Der Pop-Poet

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In wenigen Tagen ist Stadt Land Rock 2017. Hier geben wir Einblicke
in die Tiefen des diesjährigen Kosmos aus Britpoppern, Traumwandlern und
Chartstürmern. Heute im Kurzportrait: WENDEKIND.

WENDEKIND ist ein Soloprojekt von Gitarrist, Sänger und
Pop-Poet Benjamin Süß. Sein erstes Album „Ein Baum, ein Wald“ hat er 2014 in Bandbesetzung
aufgenommen, aus zeitlichen Gründen wurde die Gruppe jedoch aufgelöst.
Mittlerweile ist WENDEKIND wieder
solo unterwegs und vereint dabei nach eigenen Angaben „die Einflüsse
Rock, Pop und Hip Hop, die mich schon mein ganzes Leben begleiten, mit einem
Hauch des Elektronischen“. Um solch eine Klangfülle alleine produzieren zu
können, arbeitet er live viel mit Playback und unterlegt diese mal mit
poppiger, mal mit rockigerer Gitarre. Dazu kommen seine prosaischen Lyrics, die
zu denen gehören, die man auch in Schriftform freiwillig lesen würde – und
fertig ist der WENDEKIND-Sound.
Benjamin Süß ist übrigens nicht, wie man ja meinen könnte, in der Nacht des
Mauerfalls geboren: „Egal, wie
tief die Löcher aus meinem Leben sind, ich wende das Blatt mit dem kleinen
Jungen zum Guten, ich bin das Wendekind!“, freestylte er vor vielen Jahren in
seinem heimischen Studio – geboren war sein Künstlername.

Das Stadt Land Rock Festival findet dieses Jahr vom 29. Juni bis
zum 1. Juli statt, täglich von 19 bis 22:30 Uhr in der Half Moon Bar auf
dem Sommertollwood. Wendekind spielt am 30. Juni zusammen mit Liann, Matija und Mola.

Text: Tilman Waldhier

Foto: Bjoern Matthes

Band der Woche: Paul Kowol

Der Pop-Gitarrist Paul Kowol schreibt simple Songs mit deutschen Texten. Besonders weltbewegende Musik zu machen ist dabei gar nicht sein Anspruch. Doch das macht seine Erscheinung umso authentischer.

Wenn man einen Musiker richtig gut beleidigen will, reicht ein Vergleich: Die Musik klinge nach Teenie-Band. Denn Teenie-Bands sind prinzipiell nicht ernstzunehmen. Da schreibt irgendein Produzent Songs, deren emotionale Achterbahnfahrt pro Song so steil und kurvenreich ist, dass außerhalb eines pubertären Teenie-Hirns wohl niemand in der Lage ist, diese gefühlsgesteuerten musikalischen Kapriolen zu verstehen. Teenie-Band steht also immer noch für hirnverbrannte Wahnsinnsmusik, die nur dafür geschrieben wurde, pubertätsverwirrte Jugendliche abzuzocken.

Doch es braucht dann doch ein erhebliches musikalisches Talent dafür, derartige Teenie-Musik umzusetzen. Und mit Robbie Williams und Justin Timberlake haben es mindestens zwei ehemalige Teenie-Band-Stars geschafft, dieses vorhandene Talent in einer zweiten Karriere in andere Bahnen zu lenken. Die Außenwelt tut sich Anfangs immer schwer damit, den nötigen Respekt zu zollen, Williams und Timberlake haben ihn mittlerweile. Es gibt auch tragischere Gestalten, etwa Britney Spears, die hatte mit „Toxic“ nur einen einzigen Song, der ihr Respekt einbrachte, aber keine zweite Karriere. Und Harry Styles, ehemals der roughe Boy der Boyband One Direction befindet sich gerade an der Kippe zur zweiten Karriere. Sein erstes Solo-Album ist emotional noch überbordend, aber dennoch schon clever komponiert. Styles ist ungefähr im gleichen Alter wie der Münchner Paul Kowol. Und auch die Musik der beiden gleicht sich auf gewisse Weise. Paul schreibt an der Akustik-Gitarre ebenfalls überbordende Love-Songs. Und Paul schreckt auch vor solch musikalischen Tricks wie zwei Background-Sängerinnen nicht zurück, die etwa im Live-Video zu „On my own“ mit einem leicht anachronistischen Flair zu seiner Seite stehen und mehrstimmig den Refrain mitsingen, während Paul selbst in deren Mitte charmant und selbstsicher mit seiner Stimme spielt. Er lässt seinen Gesang vom Singen ins Erzählen kippen, ganz mit dem bisweilen vielleicht etwas schmierigen Entertainer-Gen ausgestattet, aus dem sowohl Robbie Williams als auch Harry Styles ebenfalls ihre enorme Bühnenwirksamkeit ziehen.

So etwas kann man nicht trainieren, so etwas kann man nicht lernen. Dass Paul es jedoch mitbringt, zeigt sich auch aktuell beim Sprungbrett-Wettbewerb, bei dem er durch die Publikumswertung bis ins Finale (live am Freitag, 23. Juni, im Feierwerk) kam. Paul kann Menschen auf seine Seite ziehen. Und da er nicht als Teenager für eine Boygroup gecastet wurde, kann er sich nun auch ohne Vorbelastung um seine Musik kümmern. Gerade schreibe er intensiv an seinen Songs, die er nun immer öfter auch mit Band live spielt, bald möchte er etwas veröffentlichen. Der Grat ist schmal auf dem er sich bewegt, er macht Mainstream-Musik, die auch nichts anderes sein will. Doch sein musikalisches Niveau ist hoch. 

Stil: Pop
Besetzung: Paul Kowol (Gitarre, Gesang), ab und an mit Live-Band
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.paul-kowol.com

Text: Rita Argauer

Foto:
Helge Schütte von Föhr

Band der Woche: Pour Elise

Schon am vergangenen Wochenende im Cord konnte Henny Gröblehner alias Pour Elise die Zuschauer von ihrer Musik, von ihrer Stimme überzeugen. Zur Zeit plant die Sängerin, die einen  Popkurs an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg absolvierte, eine Video-EP.

Dass Popmusik jemals akademisch werden würde, hätten sich vermutlich weder die Beatles noch Michael Jackson gedacht. Doch auch Jazz, der einmal zur Zeit seiner Erfindung nur über Autodidaktik funktionierte, landete irgendwann an den Musikhochschulen. Und wenn man eine angestrebte Karriere als Popmusiker etwa über einen Masterstudiengang in Songwriting festigen und sichern kann, warum nicht? Doch kein anderer Musikstil ist so sehr an gewisse Dinge außerhalb der Musikausübung gekoppelt wie die Popmusik. Der Stil, das Image, die Lebenseinstellung formen einen Popsong gleichermaßen wie die Stimme, die Akkorde und die Instrumente. Wäre das nicht so, gäbe es längst ein solch standardisiertes Repertoire in der Popmusik, wie das in der Klassik und im Jazz der Fall ist. Und somit vermutet man hinter Popmusik-Studiengängen also auch ganz schnell Lifestyle-Studiengänge. Lifestyle sollte man allerdings eher im Leben lernen und nicht in der Schule.

Das waren in etwa die Bedenken, die geäußert wurden, als in Deutschland um die Jahrtausendwende ernsthafte Popmusik-Studiengänge eingerichtet wurden. Aber es sind eben doch auch einige ernstzunehmende Musiker da herausgekommen, die eines gemein haben: wirklich herausragend toll arrangierte Musik zu machen. Das Arrangement, also welche Instrumente und welche Stimmen in welchem Rhythmus unter der Hauptstimme spielen, das fällt auf bei ehemaligen Popstudenten wie Get well soon, Mine oder Boy. Das Arrangement fiel auch bei der Münchner Musikerin Henny Gröblehner alias Pour Elise schon auf, bevor sie den Popkurs an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg besuchte. Da schrieb sie mit ihrer, mit ähnlichen musikalischen Fähigkeiten ausgestatteten, Schwester zusammen leicht angejazzte Akustik-Pop-Songs, die zwar nichts neu erfanden, aber eben herausragend arrangiert und deshalb spannend waren. 

Seit dem Popkurs, und vermutlich auch schon in der Zeit vor dem Popkurs, hat sich bei Henny aber nun einiges getan. Sie transferierte die Musik von hochmusikalischen Standard-Stücken in Musik, die eine eigenständige Aussage von sich verlangt. Dazu hat sie sich eigentlich erst einmal einer Massenbewegung angepasst. Sie wechselte vom Klavier an die Akustik-Gitarre. Sie ist in der Wahl des Auftrittsortes damit also nun wesentlich flexibler, schwebt aber in der Gefahr, in den vielen, vielen Sängern, die mit Akustikgitarre über sämtliche offene Bühnen wandern, unterzugehen. Doch gleichzeitig hat sich eben ihr individueller Stil in dieser Zeit potenziert. Pour Elise ist nun nicht mehr ein sehr musikalisches, aber auch ein wenig undefinierbares Schwestern-Duo. Vielmehr versieht Henny das bisweilen etwas tröge Songwriter-Genre immer mehr mit einer gewissen Hipness. Das zeigt sich in einer Fokusverschiebung: Pour Elise ist nun mehr Henny Gröblehner und weniger eine fest formierte Band. Sie trete nun auch alleine auf, das sei eine „gute Schule“, außerdem hat sie ihre ersten Tourneen durch Deutschland gespielt und ein Projekt mit Kommilitonen aus dem Hamburger Popkurs gegründet. 

Doch interessanter sind tatsächlich noch die Formate. Während sie 2014 ihre Musik noch im herkömmlichen Albumformat veröffentlichte, arbeitet sie derzeit an einer „Video-EP“. Also eine Hand voll Songs, alle live aufgenommen, aber nicht nur den Ton, sondern auch das Bild. Unterstützt wird sie dabei vom Team der Münchner Hauskonzerte. Die Videos werden nach einer geplanten Release-Vorstellung, Henny hofft in einem Kino, von Anfang 2017 an nach und nach veröffentlicht. Da wird Henny selbst in Australien, Neuseeland oder den USA sein. Denn ein halbes Jahr bereist sie alleine diese Länder. Mit Gitarre auf der Suche nach noch mehr Musik. Und vielleicht auch, um ihren Stil nach dem Popkurs-Standard-Training noch einmal zu individualisieren.  

Stil: Akustik-Pop

Besetzung: Henny Gröblehner (Sonwriting, Gitarre, Gesang), wechselnde Mitglieder

Aus: München

Seit: 2012

Internet: www.pour-elise.com


Text: Rita Argauer

Foto: Stef Zins

Band der Woche: Kleyo

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Sharyhan Osman fühlt sich nach der TV-Casting-Welt mit ihrer Band Kleyo freier. Das hört man auch an ihren Songs, die zwar immer noch nach Mainstream-Pop klingen, dafür aber improvisierter scheinen.

Castingshows sind eine Art Parallelwelt zur Popwelt. Durch das massenhafte Publikum und hochtrabende Titel suggerieren sie den jeweiligen Gewinnern, dass sich ihr Leben zum Musik-Superstar gewandelt hat. Der feine Unterschied zur richtigen Musikwelt ist nur, dass die Musik in den Casting-Formaten eher eine Nebenrolle spielt. Denn der Castingshow-Kandidat und vor allem auch die Juroren sind in erster Linie für recht kurze Zeit TV-Superstars, die Musik ist dabei Mittel zum Zweck, aber auch nicht mehr.

Die Münchner Sängerin Sharyhan Osman hat den Sprung von der Castingshow-Teilnehmerin in die Sphäre, in der die Musik der eigentliche Zweck ist, sprich in die Musikszene, geschafft. Nach ihrer Teilnahme bei „Deutschland sucht den Superstar“ und „Unser Star für Oslo“ veröffentlichte sie 2012 ihr Debüt-Album „My Year“ – eine Major-Produktion und groß angelegter Pop war das. An einer Grenze, dem noch der Rest-Glitter der Fernseh-Aufmerksamkeit anhing.

Dennoch konnte sich Sharyhan als eigenständige Musikerin etablieren, die ihre selbst geschriebenen Nummern auf diesem Album veröffentlichte. Das Selbstkomponieren hat Sharyhan sowieso immer mehr zur Musikerin und weniger zum TV-Sternchen gemacht. Nun hat sie mit ihrer neuen Band Kleyo  genau das vertieft, verfestigt und perfektioniert. Zusammen mit dem Produzenten Sergio Minutillo schreibt sie immer noch groß angelegte Popsongs. Doch vom Big-Business-Drumherum hat sie sich mittlerweile vollends verabschiedet. Kein Label, keine außenstehenden Produzenten, niemand, der ihren künstlerischen Weg mitbestimmen wollen würde.

Und ein wenig ist diese neue Freiheit den Songs anzuhören. Titel wie „Schweben“ oder „Weißt Du noch“ klingen erst einmal nach Mainstream-Pop – elektronisch produzierte Musik, die Stimme klar im Vordergrund, einfach zu begreifen. Doch die Songs von Kleyo sind ein wenig zu lang, da mischt sich fast eine psychedelische Improvisationslust in die Pop-Dramaturgie, da wird ein bisschen zu sehr gesucht und gespürt, als dass es im Zwei-Minuten-Vierzig-Format durch das Radio knallen würde. „Wir haben uns im Studio erst einmal nicht an klassische Regeln gehalten und viel experimentiert“, sagt Sharyhan. Dennoch ist die Musik von Kleyo für den Mainstream-Markt angelegt.

Sharyhan, die das Major-Pop-Geschäft und eben dessen Vor- und Nachteile kennt, genießt die Emanzipation mit diesem neuem Projekt, in dem sie erstmals auf Deutsch singt. Sie können selbst bestimmen, wann sie etwas veröffentlichen, welche Konzerte sie spielen, was die nächsten Schritte sein sollen: Bei Kleyo ist das ganz klar eine EP-Veröffentlichung, die sie für das kommende Frühjahr geplant haben und der Gewinn des „Energy Newcomer Contests“, in dessen Online-Voting sie gerade zur Wahl stehen. 

Stil: Pop
Besetzung: Sharyhan Osman (Gesang), Sergio Minutillo (Produktion)
Aus: München
Seit: 2013
Internet: www.kleyomusic.com

Von: Rita Argauer

Foto: Manuel Nagel

„Giesing – Oida“

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Standortfaktor Pop: Ist München jetzt wirklich so uncool, dass man als Band keine Chance hat? Läuft alles prima? Oder muss die Stadt weit mehr fördern als bisher? Wir haben bei Musikern nachgefragt.

Von Sandra Will

Die Kytes werden gerade nach dem Release ihres Debüt-Albums bei ihrer Tour in ganz Deutschland gefeiert. Dass die jungen Musiker eigentlich in Giesing proben, wissen wohl die wenigsten Menschen im Berliner oder Hamburger Publikum – und es interessiert auch keinen. Die Kytes sind nicht die einzigen Münchner Musiker, die derzeit in der ganzen Republik gelobt werden. Trotzdem verstummen die Stimmen nicht, die über das Imageproblem Münchens klagen. Klar ist: Die Landeshauptstadt sieht sich als Kulturstadt, dazu gehört das Oktoberfest genauso zum Repertoire wie die Staatsoper. Doch welchen Platz nehmen junge Musiker ein, die den Sound von München ausmachen? Und wie sehen die Bands selbst ihre Musikstadt? Was macht ihnen Sorgen?

„Wir mieten nun ein Studio eine Autostunde außerhalb von München. Wir
kennen auch viele andere Musiker, die mit dem gleichen Problem zu
kämpfen haben“ – Claire
(Hier zum Fragebogen)

Probleme gibt es vor allem abseits des Scheinwerferlichts. Die Band Claire berichtet über ihre lange Suche nach einem geeigneten Proberaum, es sei wahnsinnig schwierig, etwas Bezahlbares in München zu finden. „Wir mieten nun ein Studio eine Autostunde außerhalb von München. Wir kennen auch viele andere Musiker, die mit dem gleichen Problem zu kämpfen haben“, sagen die Musiker der Band Claire. Auch Dionys Rieder von der Band Die Sauna ist der Meinung, es könne schon möglich sein, dass dieser Mangel der Grund für eine Nichtgründung sei. „Das macht es schwierig, den Ansprüchen einer Band gerecht zu werden und sie aufrechtzuerhalten“, sagt auch Singer-Songwriterin Clea Charlotte. (Hier zum Fragebogen)

„Schließlich will ein guter Musiker auch seinen Sound. Und dazu braucht
er im Normalfall auch sein Equipment, das man nur ungern in geteilten
Proberäumen rumstehen lässt. Dafür dann 400 Euro zu zahlen ist schon
fast unverschämt.“

– Black Submarines (Hier zum Fragebogen)

Richy Strobl von Black Submarines sieht das ähnlich, die Möglichkeit, sich einen Raum zu teilen und damit die Miete zu verringern, ist jedoch nicht immer ein Kompromiss: „Schließlich will ein guter Musiker auch seinen Sound. Und dazu braucht er im Normalfall auch sein Equipment, das man nur ungern in geteilten Proberäumen rumstehen lässt. Dafür dann 400 Euro zu zahlen ist schon fast unverschämt.“ Ralph Würschinger von Naked Feen (Hier zum Fragebogen) sagt dazu nur: „Die meisten Deals sind scheiße.“ Wenn auch nicht die Masse an Gleichgesinnten wie in Berlin zu finden ist – wer eine Band gründen will, der schafft das auch in München. Und findet dort leicht in die Szene – das Vernetzen mit anderen Bands klappt gut.

„Der Markt ist noch nicht so übersättigt wie etwa in Berlin, wo für kleinere Künstler kaum Gagen zu erzielen sind“

– Stray Colors (Hier zum Fragebogen)

Sharyhan Osman von der Synthie-Pop-Band Kleyo glaubt, man wisse sehr schnell, wer sich sonst noch in der Szene bewegt. Dadurch greifen sich die Musiker gegenseitig mehr unter die Arme. Das Bild, dass Münchens Szene sehr familiär sei, stimmt also. Doch auch das hat einen Pluspunkt: „Der Markt ist noch nicht so übersättigt wie etwa in Berlin, wo für kleinere Künstler kaum Gagen zu erzielen sind“, sagt Rüdiger Sinn von der Band Stray Colors. Und auch Clea Charlotte sieht darin eine noch größere Chance aufzufallen. Auf der anderen Seite: „Die Münchner Musikszene ist teilweise zu eigenbrötlerisch“, sagt Isabella Mola von der nach ihr benannten Band Mola. „Da macht jeder so sein Ding. Mehr Miteinander würde ich feiern.“
(Hier zum Fragebogen)

Sharyhan Osman erwidert jedoch: „Konkurrenz ist auch ein Antrieb, besser zu werden und sich weiterzuentwickeln.“

„Niemand findet München aus nationaler oder sogar internationaler Sicht cool“

– Fatoni (Hier zum Fragebogen)

Es gibt zwar nicht genügend Auftrittsmöglichkeiten, um Münchens Musiker wirklich zufriedenzustellen, doch bei einer Sache sind sie sich einig: Die Musikszene lebt! Und diese ist im Gegensatz zur Stadt München weniger vorurteilsbehaftet, so die Erfahrungen der einheimischen Bands.

„Konkurrenz ist auch ein Antrieb, besser zu werden und sich weiterzuentwickeln.“

– Kleyo (Hier zum Fragebogen)

Natürlich: „Niemand findet München aus nationaler oder sogar internationaler Sicht cool“, sagt Anton Schneider alias Fatoni. „Aber als Band, die im weitesten Sinne Popkultur macht, braucht man dieses coole Image nun mal.“ Auch Sebastian Schnitzenbaumer von Schamoni Musik hat darüber geklagt, dass er seine Künstler wegen des schlechten Images der Stadt nicht vermarkten kann – und hat damit eine Pop-Debatte in München entfacht. Aber liegt das an München? Oder an der Zielgruppe?

“Es sind engstirnige Menschen, die auf das Laptop- und Lederhosen-Klischee hereinfallen” – Dobré (Hier zum Fragebogen)

„Oft ist das Problem ja nicht München, sondern es sind engstirnige Menschen, die auf das Laptop- und Lederhosen-Klischee hereinfallen. Leider gibt es in der Musikbranche wohl zu viele davon“, sagt Johannes Dobroschke von Dobré. Auch die Musiker von Claire kennen die Vorurteile. „Die Vorurteile, die gegen München vorgebracht werden, sind vielleicht am wenigsten mit dem Musiker- und kreativem Dasein zu vereinbaren. Deshalb freuen wir uns umso mehr zu zeigen, dass es nicht die Stadt ist, welche die Künstler prägt, sondern dass es die Künstler sind, die eine Stadt prägen.“

“Wie sollen sich denn Clubs und Konzertlocations
etablieren, wenn die ganze Stadt stillgelegt wird?” – LUX
(Hier zum Fragebogen)

Abhängig vom Genre kann es da durchaus mal ungemütlich für Musiker werden, wie auch Fatoni schon erfuhr: „Der Klassiker: Hip-Hop aus München? Das gibt es da überhaupt?“ Vorurteile gegenüber der Herkunft sind für Fabian Hertrich alias Young Fast Running Man aber nicht nur münchenbedingt: „Es gibt auch hier Vorurteile gegenüber anderen Städten. Für mich zählt die Qualität der Musik – nicht die Herkunft.“
(Hier zum Fragebogen)

Das sagt auch Singer-Songwriterin Julia Kautz: „Wenn man es mit seiner Musik in die große weite Welt schaffen will, dann spielt es überhaupt keine Rolle, woher man kommt.“ Negative Erfahrungen hat sie noch nicht gemacht, trotzdem fühlt sie sich als Münchnerin bei Songwriter-Sessions in Berlin als Exotin. „Aber ich hatte nie das Gefühl, dass meine Herkunft einen negativen Einfluss darauf hat, wie ich als Künstlerin wahrgenommen werde.“
(Hier zum Fragebogen)

„Das Radio wird überflutet von Klassik-Kanälen und Sendern, die rund um
die Uhr die gleichen Synthie-Pop- und Deutsch-Pop-Nummern spielen“

– Ni Sala (Hier zum Fragebogen)

Auf die Frage, wo man sich denn noch mehr Unterstützung erhofft, werden vor allem die Radiosender in die Verantwortung genommen. „Das Radio wird überflutet von Klassik-Kanälen und Sendern, die rund um die Uhr die gleichen Synthie-Pop- und Deutsch-Pop-Nummern spielen“, sagt Robert Salagean von Ni Sala. Die Stadt unterstütze klassische Musiker, alternative Musikrichtungen blieben da oftmals auf der Strecke. Am wichtigsten empfinden viele jedoch mehr bezahlbaren Proberaum und Beratung wie von der Fachstelle Pop.

Fatoni hingegen klagt: „Es gibt kaum Orte, an denen kreative Prozesse ermöglicht werden, vor allem nicht, wenn diese erst einmal keine kommerziellen Ziele haben.“ Xavier D’Arcy alias Darcy hat hierzu eine andere Meinung: „Die Stadt unterstützt Musiker und Bands durch die Fachstelle Pop mit Workshops, Förderungen und Auftrittsmöglichkeiten.“
(Hier zum Fragebogen)

Durch die bayernweiten Förderprogramme gibt es für ihn genügend Unterstützung.

„Es ist definitiv nicht leicht, über den Münchenrand hinwegzukommen“

– Die Sauna (Hier zum Fragebogen)

„Es ist definitiv nicht leicht, über den Münchenrand hinwegzukommen“, sagt Dionys Rieder von der Band Die Sauna. Aufmerksamkeit zieht man vor allem mit nationalen Festivals auf sich, als bestes Beispiel dient dazu das Reeperbahn-Festival in Hamburg – vielleicht kann ja die „Manic Street Parade“ dieses Interesse dauerhaft nach München bringen. Gerade solche Veranstaltungsreihen würden die Lücke schließen zwischen den kleinen Open Stages und den großen Hallen wie im Muffatwerk. „Es fehlt etwas, um die Lücke zwischen Schülerbands und Top-Acts zu schließen. Etwas für Leute, die mehr als nur Hobby-Musiker sein wollen, aber nicht über die finanziellen Mittel und die sozialen Kontakte verfügen, um gleich weiter oben anzufangen“, sagt Richie Strobl von Black Submarines. Doch es gebe auch gute Institutionen wie die Glockenbachwerkstatt, wo man talentierte Bands finde, sagt Aron Foltin von der Band Lyndenstraße.

“Es gibt gute Institutionen in München wie die
Glockenbachwerkstatt” – Lyndenstraße
(Hier zum Fragebogen)

Die meisten Musiker fühlen sich ihrer Heimatstadt sehr nahe und würden es nicht leugnen, aus dieser Stadt zu kommen. Trotzdem zeigt sich, dass es manchmal eben besser sei, den Standort erst einmal unerwähnt zu lassen, sagt Rüdiger Sinn von Stray Colors. Auch Ralph Würschinger von Naked Feen würde bei einem neuen musikalischen Projekt München nicht als Heimatstadt angeben. Doch es geht auch selbstbewusster: Genauso wie die Mitglieder der Kytes schwören auch die Musiker von Black Submarines auf ihre Homebase: „Giesing – Oida!“

Foto: Käthe deKoe

Band der Woche: Friends of Gas

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Feste Formen gehörten nicht zur Musik der Band Friends of Gas. Aus Protest gab es weder feste Bandmitglieder noch abgeschlossene Songs. Das alles ändert sich nun in ihrem Album
„Fatal schwach”.

Es ist gerade in gewissen Kreisen angesagt, Dinge nicht mehr fertigzustellen. Nun, Vollenden ist zugegeben ein recht groß besetztes Wort, das wusste schon der österreichische Indie-Chansonnier Der Nino aus Wien, wenn er in seiner anschaulichen Jammerlappen-Manier klagte: „Es geht immer ums Vollenden.“ Selbst zu beschließen, etwas sei fertig, der Kunst damit eine veritable Form geben, das will nicht recht zum Stil dieser Post-Indie-DIY-Szene passen.

Vielmehr gehört der Charme des Unvollendeten zum guten Ton. Eine Ästhetik, die den Prozess in den Vordergrund rückt und in deren Dunstkreis etwas Rundes und Fertiggestelltes einen unangenehm pathetischen Beigeschmack bekommt. Der einzige wunde Punkt: Mit der Aussage, das sei nun sowieso nicht fertig, was man da produziere, das sei vielmehr nur ein Ausschnitt, entzieht man sich sämtlicher Kritik.

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Die Münchner Band Friends of Gas ist so etwas wie ein Destillat der Münchner Variante dieser Szene. Als Improvisations-Kollektiv gegründet, bestand da nie ein Anspruch, etwas so Flüchtiges wie die Musik auch nur ansatzweise festzuhalten, geschweige denn, dass man regelmäßig mit den gleichen Musikern zusammenspielte. Doch das ist alles vorbei – die Gruppe hat sich fest formiert, nun haben sie sogar ein Album herausgebracht, auf dem die reduzierten Achtzigerjahre-Postpunk-Songs in eine feste Form geschrieben wurden. Am Freitag, 28. Oktober, wird das nun offiziell veröffentlicht, während im Titel noch der grundlegende Konflikt mit dem Festschreiben steckt: „Fatal schwach“. Sie haben sich also schwach der Versuchung hingegeben, gegen die sie mit ihrem ursprünglichen Auftreten eigentlich protestierten: Sie haben ihre Musik in eine halbwegs Pop-verträgliche Form gegossen, sie haben den Songwriting-Prozess abgeschlossen und veröffentlichen dieses hübsche Paket, das Max Rieger von den Stuttgarter Neo-Postpunkern Die Nerven aufgenommen hat, nun sogar bei der Berliner Plattenfirma Staatsakt – der Heimat der Deutschpopper und Profiironiker der Nation, etwa Ja, Panik, Die Sterne, Fraktus oder Jens Friebe.

Doch Friends of Gas erscheinen mit diesem Album als böser Zwilling dieser Gruppen. Sängerin Nina Walser textet zwar genauso phrasenorientiert wie die Labelkollegen, belegt ihren heiseren Gesang aber mit dem Gefühl, sie spreche von einer bitteren Wahrheit. Sätze wie „Mein Körper ist mein Template“, über das Lied hinweg ständig wiederholt, befreien sich so von dem Anschein des Modewort-Dreschens der Digital Natives und bekommen dadurch einen beklemmend psychotischen Anstrich. Und spätestens wenn sich die Gruppe mit „Involuntary“ Richtung Ballade begibt, und die süße Popschönheit der Harmonien in einem zwischen Höhenflug und Zweifel gesungenen „La-La-Lacrimation“, einem Tränenstrom also, landen, kann da kein Auge mehr zwinkern, wenn schon, dann wird hier richtig geheult. All die Ironie ist hier vorbei. Entweder man nimmt es ernst, oder man lässt es.

Diese ungemein zwingende Haltung lässt das Quintett dann auf dem nationalen Popmarkt ziemlich solitär erscheinen. Diese neue, bisweilen recht destruktive Ernsthaftigkeit kommt an in Pop-Deutschland. Beim Reeperbahn-Festival in Hamburg hinterließen sie gerade ein ekstatisch-entrücktes Publikum, die Booking-Agentur, die auch schon Dirk von Lowtzows Phantom Ghost über die Bühnen schickte, übernimmt das nun auch für die Münchner Friends of Gas. Und live kommen bei dieser Band sowieso einige Altlasten zurück. Da kann ein Song in Noise-Ekstase schon mal von sieben auf vierzehn Minuten ausgedehnt werden.

Stil: Neo-Postpunk
Besetzung: Nina Walser (Gesang), Thomas Westner (Gitarre), Veronica Burnuthian (Gitarre), Martin Tagar (Bass), Erol Dizdar (Schlagzeug)
Aus: München
Seit: 2014
Internet: www.friendsofgas.com

Von: Rita Argauer

Fotos: Susanne Beck

Ein Abend mit: Julia Viechtl

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Wenn Julia Viechtl nicht gerade die Manic Street Parade organisiert, geht sie gerne mal feiern, auch wenn das eigentlich nie geplant ist. Wo man sie hinterher zum Pommesessen antrifft, lest ihr hier.

Hier
beginnt mein Abend:

…mit der festen Überzeugung: Heute bleib ich daheim.
Und wenn, dann nur ein Bier!

Danach
geht’s ins/zu:

Zur Zeit gern ums Eck ins Vivo.

Meine
Freunde haben andere Pläne. So überzeuge ich sie vom Gegenteil:

Gar nicht. Ich wollte ja selber nicht weggehen!

Mit
dabei ist immer:

Eine Hand voll hübsche Programme für die manic street
parade.

An
der Bar bestelle ich am liebsten:

Bier.

Der
Song darf auf keinen Fall fehlen:

Carnival Youth: Never Have Enough.

Mein
Tanzstil in drei Worten:

I don´t care. Oder: I love it.

Der
Spruch zieht immer:

Ein Spruch, der immer zieht? Den kenne ich (noch) nicht.
Mir fallen nur Sprüche ein, die niemals ziehen werden. Hier ein Beispiel aus
meiner Sammlung aus dem weiteren Bekanntenkreis: „Magst du Sex?“.

Nachts
noch einen Snack. Mein Geheimtipp ist:

Pommes im Substanz. Livemusik ist nur bis 21:59 Uhr
erlaubt – die Friteuse darf noch länger laut brutzeln. Juhu.

Meine
dümmste Tat im Suff war:

Die Händlmarke auf der Wiesn in Bier investieren. An den
Rest erinnere ich mich nur schemenhaft.

Das
beste Frühstück nach einer durchfeierten Nacht gibt`s im/bei:

Im Bavarese. Toller Sonntagsbrunch. Für Freunde des
Fleisches gibt es sogar Schweinbraten. Ich nehme die Knödel.

 Diesem
Club/dieser Bar trauere ich nach:

Atomic Café – das Wohnzimmer ist und bleibt weg. Bitte
wieder aufmachen. Ich geh immer noch gerne nachts vorbei und schau böse das
Lacoste-Krokodil an.

Foto: Stephan Rumpf

Es ist soweit: The Manic Street Parade 2016

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Mehr Pop für die Stadt – das ist Julia
Viechtls großes Anliegen. Im Mai haben wir deshalb über sie und das von ihr
zusammen mit Andreas Puscher, Stefan Schröder,
Marc Liebscher und Fabian Rauecker organisierte erste Club-Festival Münchens
berichtet – am 8. Oktober ist es soweit!

Vier Monate sind seither vergangen, mittlerweile arbeitet Julia für
die Fachstelle Pop, einer neutralen Beratungsstelle der Stadt München für junge
Bands. Und sie organisierte die
Manic-Street-Parade, die zum ersten Mal im Schlachthofviertel in fünf verschiedenen Clubs
stattfindet. Für 25 Euro sind 13 Bands aus acht verschiedenen Nationen zu sehen, danach legen vier Münchner DJs bis in die frühen Morgenstunden auf.

SZ: Was für ein Gefühl ist es, den
fertigen Programm-Flyer für das Festival in den Händen zu halten?

Julia: Das ist ziemlich genial, weil es,
wie ich finde, ein sehr schönes Programm geworden ist. Wir stellen darin alle Künstler
vor, die auftreten werden, und begründen auch, warum wir genau sie nach München
eingeladen haben. Klangstof aus Holland, Jesse Mac Cormack aus Canada,
Carnival Youth aus Lettland. Aus München exklusiv dabei sind Fiva und die
Jazzrauschbigband.

SZ: Gab es noch Probleme bei der
Organisation?

Julia: Es ist natürlich unfassbar viel
Arbeit, ein neues Festival aufzuziehen, von dem noch nie jemand gehört hat. Es
gab den Moment, wo die Frage im Raum stand, das Ganze auf 2017 zu verschieben.
Da habe ich mich aber durchgesetzt und gesagt: Nein, das packen wir jetzt an. Da
die Manic Street Parade von jetzt an jedes Jahr stattfinden soll, können wir sie dann
ja beliebig ausbauen. Für Jahr eins mussten wir irgendwann den Rahmen
festsetzen, sonst wäre es ausgeufert – nicht noch mehr Bands, nicht noch mehr
Clubs. Ich glaube, so wie wir jetzt starten, haben wir eine gute Größe
gefunden. Die fünf Clubs sind alle gut zu Fuß erreichbar, sodass man sich
einfach treiben lassen und viele verschiedene Bands entdecken kann. 

SZ: Wird der 8. Oktober, der
Festivalabend, für dich noch stressig sein? Oder wirst du ihn auch genießen können?

Julia: Ich denke, ich werde schon viel
rumhüpfen müssen. Ob ich dann tatsächlich in der ersten Reihe bei Klangstof
mitfeiern kann, wird sich zeigen. (lacht) Im Moment werde ich von Tag zu Tag
aufgeregter, aber der Abend wird bestimmt super.

SZ: Du machst nicht nur selbst Musik und
kümmerst dich im Moment ehrenamtlich um die Organisation des Festivals, du hast
auch deine Masterarbeit über das Konzept der „Music Cities“ geschrieben und die
Frage, was München noch braucht, um so eine Music City zu werden. Auf welche
Ergebnisse bist du gekommen?

Julia: Um eine Music City zu werden, muss
eine Stadt insbesondere auch die Musik, die im Moment neu entsteht, beachten.
Wichtig war für meine Arbeit daher zunächst, das Thema „Pop“, wie es
umgangssprachlich verstanden wird, aufzuarbeiten. Pop-Musik ist nicht das, was
viele mit Mainstream, Kommerz und Chart-Musik in Verbindung bringen, sondern
die Musik, die in der Gegenwart entsteht und deshalb einen Spiegel und
vielleicht das wichtigste Kommunikationsmittel der heutigen Gesellschaft
darstellt. Wenn man das einmal verstanden hat, dann wird klar, warum es mir um
die strukturelle Unterstützung von Musik und Kultur in allgemeinerem Sinne
geht. Dabei sind mit „Pop“ viele verschiedene Musikrichtungen gemeint.

SZ:
Wie kommst du darauf?

Julia. Ein guter Beleg dafür sind die
anonymisierten Fragebögen, die ich für meine Masterarbeit von Musikern und
Musikerinnen in München habe ausfüllen lassen. Innerhalb von zwei Wochen hatte
ich mehr 500 Antworten. Und das ist nur ein kleiner Teil der großen Szene. Auf
die Frage nach der eigenen Musikrichtung kamen bei diesen 500 Antworten mehr als 1500
Musikstile heraus. Es geht also heute nicht mehr so sehr darum, eine bestimmte
Richtung zu vertreten, um eingeordnet werden zu können. Wir haben hier in München
eine überwältigende Vielfalt und Offenheit. Aber an der strukturellen Unterstützung,
insbesondere daran, definitionsfreie Orte, Auftrittsmöglichkeiten und Proberäume
zu schaffen, muss verstärkt gearbeitet werden, damit diese Szene auch
sichtbarer werden kann. Ein erster Ansatz ist also die Wertschätzung und
Anerkennung dessen, was diese Kreativen für eine Wirkung auf die Stadt haben.

SZ: Du arbeitest seit kurzem in der
Fachstelle Pop der Stadt München. Wie kam es dazu?

Julia: Lustigerweise habe ich von der
Stelle über eines der Experteninterviews für meine Masterarbeit gehört. Ich
habe mich sofort beworben, weil ich das Gefühl hatte, das passt perfekt. Jetzt
bin ich total dankbar für diese Möglichkeit, weil ich dort genau mit dem Wissen
ansetzen kann, das ich mir durch meine Masterarbeit angeeignet habe.

SZ: Was genau wirst du dort tun können?

Julia: Die Fachstelle Pop sitzt im
Feierwerk und wird vom Kulturreferat der Stadt München finanziert. Wir sind da,
um die Popkulturszene in München zu fördern. Dabei geht es besonders um die
Kommunikation und Vernetzung der Szene. Wir arbeiten im Moment an einem
Konzept, um optimal als Schnittstelle fungieren zu können. Außerdem sind wir
da, um Musiker zu informieren. Vor allem, wenn man beginnt, eine Band
aufzubauen, sollte man bei uns vorbeischauen. Wir beraten nämlich neutral,
unabhängig und ohne Hintergedanken. So kann man sich informieren, bevor man
etwa irgendeinen Vertrag unterschreibt.

SZ: Wie soll es mit der Manic-Street-Parade
weitergehen?

Julia: Wir wissen schon, dass sie am
28.10.2017 das zweite Mal stattfinden wird, und danach jedes Jahr. Ich war gerade
auf dem Reeperbahnfestival in Hamburg und habe auch dort fleißig Programme und
Sticker verteilt, sodass spätestens im kommenden Jahr noch ganz viele Leute von
außerhalb nach München kommen werden.


Interview: Theresa Parstorfer
Foto: Stephan Rumpf

Band der Woche: Nick Yume

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Echte Pop-Musik wird heute nicht mehr von Boybands inszeniert, sondern von Künstlern, die authentisch klingen. Einer von ihnen ist Nick Yume, der zwar bei dem kleinen Münchner Indie-Label Flowerstreet Records unter Vertrag ist, jedoch schon großartigen Pop macht.

Mit dem Tod des Musikmanagers Lou Pearlman vor einem Monat, ist die Ära der tanzenden Boybands nun endgültig vorbei. Pearlman hatte sich Mitte der Neunzigerjahre das Prinzip dieser Bands ausgedacht, die bekanntesten sind die Backstreet Boys und N’Sync, die tatsächlich nach einer Art Rezept erschaffen wurden. Die Sänger, nach Charakteren gecastet, als Mädchen-Schwarm, Verwegener oder Sunny Boy – ganz nach dem Prinzip einer Soap-Opera. Dann wurde ein Hit komponiert, und auf dem Markt funktionierte das dann einwandfrei.

Doch auch schon vor Pearlmans Tod, hat dieser Mainstream-Erfolg nach Rezept nicht mehr wirklich funktioniert. Denn die Popstars erfinden sich heutzutage lieber selbst. Und so kommt es nun immer öfter zu dem Phänomen, dass auch im Underground, in der lokalen kleinen Musikszene, plötzlich Acts auftreten, die nach groß polierten Pop klingen. In München etwa der großartige Sänger Timothy Auld. Oder nun Nick Yume. Der ist Timothy Auld sowieso nicht unähnlich. Beide sind eigentlich aus Großbritannien, jetten immer wieder zwischen der Insel und München hin und her und haben eine ausgesprochen besondere Stimme. Deshalb spielen sie auch nicht in irgendwelchen Bands, sondern verfolgen Musikprojekte, die auf die Stimme zugeschnitten sind. Das ist ein Prinzip der richtig groß gedachten Popmusik. Und bei dem erst 21-jährigen Nick Yume geht das gerade wunderbar auf.

Obwohl er bei dem Münchner Indie-Label Flowerstreet Records veröffentlicht und seine Kontakte in die große Industrie noch nicht so weit gediehen sind, eröffnete er zuletzt Rihannas Anti-Show in Bukarest. Größer kann man als kleiner Musiker derzeit nicht starten. Und dennoch ist es auch irgendwo ganz klar, warum das so gut funktioniert. Denn gegenüber den Retorten-Popstars des vergangenen Jahrzehnts können diese neuen Pop-Acts, die sich selbst erfunden haben, auf eine Authentizität zurückgreifen, die in diesem Geschäft Gold wert ist. Das ist etwas, das sich Miley Cyrus gerade als Skandalnudel schwer zurückerobern muss, weil sie es leider als Disney-Teenie-Star völlig aufgegeben hatte. Das ist etwas, das Rihanna durch ein neues, kühles Image aufrechtzuerhalten versucht. Und das ist etwas, das Nick Yume einfach so hat.

Musikalisch hat er sowieso die besten Voraussetzungen: eine geschmeidige Soul-Stimme, im Falsett leicht brüchig, sicher in der Führung, ohne Scheu vor Drama. Er arbeitet mittlerweile mit verschiedenen Produzenten zusammen, die Musik ist seitdem sanft elektronisch und taucht das Ganze in ein leicht kühles und charmant arrogantes Licht – zeitgemäßer kann Popmusik derzeit kaum klingen. Auch weil Nick sich textlich natürlich längst nicht mehr zu solch phrasenhaften Liebesbekundungen hinreißen lässt, mit denen die Backstreet Boys ihre Fans bezirzten. Wenn schon Phrase und Liebe, dann kommen die bei Nick als Zitat vor – etwa im Song „Should I stay“. Da liegt natürlich The Clash drunter, nur dass Nick nach der Frage an die Geliebte ein zum Schmelzen flehendes und klagendes „Please let me stay“ anhängt.

„Oft fangen meine Lieder als Gedichte an“, sagt er. Und das ist zum Teil ganz schön düster: „My mind is a prison, but I don’t mind“ heißt es etwa in der gerade veröffentlichten Single „Prison“, der Titeltrack seiner aktuellen EP. Doch das wird funktionieren, das ist der Nick Carter des 21. Jahrhunderts, der sich selbst erfunden hat und für den Selbstbestimmtheit und Mainstream-Pop kein Gegensatz mehr ist. Das ist der Anfang einer völlig neuen Art des Popstars, die Rihanna und Miley Cyrus gerade zu imitieren versuchen. Die richtigen, die kommen aber erst noch. Zum Beispiel aus London und München. So wie Nick Yume.

Stil: Pop
Besetzung: Nick Yume (Gesang, Songwriting), wechselnde Produzenten
Aus: München
Seit: 2015
Internet: www.facebook.com/
NickYumeMusic

Von: Rita Argauer

Foto: Keno Peer

Band der Woche: Atlataş

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Der Sänger der Türk-Pop-Band Kafkas Orient Bazaar ist nun auch Solo unterwegs. Im Alleingang nennt sich Attila Atlataş und es klingt wie eine Homage an die Neunziger. 

Vor gar nicht allzu langer Zeit, also schon im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, passierte auf einer Punkparty etwas, das noch in den sogenannten Nullerjahren undenkbar gewesen wäre. Es war ein Konzert mit dem üblichen Deutsch-Punk-Geschramme, dessen musikalische Melodieverweigerung die politische Aussage und Ernsthaftigkeit der Band unterstützte, vor einem dort üblichen Publikum, das die Aggression der Musik in aggressives, aber nicht unfreundliches Pogo-Getanze übersetzte.

Schlussapplaus, ein paar Zugaben, dann kam der DJ. Und mit ihm „Barbie Girl“, „Boom Boom Boom“ und „Macarena“. Und die Punks, die konnten die Texte. Eigentlich klar, denn als Euro-Dance angesagt war, waren sie Teenager oder Kinder und Radiostationen bestimmten in diesen Prä-Stream-Zeiten noch vehementer, was der Mensch so hörte, auch wenn er es vielleicht gar nicht hören wollte. Aber sie konnten nicht nur „I want you in my room“ auf die Kaugummi-Stimme in „Boom Boom Boom Boom“ reimen, sie machten das auch noch mit Freude, frei nach dem Motto, ein bisschen Vengaboys haben nach so viel Politisierung noch keinem geschadet.

Ein wenig ist das Projekt von Attila von Thermann die Konsequenz dieser Entwicklung. Denn der Sänger der ohnehin etwas eigenwilligen Münchner Indie-Rock-Band Kafkas Orient Bazaar, verhilft dieser alternativen Salonfähigkeit der eigentlich in die Ewigkeit der Ballermann-Geschmacklosigkeit verdammten Euro-Dance-Ästhetik zu neuem Glanz. Atlataş heißt Attilas Elektro-Projekt, das in seiner Ernsthaftigkeit weit von dem entfernt ist, was man mal Elektro-Trash nannte, und in seiner liebevollen Detailarbeit eher an Youtube-Hits wie „Kung Fury“, diese zeitgenössische Adaption der Martial-Art-Ästhetik der Achtzigerjahre, erinnert. Da geht es nur bedingt um Ironie und da geht es auch nicht darum, zu zeigen, dass man etwas ordentlich verballhornen möchte. Es geht um den liebevollen Blick, der die Mainstream-Pop-Ästhetik der eigenen Jugend neu erfahrbar macht.

Attila, der die letzte Veröffentlichung von Kafkas Orient Bazaar noch mit dem Kurzgeschichtenband „Tiefer“ flankiert hatte, entwirft also nun zwei Jahre später eine glatte Oberfläche, die aber wegen dieser spürbaren Liebe berührt (die Susan Sontag vielleicht als „camp“ beschreiben würde). „Ich wollte das Projekt auch bewusst stimmlich anders angehen als Kafkas Orient Bazaar, viel poppiger“, sagt er, der dazu als Duett-Partnerin die Sängerin Leonie gewinnen konnte und mit dem Produzenten Norman Kolodziej zusammenarbeitete, der in der norddeutschen Elektro-Punk-Szene etwa für die Sound Bratze verantwortlich ist. Attila habe mit diesem Projekt den „Neunzigerjahren das Lächerliche“ nehmen wollen. Und das ist ihm gelungen, gerade weil er eben nicht mit erwachsenem und entwachsenem Abstand auf diese Zeit schaut, sondern sich kopfüber in den Strudel aus Plastik-Pop und Nintendo-Sounds wirft. So klingt vieles hoch, etwa die Synthesizer im Song „Like and Sleek“, in dem selbst die Snare-Drum des programmierten Schlagzeugs fast völlig ohne Frequenzen im Bass-Spektrum auskommt. Doch die Inbrunst, mit der Attila singt, die Euphorie der gewählten Akkorde und Harmonien, all das taucht den Klang, der auch aus den Mini-Lautsprechern eines Gameboys kommen könnte, in ein heimeliges Licht. Die Single „Like in July“ setzt dann mit etwas mehr Fülle noch mehr aufs bekannte Euro-Dance-Schema.

Dass Attila trotzdem kein Teenager mehr ist, das zeigt sich in feinem Humor, mit dem er die EP, ein wenig an die Türk-Pop-Experimente von Kafkas Orient Bazaar angelehnt, „Mini Albüm“ getauft hat. 

Stil: Euro-Dance-Revival / Neunzigerjahre-Liebe
Besetzung: Attila von Thermann (Programmierung, Gesang), manchmal Gastmusiker
Seit: 2013
Aus: München
Internet: www.atlatas.com

Von: Rita Argauer

Foto: Konsch In The Boondocks