarah lernte dort unter anderem Skizzieren, Fotografieren und das Umsetzen von Entwürfen. Als Abschlussarbeit fertigt sie einen Koffer aus Leder, mit abnehmbarer Aktentasche. Als Sarah über den Koffer spricht, rollt sie die Augen und verzieht das Gesicht. „Den Koffer so zu bauen, dass er stabil ist, seine Funktion erfüllt und gut aussieht, war schwieriger als gedacht.“
Um noch besser, noch sicherer in ihrem Handwerk zu werden, arbeitete Sarah nicht nur in einem Lederatelier im Glockenbachviertel, sie zog auch für ein paar Monate nach Florenz. Dort gibt es eine anerkannte Lederfachschule, in einem Kloster, an der Designer aus Südkorea, den USA, Russland, Japan und eben auch Italien Leder verarbeiten. Die Herangehensweisen waren bei jedem unterschiedlich. Sarah erzählt beispielsweise von ausgefallenen koreanischen Designs und Taschen mit Glitzer.
Und auch sie selbst probierte in der Schule einfach viel aus. Sie stellte kleine Taschen her, große Taschen, Taschen für Visitenkarten, Taschen mit abgerundeten und mit geraden Kanten. „Ich habe für mich festgestellt, dass ich einfache, klare und schlichte Formen schätze. Die Funktion einer Tasche steht bei mir im Vordergrund“, sagt sie. 13 Taschen designte Sarah in den drei Monaten in Italien. Und als sie zurück nach Deutschland kam, wusste sie: Sie will sich selbständig machen.
Für ihre Tasche „puglia“, benannt nach Apulien, einer Region im Südosten Italiens, wurde sie für den oberbayerischen Förderpreis für Angewandte Kunst nominiert. Die Tasche besteht aus Dreiecken und lässt sich mit einer Lederkordel zuziehen und dadurch verschließen.
Materialfragen sind für Sarah wichtig: Sie versucht so ressourcenschonend wie möglich zu leben und auch zu arbeiten. Da stellt die Verarbeitung von Leder eine Herausforderung dar. Denn Leder an sich ist zwar ein Natur- und oft auch ein Abfallprodukt. Chemische Gerbung oder die Gerbung mit Pflanzen, Rinden und Blättern aus dem Urwald machen Leder jedoch zu einem Produkt, das der Natur schadet. Bei einer Fortbildung in Reutlingen hörte Sarah dann zum ersten Mal von „Oliven-Leder“. Das ist keine vegane Alternative zu Leder, sondern Leder, das mit Olivenblättern, und nicht mit Chemikalien wie zum Beispiel Chrom gegerbt wird. Die für die Gerbung verwendeten Olivenblätter sind – wie eben Leder auch – ein Abfallprodukt, das bei der Olivenernte anfällt. Und: Die Gerberei aus Reutlingen, die als einzige das Olivenleder herstellt, nutzt dafür nur Häute von Rindern aus dem süddeutschen Raum und von Wasserbüffeln aus dem Allgäu.
Sarah möchte all ihre Produkte aus diesem Leder herstellen. Auch wenn es sehr teuer ist. Um sich ihre Materialien leisten zu können und um ihre Firma aufzubauen, arbeitet Sarah 20 Stunden pro Woche in einem Bio-Laden.
Wenn es um die Kosten geht, wirkt Sarah nachdenklich. „Die vergangenen Monate habe ich mehr Businesspläne geschrieben als Taschen genäht. Es ist schon ein bisschen wie im Studium“, sagt sie und runzelt die Stirn. Vielleicht ist es also gut, gut in Mathe gewesen zu sein, zweieinhalb Jahre mit BWL verbracht, und schon einmal ganz viele Zahlen in einen Computer getippt zu haben.