Kevin Riedl und Lucas Bergmüller (von links) haben das Projekt vor Augen, „nicht das schnelle Geld“. Foto: Mara Fischer

Trau dich

Kevin Riedl und Lucas Bergmüller produzieren Videos für Musiker wie Ray Dalton, Nura und Saibou. Sie wollen Geschichten erzählen – aber auf eine neue Art

Ray Dalton trägt eine goldene Stola unter dem weißen Gewand. Immer wieder hebt er seine Arme, singt und dreht sich um die eigene Achse. Sechs Tänzer bilden einen Kreis um ihn – stehen auf einer steinernen Plattform inmitten einer Wasserhöhle. Und als die Kamera dann von oben, vorbei an einem großen Stalaktiten, die Gruppe filmt, reißt Dalton beide Hände in die Luft, während die Tänzer rücklings in das Wasserbecken fallen.

Die Atmosphäre im Musikvideo wirkt mystisch, beinahe sakral: Grund dafür ist die Location – eine Cenote auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán, ebenso wie die Kostüme, die Choreografie, sowie die Beleuchtung, Kameraführung und nicht zuletzt der Schnitt. Verantwortlich für die Umsetzung ist die Münchner Firma OFF Films – allen voran die Gründer Kevin Riedl und Lucas Bergmüller. Für die Videoproduktion von „In My Bones“, Ray Daltons Hit-Single, reisten die 26-Jährigen gemeinsam mit ihrem Team von München nach Mittelamerika.

Zu dieser Zeit meldet Bayern den ersten Corona-Fall, eine Pandemie fürchten dennoch die wenigsten. Rund ein Jahr später, im Februar 2021, sitzen Lucas und Kevin vor einer Computerkamera in ihrem Gemeinschaftsbüro in der Dachauer Straße. Immer noch ist Lockdown, immer noch gibt es Kontaktbeschränkungen. „In den ersten zwei Pandemie-Monaten konnten wir nicht drehen, dann ging es wieder bergauf. An unseren Sets herrschen strenge Hygienemaßnahmen. Wir achten auf Sicherheit“, sagt Lucas. OFF Films produziert Fotos und Videos für Brands und Musiker. Neben Ray Dalton – der unter anderem im Refrain von Macklemores „Can’t Hold Us“ zu hören ist – zählen im deutschsprachigen Raum Lary, Nura, Badchieff, sowie die Münchner Rapper XAY und Saibou zu ihren Kunden.

Ihr Kernteam besteht aus fünf Personen – „und je nach Projekt kommen andere Leute dazu“, sagt Kevin. Vor rund drei Jahren gründeten er und Lucas die Firma – Berufseinsteiger waren sie auch damals nicht: Schon nach ihrem Fotodesign-Studium arbeiteten beide mehrere Jahre freiberuflich. Kevin fotografierte Architektur. Lucas widmete sich den Bereichen Mode und Musik, spielte auch selbst in Bands. Beide sammelten Erfahrung und fanden Gefallen an der selbständigen Arbeit. „Die Gründung von OFF Films war der nächste logische Schritt“, sagt Kevin heute.

In ihrem ersten Firmenjahr schnitten sie Showreels und verschickten eine Mail nach der anderen: Nur nicht locker lassen und zeigen, was man kann. „Unsere Kunden sollten immer sehen, dass wir das Endprojekt vor Augen haben und nicht das schnelle Geld. Wir haben Spaß an der Arbeit und stehen gerne 18 Stunden am Set“, sagt Lucas. Kevin nickt.

Ihre Moodboards sind gespickt mit Ausschnitten aus Spielfilmen. Häufig sind es US-amerikanische und französische Produktionen, die sie inspirieren. Ihr Motto: „Sich mehr trauen – sei es in Bezug auf den Cast oder die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen. Es geht darum, neue Wege zu gehen“, sagt Lucas. Auch Musik spielt für sie eine große Rolle, selbst bei Werbefilmen. Lucas kommt ursprünglich aus dem Indie-Bereich, während sich Kevin im Hip-Hop zu Hause fühlt.

Es geht ihnen darum, Künstlerinnen in ihrer Individualität zu zeigen

Im Zoom-Interview sitzen sie Münchner vor einer weißen Wand mit Magazinen, die an metallenen Schnüren hängen. Darunter ist auch „Das ist Deutschrap“, ein Panini-Stickeralbum, für das Kevin und Lucas fotografiert haben. Spannend wird es immer dann, wenn sie ihre individuellen Geschmäcker verbinden oder Elemente aus anderen Bereichen adaptieren. Im Video zu Saibous Track „Run It Up“ haben sie sich an sportlichen Narrativen bedient: „Wir kennen den Künstler gut und wissen, welchen Stellenwert Sport in seinem Leben hat“, sagt Kevin. Im Idealfall könnten Musiker ihnen erzählen, was sie sich beim Schreiben ihrer Texte gedacht haben – und dann gemeinsam überlegen: Wie sieht Selbstbehauptung in einem Musikvideo aus? Wie Herzschmerz? Es geht ihnen darum, Künstlerinnen in ihrer Individualität zu zeigen – sich weiterzuentwickeln, sich mehr zu trauen.

Von Anastasia Trenkler