Band der Woche: Atlataş

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Der Sänger der Türk-Pop-Band Kafkas Orient Bazaar ist nun auch Solo unterwegs. Im Alleingang nennt sich Attila Atlataş und es klingt wie eine Homage an die Neunziger. 

Vor gar nicht allzu langer Zeit, also schon im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, passierte auf einer Punkparty etwas, das noch in den sogenannten Nullerjahren undenkbar gewesen wäre. Es war ein Konzert mit dem üblichen Deutsch-Punk-Geschramme, dessen musikalische Melodieverweigerung die politische Aussage und Ernsthaftigkeit der Band unterstützte, vor einem dort üblichen Publikum, das die Aggression der Musik in aggressives, aber nicht unfreundliches Pogo-Getanze übersetzte.

Schlussapplaus, ein paar Zugaben, dann kam der DJ. Und mit ihm „Barbie Girl“, „Boom Boom Boom“ und „Macarena“. Und die Punks, die konnten die Texte. Eigentlich klar, denn als Euro-Dance angesagt war, waren sie Teenager oder Kinder und Radiostationen bestimmten in diesen Prä-Stream-Zeiten noch vehementer, was der Mensch so hörte, auch wenn er es vielleicht gar nicht hören wollte. Aber sie konnten nicht nur „I want you in my room“ auf die Kaugummi-Stimme in „Boom Boom Boom Boom“ reimen, sie machten das auch noch mit Freude, frei nach dem Motto, ein bisschen Vengaboys haben nach so viel Politisierung noch keinem geschadet.

Ein wenig ist das Projekt von Attila von Thermann die Konsequenz dieser Entwicklung. Denn der Sänger der ohnehin etwas eigenwilligen Münchner Indie-Rock-Band Kafkas Orient Bazaar, verhilft dieser alternativen Salonfähigkeit der eigentlich in die Ewigkeit der Ballermann-Geschmacklosigkeit verdammten Euro-Dance-Ästhetik zu neuem Glanz. Atlataş heißt Attilas Elektro-Projekt, das in seiner Ernsthaftigkeit weit von dem entfernt ist, was man mal Elektro-Trash nannte, und in seiner liebevollen Detailarbeit eher an Youtube-Hits wie „Kung Fury“, diese zeitgenössische Adaption der Martial-Art-Ästhetik der Achtzigerjahre, erinnert. Da geht es nur bedingt um Ironie und da geht es auch nicht darum, zu zeigen, dass man etwas ordentlich verballhornen möchte. Es geht um den liebevollen Blick, der die Mainstream-Pop-Ästhetik der eigenen Jugend neu erfahrbar macht.

Attila, der die letzte Veröffentlichung von Kafkas Orient Bazaar noch mit dem Kurzgeschichtenband „Tiefer“ flankiert hatte, entwirft also nun zwei Jahre später eine glatte Oberfläche, die aber wegen dieser spürbaren Liebe berührt (die Susan Sontag vielleicht als „camp“ beschreiben würde). „Ich wollte das Projekt auch bewusst stimmlich anders angehen als Kafkas Orient Bazaar, viel poppiger“, sagt er, der dazu als Duett-Partnerin die Sängerin Leonie gewinnen konnte und mit dem Produzenten Norman Kolodziej zusammenarbeitete, der in der norddeutschen Elektro-Punk-Szene etwa für die Sound Bratze verantwortlich ist. Attila habe mit diesem Projekt den „Neunzigerjahren das Lächerliche“ nehmen wollen. Und das ist ihm gelungen, gerade weil er eben nicht mit erwachsenem und entwachsenem Abstand auf diese Zeit schaut, sondern sich kopfüber in den Strudel aus Plastik-Pop und Nintendo-Sounds wirft. So klingt vieles hoch, etwa die Synthesizer im Song „Like and Sleek“, in dem selbst die Snare-Drum des programmierten Schlagzeugs fast völlig ohne Frequenzen im Bass-Spektrum auskommt. Doch die Inbrunst, mit der Attila singt, die Euphorie der gewählten Akkorde und Harmonien, all das taucht den Klang, der auch aus den Mini-Lautsprechern eines Gameboys kommen könnte, in ein heimeliges Licht. Die Single „Like in July“ setzt dann mit etwas mehr Fülle noch mehr aufs bekannte Euro-Dance-Schema.

Dass Attila trotzdem kein Teenager mehr ist, das zeigt sich in feinem Humor, mit dem er die EP, ein wenig an die Türk-Pop-Experimente von Kafkas Orient Bazaar angelehnt, „Mini Albüm“ getauft hat. 

Stil: Euro-Dance-Revival / Neunzigerjahre-Liebe
Besetzung: Attila von Thermann (Programmierung, Gesang), manchmal Gastmusiker
Seit: 2013
Aus: München
Internet: www.atlatas.com

Von: Rita Argauer

Foto: Konsch In The Boondocks