Foto: Robert Haas.

Tweed, Trenchcoat und eine Tasse Tee

Sven Groh, 22, kleidet sich anders als seine Kommilitonen und geht schon mal zum Tontaubenschießen. Er sagt: „Auch wenn ich Deutscher bin, schlägt mein Herz eben ein kleines bisschen britisch.“

Von Laura Wiedemann

Gleich ist es 17 Uhr. Auf dem schweren, dunklen Holztisch vor Sven Groh, 22, steht schon eine große Tasse schwarzer Tee und etwas Milch. Der britische Nachmittagstee ist eine feste Größe im Leben des Münchner Kunstgeschichte- und BWL-Studenten, der sich selbst als anglophil bezeichnet. Anglophilie, das bedeutet die Liebe und Leidenschaft von Nicht-Briten zu Großbritannien und der englischen Kultur. Sven sagt: „Für mich sind die Briten die Nummer eins der Exzentriker. Das finde ich beeindruckend. Und das ist vielleicht auch das, was mir hier in Deutschland oft fehlt. Diese Unangepasstheit.“
Unangepasst und exzentrisch wirkt Sven allemal. Er trägt Anzug, Hemd, Krawatte und Anstecknadel. Noch bevor er sich die Milch mit Bedacht in den Tee schenkt, erklärt er die Entstehungsgeschichte des Afternoon-Tea im 19. Jahrhundert. Sven kennt viele Geschichten über Großbritannien. So sitzt er auf den gestreiften Polstermöbeln in der viktorianischen Teebar und erzählt. Neben den vertäfelten Wänden und den Kronleuchtern, die von der verspiegelten Decke hängen, sieht er fast selbst wie einer der britischen Herren aus vergangenen Zeiten aus, die auf den Gemälden an den Wänden zu sehen sind.
In der Teebar ist es nicht viel kühler als draußen. Ein schwüler Sommertag. Sven fächert sich etwas Luft mit seinen Notizblättern zu, sein Sakko will er lieber nicht ausziehen. „Das würde einfach nicht passen“, sagt er. „Ich kann den Herbst kaum erwarten. Endlich wieder Zeit, um Tweed und Trenchcoat zu tragen.“
Seine Liebe zur britischen Kultur geht aber weit über das Teetrinken und die vornehme Mode hinaus. Anglophil zu sein, ist für Sven eine Lebenseinstellung. „Für mich stecken schon hinter der Art, sich zu kleiden, gewisse englische Werte. Stilbewusstsein, aber auch Pragmatismus. Die Briten machen – wie so oft – auch hier das Praktische zur Tugend“, sagt er.
Werte und Traditionen spielen eine große Rolle in seinem Leben. Was viele Gleichaltrige ablehnen, schätzt Sven. „Das hört sich jetzt wahnsinnig altmodisch an, aber ich finde, hier in Deutschland könnte wieder mehr Tradition gelebt werden. Für mich hat das einfach etwas mit Verwurzelung zu tun. Und da fehlt mir hier das, wovon Großbritannien nicht abgelassen hat.“
Auf den ersten Blick wirkt seine Anglophilie wie eine Flucht vor der Veränderung. Das verneint Sven aber entschieden. Sich in die Vergangenheit flüchten, das wolle er auf keinen Fall. „Das Schöne an der anglophilen Community ist, dass gerade hier Tradition auf Moderne trifft“, sagt Sven. Es gebe aber mit Sicherheit auch solche, die sich in die Vergangenheit zurücksehnen, „weil sie mit der Gegenwart nicht klarkommen. Das finde ich gefährlich.“
Sven sagt: „Natürlich lebe ich in meiner Blase, aber eben nicht nur, ansonsten würde ich das Leben um mich herum ja verpassen.“ So stehen in seinem Studentenzimmer Ikea-Möbel neben Antiquitäten, in seinem Kleiderschrank hängen Jeanshosen neben Tweed-Anzügen. Und trotz großer Brexit-Kritik – als geborener Europäer könne er den Austritt der Briten einfach nicht gutheißen – verehrt Sven die britische Monarchie und bewundert den damit verbundenen Patriotismus. Dass sich diese Haltungen für viele seiner Bekannten und Kommilitonen ausschließen, stört Sven aber nicht. „Auf dieses Schubladendenken habe ich ohnehin keine Lust“, sagt er.
Schon als Kind habe er gerne Anzug getragen, erzählt Sven. Während seine Mutter ihm alle Freiheiten ließ, waren es vor allem seine Großeltern, die seine Liebe zu eleganter Kleidung, klassischer Kunst oder Musik prägten. Mit seiner ersten Reise nach London, im Alter von 13 Jahren, wurde dann vor allem sein Interesse für britische Geschichte und Kunst immer größer, wie er sagt. Kurz habe er es Mal mit Skate-Klamotten versucht, aber schon in seiner Jugend war dieses Förmliche des anglophilen Lebensstils nicht aus ihm herauszubringen. In der Schule ließ ihn diese ungewöhnliche Art schon mal anecken, doch wirkliche Probleme habe er deswegen weder früher mit Mitschülern, noch heute mit seinen Kommilitonen gehabt. „Ich habe eigentlich eher das Gefühl, die Leute bewundern es, wenn man sich eben nicht immer anpasst“, sagt Sven.
Auch in der Münchner Teebar genießt er die Blicke sichtlich, die er wegen seines Auftretens bekommt. Ganz anders sei es da vielen seiner Freunde aus der anglophilen Community ergangen. Lange Zeit lernte Sven Gleichgesinnte vor allem in Museen – er ist unter anderem Mitglied im Förderverein des ägyptischen Museums – oder in der Oper kennen. Doch auf Gleichaltrige traf er hier eher selten. Das stört Sven nicht. Auch unter älteren Semestern habe er unterhaltsame Kontakte knüpfen können. Er erzählt von Spazierfahrten mit Oldtimern, dem Tontaubenschießen oder Ausflügen auf den Golfplatz. „Das ist natürlich witzig. Und Golf gespielt habe ich einfach, weil ich den Sport ästhetisch finde. Aber wirklich interessante Menschen trifft man dort selten“, sagt Sven.
Alles verändert hat für ihn schließlich Instagram. Zuvor kam es nur selten vor, dass Sven Menschen begegnete, die sich explizit als anglophil bezeichnen, hier gibt es Hunderte von ihnen. Auch er nimmt seine knapp 250 Follower unter dem Namen @the_anglo_bavarian mit in seine Welt und teilt mit ihnen britisch anmutende Plätze mitten in München, postet Fotos von seiner persönlichen Feier zum Geburtstag der Queen und vernetzt sich mit anderen anglophilen Bloggern aus ganz Europa. „Als Traditionalist habe ich Social Media lange abgelehnt. Ich bin überhaupt erst durch eine Wette mit Freunden dazu gekommen, dort aktiv zu werden. Damals musste ich mir für einen Monat ein Instagram-Profil anlegen. Dann bin ich geblieben und heute möchte ich es nicht mehr missen“, sagt Sven.
Er sieht Instagram als Chance, anderen Menschen einen Einblick in seine Lebenswelt zu geben, findet aber auch selbst Inspiration bei anglophilen Influencern. Seine Kontakte innerhalb der Community will er jetzt nutzen und seine Freunde aus der digitalen Welt im echten Leben kennenlernen. Erst vor kurzem war er zu Besuch in Amsterdam und hat dort bei einem seiner digitalen Kontakte im vornehmen Herrenzimmer übernachtet. Bald soll es weiter nach Großbritannien gehen. Auf seiner Reise plant er dann auch einen Halt in seiner Lieblingsstadt London. Irgendwann soll aus einem Besuch ein Aufenthalt für immer werden. „Mein Wunsch und mein Ziel ist es, auf jeden Fall irgendwann in London zu leben, dort vielleicht mein Studium weiterzuführen, meinen Abschluss zu machen und zu arbeiten“, sagt Sven.
Aber was denken Briten eigentlich über Anglophilie? „Nichts Schlechtes“, sagt Sven. Er hofft es zumindest. Der Nachmittagstee ist ausgetrunken. Bevor es wieder hinaus geht aus der englischen Kulisse, verrät Sven noch sein Geheimnis zum fast perfekten britischen Akzent. Dann sagt er: „Ich will ja niemandem nachahmen oder vormachen, dass ich Brite sei. Aber auch wenn ich Deutscher bin, schlägt mein Herz eben ein kleines bisschen britisch.“