Eines ist Gina Gleißner wichtig, stellt sie klar. Sie ist ein Mensch mit Diabetes, keine Diabetikerin. Foto: Florian Peljak
Sie ist seit vielen Jahren Diabetes Typ1. Heute studiert sie nicht nur Sonderpädagogik, sondern auch Sport. Sie hat eine eigenwillige Sitzposition zwischen den Säulen am Eingangsportal des LMU-Gebäudes Ludwigstraße 28 gefunden, zwischen denen sie sich einspreizt. Nachdem ich sie so fotografiert habe, meint sie ganz beiläufig am Ende, dass sie auch klettert.

Einschränkung? Von wegen

Nach dem Abitur ist Gina Gleißner, 22, für ein Jahr nach Benin in Westafrika gegangen. Heute studiert sie Sport. Und sie hat Typ-1-Diabetes. Geht das gut?

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Mut zum Tackling

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Bei den ersten Football-Trainingseinheiten in Starnberg zeigte sich Jasper Friis, 18, noch extrem schüchtern. Jetzt spielt er in der ersten College-Liga in den USA.

Auf dem Tisch liegt ein Tablett, darauf ein beachtlicher Berg Pommes. „Heute ist Cheat-Day“, sagt Jasper Friis und beißt von einem triefenden, panierten Hähnchenteil ab. Er sitzt in einem Münchner Fast-Food-Restaurant und genießt eine Woche Heimaturlaub. Der 18-Jährige hat pro Woche einen Tag, an dem er sich um seinen strikten Ernährungsplan schummeln darf. Man sieht Jasper an, dass er gerne isst. Auf seine zwei Meter Körpergröße kommen knapp 150 Kilo. Verzichten fällt ihm im Moment aber besonders leicht: Seine Karriere als Leistungssportler ist in jüngster Zeit sehr schnell sehr ernst geworden: Die University of California, auch bekannt unter dem Namen „Berkeley“, hat den jungen Mann aus Gauting für ihr Football-Team rekrutiert. Er spielt kommende Saison in der ersten College-Liga. Football trainieren Amerikaner gerne schon im Kindesalter – nicht nur erstaunlich, dass ein Deutscher den Sprung schafft, Jasper ist erst im Teenageralter zu diesem Sport gekommen.

Ein Blick zurück: Zwei Dutzend Jungs zwischen 14 und 19 hatten gerade die zweite Runde um den Platz gedreht und warfen sich für ihre Dehn- und Aufwärmübungen in den Matsch. Sie waren mit dem Warm-up fast fertig, da eilte ein Nachzügler aus der Kabine die Treppe hinunter auf den Rasen. Er hatte jemanden mitgebracht – Jasper. Dieser wolle einmal probehalber mittrainieren. Der damals noch Zwölfjährige zog den ein oder anderen unauffällig musternden Blick auf sich. Manch einer war zwei Köpfe kleiner als er. Seine wuchtige Statur hätte es ihm erlaubt, bei den Herren mitzuspielen. Die Trainer erkannten angesichts seiner körperlichen Voraussetzungen Potenzial und wollten den Neuling ins Team aufnehmen. Sie stellten ihn in die Offensive Line, jene Reihe von Spielern, die den Spielführer, den Quarterback, beim Werfen beschützt und für den Ballträger, den Runningback, Gegner aus dem Weg schaufelt. Die schweren Jungs im Football.

Seinen Teamkameraden – vor allem den unerfahrenen – kostete es erst einmal Überwindung, die Karambolage mit solch einem Schwergewicht zu suchen. Aber das legte sich im Training schnell, beim „Big-Cat-Drill“ etwa. Hier stehen zwei schwere Spieler nur eine Ball-Länge entfernt in einer Pose gegenüber, die an einen Sumokampf erinnert. Wer es auf Pfiff schafft, den anderen mit gebündelter Kraft weiter nach hinten zu schieben, gewinnt. Eine Aufgabe, bei der man davon ausgehen würde, dass Jasper es durch seine körperliche Überlegenheit einfach gehabt hätte – dem war aber keineswegs so: Sogar die Schmächtigsten unter seinen Teamkollegen schoben den Riesen über das Feld, als wäre es ein Schachspiel. Sie bemühten sich beim Drill sogar um den Platz in der Schlange, der sie gegen Jasper antreten ließ, er galt als leichtes Ziel.

Jasper selbst hatte damals seinen Körper nicht verstanden. Die Schere zwischen seiner Physis und seiner Persönlichkeit klaffte weit auf. Öffnete er den Mund, um sich vorzustellen, so kam ein sanftes Piepsen an die Oberfläche, wo man ein maskulines Grummeln erwartet hätte. Es wirkte, als könnte er nicht einmal einer der aggressiven Starnberger Moor-Mücken einen Flügel krümmen, die in dichten dunklen Wolken den Footballern beim Training das Leben erschweren. „Ich war traurig, weil ich wusste, dass ich besser sein könnte“, sagt er heute.

Jasper arbeitete in Starnberg zwei Jahre lang an sich. An seiner Explosivität und seiner Technik. Von diesem Punkt an ging alles unglaublich schnell: Er wurde in die Bayerische Landesauswahl aufgenommen, in der Saison darauf rekrutierte ihn die Jugend-Bundesliga-Mannschaft der Razorbacks aus Fürstenfeldbruck. Videomaterial von seinen Spielen geriet in die Hände amerikanischer Coaches und überzeugte. Er wurde nach San Bernardino eingeladen, um für die Aquinas-Highschool aufzulaufen. Einmal in Amerika Football spielen – in seinem bisherigen Freundeskreis war das der Traum aller. Als er den Vertrag in Berkeley unterzeichnete, verpflichtete er sich dazu, diesen Traum zur täglichen Routine zu machen.

Momentan muss er dreimal die Woche um 5.30 Uhr aufstehen. Er verlässt das Wohnheim früh am Morgen, um zum Stadion zu gehen. Die Ernährungsschulungen haben ihm beigebracht, dass ein Stück Ananas oder ein Energieriegel an dieser Stelle als Frühstück reichen muss. Zwei Stunden lang trainiert er, während seine Kommilitonen noch schlafen. Danach muss er wie jeder andere Student in die Vorlesung. Berkeley gilt akademisch als Elite-Uni, das macht die Sache für Jasper nicht gerade leichter. Angewandte Mathematik studiert er. Um 16 Uhr hat er wieder für die nächste Trainingseinheit auf dem Platz zu stehen. Noch hat die Saison nicht begonnen, aber spätestens dann findet das Programm täglich statt.

Zurück im Fast-Food-Restaurant: Jasper saugt an einem Strohhalm, um die letzten Tropfen Sprite aus dem Becher zu ziehen. Jasper merkt, dass auf einmal jeder mit ihm befreundet sein will, jetzt, wo er zu den aufsteigenden Sportlern gehört. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass aus Jasper in den kommenden Jahren einer von den ganz Großen wird. Reserviert bleibt seine Freundschaft aber denjenigen, sagt er, die den Willen und die Arbeit sehen, die Jasper in seine Leidenschaft steckt – und nicht nur das Logo auf seinem Trikot.  

Text: Hubert Spangler

Foto: Ariel Nava

Gute Vibrationen

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Elisabeth Brichta, 21, ist Mitglied der Nikita Dance Crew, einer Gruppe aus gehörlosen und hörenden Tänzern. Wenn sie nicht tanzt, studiert die junge Frau Gebärdensprachdolmetschen. Außerdem gibt sie selbst bilingualen Hip-Hop-Unterricht

Mit weißem Trikot und einer engen schwarzen Leggins steht Elisabeth Brichta, 21, im Tanzstudio, die Haare zu einem Zopf gebunden. Bevor das Training losgeht, unterhält sie sich mit den anderen Mädels der Nikita Dance Crew. Auf Gebärdensprache. Verständigungsprobleme hat sie nicht, denn Elisabeth studiert Gebärdensprachdolmetschen. Die jungen Frauen bewegen ihre Hände. Sie schauen mal fragend, mal lächelnd, oder sie nicken sich einfach zu – ein Code, der für Laien nicht zu entschlüsseln ist und begleitet wird von Gestik und Mimik.

„Wir proben jetzt Amerika“, sagt Elisabeth laut, denn heute sind auch ein paar Zuschauer zum Training gekommen. Amerika – so nennt die Gruppe die Choreografie, die sie vergangenes Jahr beim Bay Area International Deaf Dance Festival in den USA aufgeführt haben. Die Nikita Dance Crew ist die einzige Tanzgruppe in Deutschland, die aus hörenden und nichthörenden Mitgliedern besteht. Hier tanzen hörende, wie Elisabeth Brichta, und gehörlose Protagonisten, wie Trainerin Kassandra Wedel, in einer Gruppe zusammen. Sie treten deutschlandweit und international auf.

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Musik und Tanz? Gehörlos? Wie soll das funktionieren? „Die Musik ist in unserer Tanzgruppe nicht viel lauter als woanders“, sagt Elisabeth. Lediglich der Bass ist in den Tanzstunden der Nikita Dance Crew etwas stärker gestellt. „Wenn der Bass lauter ist, fühlt man ihn besser in der Brust, am Körper. Das ist so ähnlich wie bei einem Konzert“, erklärt die Tänzerin. Dieses Fühlen der Vibrationen sei ausschlaggebend. Im Tanzstudio in der Sonnenstraße in München, in dem sich die Tanzgruppe zum Proben trifft, steht der Bass auf dem Parkettboden. „So kann man den Bass auch über die Füße erfühlen, der Parkettboden leitet ihn dann sozusagen weiter“, sagt Elisabeth, die schon seit Ende 2013 mittanzt.
 Nicht alle aus der Tanzgruppe können Gebärdensprache so wie Elisabeth. Es ist auch keine Voraussetzung, um mittanzen zu können. Die Leidenschaft und die Begeisterung für das Tanzen stehen im Vordergrund. Elisabeth tanzt seit ihrem zwölften Lebensjahr. Bei ihr treffen das Interesse für Gebärdensprache und die Liebe zum Tanzen aufeinander. Wenn sie nicht tanzt, dann studiert sie an der Hochschule in Landshut Gebärdensprachdolmetschen. Mittlerweile im vierten Semester. Es besteht aktuell ein großer Bedarf an Gebärdensprachdolmetschern. „Auf 80 000 Gehörlose kommen in Deutschland 800 Dolmetscher“, sagt sie.

In vielen Choreografien der Nikita Dance Crew mischen sich Elemente aus Tanz mit Gebärdensprache. Dadurch werden tänzerisch Geschichten erzählt. „Die Gebärdensprache hat ihre eigene Grammatik, sie ist eine natürliche Sprache. Beim Dolmetschen kommt es aber nicht nur darauf an, das Gesprochene in Gebärden zu übersetzen oder andersherum, sondern man muss auch kulturell übersetzen“, sagt Elisabeth. Man sei eben nicht nur Dolmetscher, sondern auch Vermittler zwischen zwei Kulturen. Gehörlose seien beispielsweise in ihren Formulierungen manchmal viel direkter. Dies kann bei hörenden Menschen schnell unhöflich wirken, deshalb muss man beim Dolmetschen auch auf Feinheiten dieser Art achten. „Das kann einen täglich zur Verzweiflung bringen“, sagt Elisabeth. Bei wichtigen Terminen, wie zum Beispiel Gerichtsverhandlungen, kann das Übersetzen sehr viel beeinflussen. Die deutsche Gebärdensprache wurde erst 2002 offiziell als eigenständige Sprache anerkannt.

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Bevor sie mit dem Gebärdensprachdolmetscher-Studium angefangen hat, absolvierte Elisabeth eine Tanzausbildung am Iwanson in München, einer Schule für zeitgenössischen Tanz. Normalerweise dauert diese Ausbildung drei Jahre, Elisabeth hat sie aber frühzeitig nach einem Jahr mit einem Zertifikat beendet und dann das Studium in Landshut begonnen. „Das war viel mit Jazz und Ballett und weniger Hip-Hop und ich habe gemerkt, dass es nicht so ganz meins ist und habe dann zum Gebärdensprachdolmetschen gewechselt“, sagt Elisabeth. Woher aber kommt das starke Interesse an der Gebärdensprache? Elisabeth sagt, es sei auf keinen Fall dieses Helfersyndrom, das sie dazu gebracht habe, das Studium aufzunehmen. Eher eine Art Faszination, nachdem sie den Film „Jenseits der Stille“ gesehen hat. „Aus Interesse und Neugier habe ich dann einen VHS-Kurs Gebärdensprache besucht“, sagt sie. Das war, bevor sie zur Nikita Dance Crew gekommen ist. Als sie dann einmal zu einem Poetry Slam ging, bei dem die Gruppe auch performte, sprach sie nach der Veranstaltung Kassandra Wedel an. Ging kurz darauf zu einer Probestunde. Und blieb. 

„Mittlerweile ist Eli meine Co-Trainerin. Wenn ich einmal nicht da bin, oder wir Probleme mit der Musikanlage haben, übernimmt sie“, sagt Kassandra Wedel. Die Trainerin mit den orange-roten Haaren ist gehörlos und als Schauspielerin und Tänzerin aktiv. Sie hat die Gruppe vor mehr als zehn Jahren gegründet. „Es gab damals keinen Tanzunterricht, bei dem die Musik gut fühlbar war, oder der auf Gebärdensprache abgehalten wurde. In hörenden Tanzcrews war ich immer die einzige Gehörlose“, sagt Kassandra. Fälschlicherweise wurde da oft angenommen, dass sie genug verstehen würde, weil sie auch sprechen kann. „Ich kopierte und lernte nur die Tanzsprache gut. Alles, was um mich herum besprochen wurde, bekam ich nicht mit“, sagt sie. Also hat sie selbst eine Gruppe gegründet, die Begegnungen und einen Raum für Kreativität schafft. Mit fühlbarer Musik und Erklärungen, wie man auch ohne Gehör zu einem Rhythmus tanzen kann.

Für Elisabeth steht fest: Sie möchte das Tanzen mit dem Gebärdensprachdolmetschen verbinden. Samstags gibt die Studentin deshalb auch eigene Hip-Hop- und Lyrical-Jazz-Stunden in einem Tanzstudio in Haar, und zwar bilingual. „Jeder ist in meinen Stunden willkommen. Ich spreche laut und mache dazu die Gebärdensprache.“ 

Es geht weiter mit dem Training. Schließlich steht im Mai ein Auftritt der Tanzcrew beim Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in München auf dem Marienplatz an. Gehörlose, sowie hörende Menschen werden im Publikum stehen. Die Schritte sitzen, jede Bewegung wird sauber und synchron zu dem Hip-Hop-Track und dem Rhythmus ausgeführt, der durch den Bass für alle spürbar ist. Für Außenstehende ist kein Unterschied zu anderen Tanzgruppen bemerkbar.

Foto: Alessandra Schellnegger

Text: Ornella Cosenza

Kämpfen bis zum Bleiberecht

Seit Arif Abdullah Haidary, 18, in Deutschland lebt, ist für ihn ganz klar, für welches Land er als Karateka antreten will – Aufenthaltsstatus hin oder her.

Arif ist ein Kämpfer. Schon früh hat er gelernt, dass man sich Respekt hart erarbeiten muss – und dass man niemals aufgeben darf, an seine Ziele zu glauben und für die eigenen Werte einzutreten. Selbst dann, wenn man eine gebrochene Nase oder gar das eigene Leben riskiert.

Seit er 13 ist, trainiert Arif Abdullah Haidary, 18, Kyokushinkai. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Karate, der völlig auf Körperkontakt verzichtet, kämpft er eine Vollkontakt-Variante. Es zählt zu einem der härtesten Karate-Stile und erfordert ein Höchstmaß an Disziplin. Jetzt bekommt er eventuell die Chance, für Deutschland zu kämpfen – und das, obwohl er nicht weiß, wie lange er hier noch bleiben darf.

In seinem Heimatland Afghanistan seien Kampfsportarten sehr beliebt, vergleichbar mit Fußball in Deutschland, sagt Arif. Nur wenige würden sich jedoch für Karate entscheiden. „Im Karate gibt es viel mehr Regeln als zum Beispiel beim Kickboxen“, sagt er. Ihm haben aber genau diese Regeln und die erforderliche Disziplin besonders gut gefallen: Man müsse pünktlich sein, sich ordentlich kleiden, auf den Trainer hören. „Es ist egal, ob jemand schwarz oder weiß ist oder welcher Religion er angehört – sobald er zum Training kommt, spielt das alles keine Rolle mehr“, sagt Arif, dessen kurzes, schwarzes Haar mit Gel in Form gehalten wird. Er ist nicht besonders groß oder muskulös, aber auf den Wettkampfbildern, die er stolz auf seinem Smartphone zeigt, lassen seine Körperhaltung und sein konzentrierter Blick keinen Zweifel daran, dass Arif im Wettkampf alles gibt.

In Afghanistan hatte Arif bereits den schwarzen Gürtel – die höchstmögliche Auszeichnung – erworben und für das dortige Nationalteam gekämpft. All seine Urkunden und Zertifikate hat er den ganzen beschwerlichen Weg von Afghanistan nach Deutschland transportiert. Es herrscht Krieg, und das einzige, was jemand rettet, sind seine Karate-Urkunden? Was im ersten Moment befremdlich wirkt, ist für den jungen Mann offenbar selbstverständlich. So nimmt jeder mit, was für ihn von Wert ist.

In Deutschland hat Arif wieder bei Null angefangen – in vielerlei Hinsicht. Zumindest beim Karate hat er diese Entscheidung aber selbst getroffen und sich bewusst dafür entschieden, noch einmal neu anzufangen – mit dem weißen Gürtel. Er habe darin eine Möglichkeit gesehen, sein Deutsch zu verbessern, sagt Arif. Wenn er spricht, blicken seine braunen Augen stets freundlich, doch lachen sieht man ihn nur sehr selten. Wie eine scheue Katze scheint etwas in ihm immer auf der Hut zu sein.

Innerhalb der zwei Jahre, die er nun schon mit zwei Brüdern in Deutschland lebt, hat er es erneut geschafft, bis zum braunen Gürtel aufzusteigen.
Im vergangenen Jahr hat Arif bei den German Open in Stuttgart in seiner Altersgruppe den ersten Platz erreicht. In diesem Jahr wird er am 25. November bei den deutschen Meisterschaften antreten, dort kann er sich für internationale Wettbewerbe qualifizieren.

Ein offizielles Nationalteam für die Kampfrichtung Kyokushinkai befindet sich gerade noch im Aufbau. Jeder, der Interesse an einer Teilnahme hat, wird eingeladen. Jedoch würden zu den Wettkämpfen natürlich nur die Besten im Kader geschickt, sagt Stefan Beer, Kyokushin-Trainer von Arif. Als Trainer und Präsident des Vereins KKD, kurz für Kyokushinkai Karate Deutschland, kann Beer das Können von Arif einschätzen. Auf deutscher Ebene rechnet Beer seinem Schützling gute Chancen aus, im internationalen Vergleich aber ist die Messlatte deutlich höher angesetzt, weil es in Ländern wie Polen oder Brasilien Standard ist, dass die Sportler acht Stunden täglich trainieren.

„Von seinem Talent und seinem Herz her hat Arif großes Potenzial“, sagt Beer. Vergessen dürfe man in seinem besonderen Fall aber auch nicht sein Handicap, wie Beer es nennt: Arifs Asylantrag ist auch nach zwei Jahren in Deutschland noch nicht genehmigt, jederzeit könnten die deutschen Behörden entscheiden, dass Arif das Land wieder verlassen muss. Mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus kann Arif deshalb nicht einfach beliebig oft aus- und einreisen. Seine sportliche Karriere bleibt somit schon allein deshalb vorerst auf Deutschland beschränkt.

Dennoch ist Arif ein junger Mann mit großen Plänen. Gerade hat er seinen Abschluss an einer Berufsfachschule gemacht, nun schreibt er Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz als Medientechniker. Zudem arbeitet er mit seinem Bruder an der Umsetzung einer mehrsprachigen Zeitung von und für Flüchtlinge. Nebenbei hat er kürzlich auch noch eine Ausbildung zum Jugendleiter für Karate gemacht.

Seit Arif in Deutschland lebt, ist für ihn ganz klar, für welches Land er kämpft – Aufenthaltsstatus hin oder her. „Ich kämpfe unter deutscher Flagge“, sagt der gebürtige Afghane. Für ihn sei es eine Ehre, für Deutschland anzutreten – und zu gewinnen. Er sehe darin eine Möglichkeit, den Deutschen, die ihm so viel geholfen hätten, etwas zurückzugeben, sagt er.

Dennoch wirkt der sonst so ruhige Arif für einen Moment fast verärgert, als das Thema zur Sprache kommt. Es fällt ihm sichtlich schwer zu verstehen, wie die deutschen Behörden überhaupt darüber nachdenken können, ihn in ein Land zurückzuschicken, in dem ganz offensichtlich Krieg herrscht. „In den Asylverfahren wird in drei Tagen über dein ganzes Leben entschieden“, sagt Arif und schüttelt traurig den Kopf. Bis es zu seiner Anhörung kommt – irgendwann in den nächsten zwei Wochen oder den nächsten zwei Jahren – könnte Arif einfach nur abwarten, doch stattdessen hat er sich dafür entschieden zu kämpfen.

„Vor dem Krieg hatten wir in Afghanistan ein gutes Leben“, sagt Arif. Es gab für ihn und seine Familie keinen Grund zu fliehen. Sein Vater ist Herausgeber einer Tageszeitung in Afghanistan, und auch Arif und seine Brüder haben für die Zeitung als Journalisten gearbeitet. Am Ende war genau jene Arbeit der Grund für ihre Flucht: Eines Tages explodierte im Auto des Bruders eine Bombe, als sie gerade auf dem Weg zur Arbeit waren. „Wir hatten alles – nur keine Sicherheit mehr“, sagt Arif, dessen rechte Wange seitdem von einer Narbe gezeichnet ist. Der Vater befahl ihnen zu fliehen, aber er gab ihnen auch eine wichtige Lektion mit auf den Weg: „Ein Journalist hat nur seinen Stift als Waffe – aber diese Waffe muss er nutzen.“

Arif hat sich diesen Satz sehr zu Herzen genommen. Seit er in Deutschland ist, arbeitet er ehrenamtlich beim Radio Feierwerk für das Format Munich International Radio, engagiert sich in verschiedenen Flüchtlingsinitiativen wie Mut Bayern und arbeitet nach wie vor als Auslandsreporter für die Zeitung seines Vaters, die über die Lage von Afghanen in Deutschland berichtet. Dass die Wahrheit in einem Kriegsland einen hohen Preis haben kann, weiß er, das hat er am eigenen Leib erfahren – abgehalten hat es ihn noch nie. Ein Kämpfer bleibt eben ein Kämpfer – im echten Leben und auf der Matte.

Text:
Jacqueline Lang 

Foto: Robert Haas