Abfeiern ohne Aerosole? Beats mit Beschränkungen? Niklas Trinkl, 22, Lennart Rabe, 21, und Jamie Klüh, 22, wollen diesen Sommer wieder Partys veranstalten – als Veranstalter für elektronische Musik kämpfen sie gegen Vorurteile.
Seit Monaten ist es nun schon still im Backstage. Das Kulturzentrum am Hirschgarten steckt, wie die gesamte Münchner Veranstaltungsbranche, im Winterschlaf des Corona-Lockdowns. Stille. Nichts geht. Übrig bleiben leere Hallen, Plakate längst abgesagter Konzerte, zusammengestellte Bierbänke – und die Menschen natürlich, die mit der Kunst vormals ihr Leben finanzierten.
Menschen wie Niklas Trinkl, 22, Lennart Rabe, 21, und Jamie Klüh, 22. Die drei jungen Münchner stehen gemeinsam hinter dem Projekt Tribe Creations. Ein Plattenlabel ist es. Und auch ein Veranstaltungsformat, das unter dem Namen Psychedelic Tribe bunte Partys im Münchner Raum, insbesondere im Backstage, veranstaltet – oder besser: veranstaltet hat. Seit einem Jahr nun stehen die Turntables des Kollektivs still.
„Derzeit sind wir voll dafür, die sozialen Kontakte möglichst einzuschränken“, erklärt Niklas. „Dennoch hätten wir uns etwa im Sommer gewünscht, kleine Partys im sicheren Rahmen und mit Hygienekonzept organisieren zu dürfen.“ Das Problem sieht er dabei, als Veranstalter für elektronische Musik ständig gegen Vorurteile kämpfen zu müssen, vor allem bei den Ämtern der Stadt. „Dabei hätten wir alles dafür getan, eine solche Party nicht aus dem Ruder laufen zu lassen“, pflichtet ihm Lennart bei. In diesem Sommer wollen sie zusammen mit anderen Kollektiven zeigen, dass genau das geht: Party mit Verantwortung. Techno mit Abstand.
Die drei jungen Münchner sitzen zusammen auf einer breiten Couch im Keller ihrer WG, den sie zum Studio und Proberaum umfunktioniert haben. Niklas, breites Grinsen, die kurzen braunen Haare unter einer schwarz-weiß-gemusterten Cap versteckt, erzählt von den Anfängen des Projekts, von den ersten Partys: familiärer Rahmen, selbstgebastelte Deko, unbeschwerte Sommernächte. Aus Maisach bei Fürstenfeldbruck zog es ihn und Lennart dann nach München, wo die Locations größer und die kreativen Möglichkeiten vielfältiger sind. Dort lernten sie Jamie kennen, der gerade nach München gezogen war und unter dem Namen James Watson selbst als DJ aktiv ist. Lennart, schmale Statur, Undercut-Frisur und etwas träumerische Ausstrahlung, erinnert sich: „Das war schon richtig erfüllend, wenn uns Menschen nach den Partys angesprochen haben und sich für die tolle Nacht bedankt haben.“ Während er und Jamie dort auch als DJs auflegen, bleibt Niklas meist im Hintergrund und überlässt den beiden anderen die Bühne. Er ist für die Organisation der Veranstaltungen zuständig.
Die Musik, die auf den Events des Kollektivs gespielt wird, nennt sich Psy-Trance. Ursprünglich unter dem Namen Goa bekannt, entspringt diese Spielart elektronischer Musik den Open-Air-Partys der Achtzigerjahre in Goa, der gleichnamigen Region an der indischen Westküste. Damals wurden Skalen und Melodiereihen fremder Musiktraditionen mit einem treibenden 4/4-Bass vermischt. Das Genre hat sich seitdem allerdings stark gewandelt.
Geblieben ist beim Münchner Tribe Creations die aufwendig hergerichtete Dekoration für ihre Feiern. Neonfarbene Bänder und Streifen, die schwungvoll miteinander verknotet werden und so den Raum in ein recht einzigartiges Licht tauchen. Was die jungen Münchner selbst an ihren Veranstaltungen am meisten schätzen? „Es herrscht ein ganz einzigartiger Vibe“, erzählt Niklas. „Auf einer Psy-Trance-Party entsteht ein großes Gemeinschaftsgefühl“, sagt Jamie. „Die Leute achten wirklich aufeinander. Das gibt es so in keinem anderen Genre.“ Der gebürtige Freiburger weiß, wovon er spricht: Vor seinem Umzug nach München legte er vor allem in Techno-Clubs auf.
Diese Suche nach Gemeinschaftsgefühl spiegelt sich auch im Namen des Projekts wider. Das Musiklabel, Tribe Creations, wollen sie hingegen bewusst offen halten für andere Musikrichtungen. „Wenn jetzt jemand kommt und Hip-Hop-Beats produzieren will oder Elektro, dann freuen wir uns“, sagt Niklas. Sie sehen sich als Plattform, um lokalen Künstlern eine Plattform zu geben – sie miteinander zu vernetzen.
„In unserem Genre wird man schnell über einen Kamm geschoren.“
Jamie schließt gerade eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker ab. Auch Niklas und Lennart arbeiteten bis vor einem Jahr für das Münchner Nacht- und Kulturleben. Eine Welt, die immer vielfältiger, unübersichtlicher, bunter wurde. Dann kam Corona – und damit auch die Sorgen um die Zukunft ihres Projekts. „Wir haben alle zum Glück finanziell noch ein anderes Standbein gefunden“, erzählt Lennart. Anstatt Bühnen zu beleuchten, fährt er nun für die DHL Pakete aus. Übergangsweise. Hofft er. Die Novemberhilfe der Bundesregierung, die Selbstständigen wie ihm in der Kreativbranche durch den zweiten Lockdown helfen sollte, brachte nicht viel.
Es gab aber auch positive Ansätze, das wollen sie dann doch betonen. Sie erzählen von Seminaren, in denen Vernetzung stattfand, neue Konzepte ausgearbeitet wurden. Mit anderen Akteuren aus der elektronischen Musikszene tüfteln die Macher vom Tribe Creations an einer Möglichkeit, infektionsfreie Raves an der frischen Luft zu organisieren, mit Sicherheitsabstand und klaren Vorschriften. „Leider hat sich beim KVR niemand davon überzeugen lassen“, erzählt Jamie etwas enttäuscht. „Ich glaube, das Problem liegt darin, dass man in unserem Genre schnell über einen Kamm geschoren wird“, sagt er dann. Die Bilder von der ausufernden Schlauchboot-Techno-Party in Berlin haben die Behörden misstrauisch werden lassen. Nun hofft das Tribe Creations, im kommenden Sommer einen neuen Anlauf für Corona-konforme Psy-Trance-Partys nehmen zu können – sollten das die Infektionszahlen dann wieder erlauben.
Bis dahin will Niklas, das Organisationstalent des Tribe Creations, auf jeden Fall eine Lösung gefunden haben. Seine Festanstellung beim Backstage am Hirschgarten nutzt er derweil für Renovierungsarbeiten. Damit das Kulturzentrum, wenn es im Sommer hoffentlich wieder Konzerte beherbergen wird, sich von seiner besten Seite zeigen kann. Ob dann auch wieder eine Psy-Trance-Party stattfinden kann? Abfeiern ohne Aerosole? Beats mit Beschränkungen? Mal sehen. Die Veranstaltungsstätte wird derzeit allerdings noch zu einem ganz anderen Zweck genutzt. Es bilden sich teilweise sogar lange Schlangen vor dem Eingang. Nur stehen die Menschen nicht für ein Konzert an. Oder eine Party. Das Backstage ist zum Corona-Testzentrum umfunktioniert worden. Übergangsweise.
Von Louis Seibert