Fragen über Fragen – Julie March

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Jeder liebt Essen. Essen ist unheimlich persönlich und individuell, sagt Julie March, die für unsere Ausstellung “10 im Quadrat – Reloaded” zehn Künstler porträtiert hat. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Worum geht es bei
deinem Konzept? / Wie bist du darauf gekommen?

Jeder liebt Essen, Essen ist unheimlich persönlich und
individuell.

Wie war es, so viele
unterschiedliche Leute für eine Bild-Serie zu fotografieren?

Sehr interessant und vor allem witzig. Jeder hatte seine
eigene Art, das Thema zu interpretieren, und alle sind unterschiedlich damit
umgegangen.

Welche Begegnung hat
dich am meisten beschäftigt?

Die mit Anouk, da sie sich zuerst nicht fotografieren lassen
wollte, weil sie die Idee nicht gut fand, bis ich ihr erklärt habe, dass es
nicht darum geht, sich mit essen zu behängen, sondern dass es darum geht, es zu
essen bzw dass ich nur das ablichte, was der jeweilige Künstler damit macht. Das
war dann okay für sie.

War es schwieriger,
z.B. einen Schauspieler/Musiker zu fotografieren (also selbst “Künstler”), als
professionelle Models und wenn ja, inwiefern?

Nein war es definitiv nicht. Ich habe absichtlich ein Thema
gewählt, das leicht umzusetzen ist. Requisiten helfen immer und wenn es sich
bei der jeweiligen Requisite um das Lieblingsessen handelt, sind die meisten so
abgelenkt, dass sie keine Angst mehr vor der Kamera haben sondern einfach nur
noch Spaß haben.

Bist du auch mal an
deine Grenzen gestoßen? / Musstest du deine Vorstellung/ dein Konzept über den
Haufen werfen, weil es schlichtweg nicht ausführbar war?

Nein

Nimmst du die Szene
dieser Stadt nach dem Projekt anders war? Braucht es mehr Vernetzung?

Nein, ich kann mich dazu nicht äußern, dazu bin ich zu wenig
in der Szene unterwegs und kenne mich zu wenig aus.

Foto: Julie March

Optimale Verwertung

Tonnen für die Tonne? Vier Studentinnen haben eine App zur Müllvermeidung erfunden. Das Patent ist angemeldet.

Wir kaufen. Wir essen. Wir vergessen. Pro Jahr landen dem World Wide Fund For Nature zufolge weltweit 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll. Tonnen für die Tonne. In Deutschland sind das jährlich 82 Kilogramm Nahrungsmittel pro Person. Oft wird dabei nicht darauf geachtet, ob diese auch wirklich schlecht geworden sind. Und genau diese Unaufmerksamkeit wollen jetzt Jana Imling, 21, Franziska Reitinger, 21, Teresa Rumpler, 22, und Christiane Schweda, 20, ändern. Mit einer App.

Sie sind Studentinnen des Studiengangs Design und Innovationsmanagement der AMD in München und sagen: „Unsere Lösung ist eine App, die dem Nutzer hilft, seine Lebensmitteleinkäufe optimal zu organisieren und zu verwerten. Damit wollen wir jedem Menschen die Möglichkeit geben, selbst ein Stück zur Weltverbesserung beizutragen.“

Jana, Franziska, Teresa und Christiane tragen Jeans, einfache Blusen, T-Shirts und Sneakers, wenig bis kein Make-up. Kaum gestylt, ganz natürlich. Die vier jungen Frauen wirken bodenständig. Die Haare sind vom Fahrradfahrtwind verweht, die Blusen knittrig aufgrund der langen Pendelstrecken auch über München hinaus. Sie wirken ein wenig gestresst von den vielen Nebenjobs, die man im teuren München für die teure Akademie dankend annimmt, um sich neben der finanziellen Unterstützung der Eltern auch etwas leisten zu können. Eltern, denen man – wie jeder andere Student auch – gerne mal den Kühlschrank plündert. Und während man meist nach den Lebensmitteln auf Augenhöhe greift, stoßen die vier Studentinnen auch immer wieder auf Lebensmittel, die (weit) über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus abgelaufen sind. 

„Man stellt die Dinge einfach rein, oft aus Faulheit und vergisst dann die älteren Nahrungsmittel nach vorne zu räumen. Irgendwann beginnt dann das große Wegschmeißen“, sagt Teresa. Dass sich die vier einmal während ihres Studiums mit dem Problem der Lebensmittelverschwendung genauer beschäftigen würden, hätten sie anfangs nicht gedacht. Und dass sie daraus auch noch eine Herzensangelegenheit entwickeln würden, die nun weit über ihr Studium hinausgeht, war ihnen ebenso wenig bewusst.

Alles begann in der Lehrveranstaltung „Normatives und ethisches Management“. Die Studierenden sollten innovative Konzeptideen mit Marktreife entwickeln. Es galt eine Idee auszuarbeiten, die ein soziales Problem löst, und der Welt und dem Menschen hilft. Eine Idee, die das Zeug zu einem profitablen Geschäftsmodell hat. Also machten sich die vier jungen Frauen Gedanken.
Von einer App für geflüchtete Menschen bis hin zur Wassereinsparung in öffentlichen Einrichtungen war vieles dabei. Denken macht hungrig – und irgendwann sind sie auf den Kühlschrank gekommen, oder vielmehr auf die Lebensmittelverschwendung.

„Man braucht nur einmal einen Blick in die eigenen vier Kühlschrankwände zu werfen“, sagt Christiane. „Zu viel wird frühzeitig grundlos weggeschmissen, obwohl man die Dinge noch verwerten könnte. Wir wollen das Konsumverhalten der Menschen verändern und ein Umdenken in der Gesellschaft erzielen.“ Die Zielsetzung der vier Studentinnen: Sie wollten eine Lösung finden, die dauerhaft etwas bewirken und die Situation verbessern kann. So kamen sie auf die Idee, eine eigene App zu entwickeln, die sie „Save the Food“ nannten.

Beim Öffnen von „Save the Food“ soll zuerst ein Kühlschrank zu sehen sein. Darunter ist eine Leiste mit verschiedenen Funktionen abgebildet. In der Mitte befindet sich ein Scanner für den Barcode, mit dem die verschiedenen Lebensmittel eingelesen werden müssen. Dafür soll man das jeweilige Produkt vor die Kamera des Smartphone halten, um den Bar- oder QR-Code zu erfassen. Wenn der Code nicht erkannt werden kann oder es sich um Lebensmittel handelt, die nicht mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen sind wie zum Beispiel Gemüse und Obst, dann soll die manuelle Eingabe des Datums möglich sein. Auch die Anzahl eines Produktes lässt sich dadurch eingeben. Hat man ein Produkt erfolgreich erfasst, wird automatisch ein Wecker gestellt, mithilfe dessen dann eine Pop-up-Nachricht daran erinnern soll, wann die Lebensmittel ablaufen.

„Das Tolle an der App soll sein, dass wir nicht nur das Bewusstsein der Menschen im Umgang und Konsum mit Lebensmitteln verbessern wollen. Wir wollen auch einen emotionalen Nutzen für den User schaffen: Die App soll nicht nur den Hinweis liefern, dass etwas abläuft, sondern gleichzeitig auch Rezeptideen. So kann man vorhandene Lebensmittel vor dem endgültigen Verfall retten, aber auch zu leckeren Gerichten kombinieren“, sagt Jana. Durch die Verwendung eines Rezepts, wird dann das jeweilige Produkt aus diesem „Weckersystem“ herausgelöscht.

„All unsere Freunde sind begeistert von der Idee. Wir stoßen immer wieder auf
positiven Zuspruch“, sagen die vier Studentinnen stolz. Stolz sind die Erfinderinnen auch auf ihre bereits erfolgte Patentanmeldung. Im nächsten Schritt stehen sie nun vor der Herausforderung, die Apptatsächlich umzusetzen und zu programmieren. Von einer kleinen Idee ist schon lange nicht mehr die Rede. Es gilt nun, das große Projekt endgültig in die Tat umzusetzen.

Und wie sieht es mittlerweile in ihren Kühlschränken aus? Was muss dort immer vorrätig sein? Sie überlegen nicht lange. „Teresa ist eine absolute Ketchup-Liebhaberin, Jana isst gerne viel mit scharfem Senf, Christiane schmiert Mayonnaise auf alles und ich liebe Erdnussbutter“, sagt Franziska. Alles Dinge, die sich lange halten und die man bei täglichem Gebrauch wohl weniger schnell vergisst.


Text: Laura-Marie Schurer

Foto: Privat

Zeichen der Freundschaft: Mitternachtssnacks

Im Leben gibt es Schicksalsschläge, die man nur schwer verarbeitet. Genau in solchen Zeiten ist es schön Menschen an seiner Seite zu haben, die mit einem gemeinsam trauern. Das schweißt zusammen.

Es ist Donnerstag Nacht und ich habe am nächsten Morgen Colloquiumsbesprechung. Ich weiß, eigentlich sollte ich im Bett liegen. Dennoch sitze ich, eingeklemmt als dritte Person auf einem 2-Mann-Sofa in der randvollen Sendlinger Jungs-WG-Küche, ein Glas Rotwein und einen Heimweg von zwei Stunden vor mir, und bekomme einen Teller Nationalgericht von irgendwo, etwas mit Kichererbsen und Fladenbrot in die Hand gedrückt.

Wir sind ungleiche Freunde, die meisten hier über fünfundzwanzig, gerade dabei, ihr Leben in den Griff zu bekommen und ich seit ein paar Wochen achtzehn, beschäftigt mit dem Abi und völlig planlos für die Zeit danach.
Ich erinnere mich gut an unsere erste richtige Begegnung. Ich bin elf, zwölf, irgendwas um den Dreh und ich habe in dieser Zeit ziemliche Probleme mit dem Schlafen, bin stundenlang wach und kann die Augen nicht schließen.
Und man kennt das ja, nachts, im Dunkeln, sind Geräusche lauter und Gerüche intensiver. Ich liege also da, alle Sinne scharfgestellt, und versuche zu schätzen, wie viele Paar Füße da in unserer Küche herumlaufen. Und wundere mich über den Geruch. Knoblauch. Ich werde sowieso nicht einschlafen, also schleiche ich mich runter, nur um mal zu lauschen und vielleicht durchs Schlüsselloch zu schauen. Natürlich werde ich entdeckt. Und stolz wie Oskar sitze ich ein paar Minuten später am Tisch, mit meinem Bruder und seinen Freunden und einem Teller Nudeln vor mir.

Es sollte mein erster von vielen Mitternachtssnacks mit ihnen sein und die Hoffnung, Schritte in der Küche zu hören und etwas zu riechen, machte das Nicht Schlafen können um so viel weniger schlimm.

Im Nachhinein würde ich es keinem übel nehmen, hätte man mich einfach wieder rausgeworfen, die kleine nervige Schwester, sieben Jahre jünger und verknallt in jeden der coolen Freunde. Ich weiß noch so genau, wie ich meinen Bruder um sie beneidet habe. Große Jungs, die Sonntag früh in unserem Wohnzimmer aufwachten, die Augen ganz verquollen und den Kater so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass meine Mutter den Abgabetermin in der Bücherei sausen ließ, um allen Kaffee zu kochen. Große Mädchen, die auf dem Festnetz anriefen und ihn unbedingt sprechen wollten, die mit uns am Abendessen saßen und nur ganz wenig Reis aßen, und dafür viel Salat. Freunde, mit denen er klettern ging, in die Berge, feiern, spontan wegfuhr, nach Barcelona, Sardinien, Chamonix. So erwachsen, so locker. Er und seine Freunde kamen mir vor wie das Non Plus Ultra an Coolness und Reife. Ich weiß noch, wie ich meiner Mutter sagte, ich wolle auch mal solche Freunde. Freundschaft und Vertrauen sind eine seltsame Sache. Oft brauchen sie ewig in ihrer Entstehung.

Und dann kommt es manchmal von einen Tag auf den anderen. Als mein Bruder starb, da waren sie einfach da. Und mit ihnen diese Nähe. Und irgendwo auf
beiden Seiten Dankbarkeit dafür, jemanden zu haben, dem es genau so geht wie einem selbst. Sie standen weinend vor der Tür, saßen verloren in unseren Küchenstühlen, hielten Reden bei der Beerdigung und erstellten Playlists mit Musik, die uns an ihn erinnerte. Ließen sich von mir in den Arm nehmen, als ich noch nicht weinen konnte und taten später das selbe für mich. In einer Zeit,
als ich nicht wusste, wohin mit mir waren sie da. Und nahmen mich mit in ihre Welt aus ausgelatschten Kletterschuhen, Festivals und Drei Fragezeichen Hörspielen. Vor ein paar Monaten noch nannte ich sie „die Freunde von meinem Bruder“. Inzwischen sage ich einfach „Freunde“. Sie leihen mir die Ersatzschlüssel für ihre Wohnungen, für den Fall der Fälle, schmuggeln mich in Clubs und fragen mich, wo ich bleibe, wenn ich beim obligatorischen Donnerstag-Abend-Essen nicht da bin. Wir planen gemeinsam Urlaube und zicken uns an, wenn wir uns gegenseitig auf die Nerven gehen. Und irgendwie ist es normal geworden, mit Menschen abzuhängen, die gerade in einem völlig anderen Lebensabschnitt stecken als ich. Weil uns etwas zusammengeschweißt hat, was den Altersunterschied überwiegt.

Ich bin kein Ersatz. Und das sind sie auch nicht. Aber ich finde meinen Bruder in ihnen und sie finden ihn in mir. Und wenn sie mich heute abends noch heimfahren, dann kommen sie manchmal noch mit rein. Auf einen Mitternachtssnack.

Text: Magdalena Siebers

Foto:

Yunus Hutterer

Fremdgänger: Mein Tisch, mein Teller

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Essen und Küche ist Bestandteil einer jeden Kultur. Nur kann man sich in dieser Hinsicht manchmal mit der einen besser und mit der anderen schlechter identifizieren. Unsere Autorin beschreibt ihren geplatzeten Croissant-Traum.

Etwas irritiert und enttäuscht starre ich auf die fast leere Schachtel Madeleines, die vor mir steht, und den Fruchtjoghurt. „Und das frühstückt ihr?“, frage ich meine Gastgeber und bemühe mich, meine Abneigung nicht zu zeigen. Es fällt mir sehr schwer. Die
nicken und bedeuten mir freundlich, mich zu bedienen. Unglücklich löffle ich trotz Laktoseintoleranz den Joghurt, die drei übrigen Madeleines waren schon unter den restlichen Händen verschwunden. So ganz entspricht das nicht dem Frühstück, das ich mir an einem traumhaften Sonntagmorgen im Frankreichurlaub erhofft hatte. Selbst mein alltägliches Haferflockenmüsli erscheint mir geradezu verlockend dagegen. Sehnsüchtig denke ich an die Boulangerie 100 Meter weiter. Als ich mich dezent erkundige, warum man denn dort nichts zum Frühstück geholt habe, ernte ich sehr erstaunte Blicke, die verraten, dass man diese Option von selbst nie erwogen hätte.
 Am nächsten Morgen nehme ich die Angelegenheit selbst in die Hand. Aber als ich mit zwei großen Tüten Croissant und Pain au Chocolat zurückkomme, bin ich die Einzige, die davon isst. Die Franzosen können vieles, aber nicht ordentlich frühstücken. Viele Franzosen trinken einfach einen Tee oder Kaffee, ohne etwas zu essen. Dann gibt es noch die Fraktion, die „bisquits“ mit Honig oder Marmelade bestreicht, in Deutschland gemeinhin bekannt als Zwieback. Kann man sich selbst noch schrecklicher quälen morgens? Warum die Franzosen von all den Köstlichkeiten, die es nur in ihrem Land gibt, zum Frühstück nicht Gebrauch machen, werde ich wohl nie verstehen.

Ich habe als Gastgeschenk – neben Brezn und Bier – Frühstücksbrettchen mit hübschen Münchner Stadtmotiven mitgebracht, deren Sinn sich trotz freundlichen Erklärens niemandem so richtig erschlossen zu haben schien. Sie wurden weggeräumt. Zum Frühstück benutzt man hier keinen Teller, die Brote werden auf dem Tisch bestrichen. Vom Tisch essen? Kein Problem! Dafür macht man ihn ja sauber! Die Krümel und Flecken? Kann man wegwischen. Ach, wenn das so plausibel ist, warum benutzen wir überhaupt noch Teller? Ich bin begeistert. Nix mehr mit abspülen. Ab jetzt ist mein Tisch mein Teller. Das widerspricht meiner gesamten Erziehung. Diese gesamte Frühstückssituation ist an Absurdität kaum zu übertreffen für meinen müden Geist. Fast müsste ich lachen über diesen Anblick.

Doch das ist noch nicht der größte Schrecken. Die größte Umstellung kam mit den Essenszeiten. Dîner, also Abendbrot gibt es hier nicht vor halb neun. Während ich also mit meinem brav an deutsche Essenszeiten gewöhnten Magen von halb sieben an Hunger hatte, musste man um diese Uhrzeit noch ein bisschen herumsitzen, bevor man Abendbrot machen konnte. Dabei ist Abendbrot schon der falsche Begriff. Nix mit Brotscheibe und Aufschnitt, fertig und gut so.
Das Abendessen gestaltet sich als Gänge-Menü. Eine warme Hauptspeise und Salat werden jeden Abend serviert. Darauf folgt die rhetorische Frage „Un peu de fromage?“, wer möchte noch Käse? Danach obligatorisch ein Dessert, um zehn Uhr rolle ich mich schließlich müde und mit vollem Magen in mein Zimmer. Jede weitere Bewegung ist ausgeschlossen. Dafür isst man mittags um 12.30 Uhr. Wer hat denn bitte da schon Hunger? Einen deutschen Tagesrhythmus gewohnt, musste ich den französischen wortwörtlich erst einmal verdauen. Am nächsten Morgen hatte ich dann auch keinen Hunger mehr. Aber ein frisches französisches Buttercroissant würde ich mir in Hinblick auf baldige Abstinenz sogar noch nach einem Fünf-Gänge-Menü genehmigen.

Text: Anne Gerstenberg
Foto: Privat

Zeichen der Freundschaft: Küchenliebe

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Essen verbindet. Gemeinsames Träumen auch. In ihrer Kolumne erzählen unsere beiden Autoren von einer ganz besonderen Küche, vollgestopft mit Gewürzen aus aller Welt und ganz viel positiver Stimmung.

Wir sind schon
ein wenig träge. Während sich die restliche Münchener Jugend in den neuesten,
abgefahrensten, teuersten und angesagtesten Clubs dieser Stadt tummelt,
entscheiden wir uns am Otto-Normal-Samstagabend – für Adams Küche. Kein Megaevent
im Blitz, keine Mondfinsternis und kein kostenloses Musikfestival können uns
umstimmen, wenn wir mal wieder richtig Bock auf Adams Küche haben. Und auf Ihn
natürlich.

Adam, der
immer schon die Wohnungstür öffnet, unmittelbar bevor man sie erreicht hat. Der
grinsende Lockenkopf empfängt uns mit einer dicken Umarmung und seinem
typischen „Naa?!“ in seiner kleinen, nach Ebenholz und sanften Gewürzen
duftenden Wohnung. Das Wohnzimmer lassen wir links liegen. Wir folgen ihm in
die kleine, meist mit Musik, Essen und Menschen prall gefüllte Küche.

Kitschige
Backformen in den verschiedensten Formen aus den verschiedensten Jahrzehnten
schmücken die Hinterwand. Die Fensterbank ist vollgestellt mit Kräutertöpfen,
auf dem Tisch steht eine Wasserkaraffe mit dem Schriftzug „Liebe“. Einmal quer
durchs Zimmer führt eine Leine, auf der seit vielen Jahren die verschiedensten
Kräuter, Chilis und undefinierbaren Naturprodukte trocknen. Wüsste man es nicht
besser, könnte man meinen, die Küche gehöre einem sesshaft gewordenen
Waldschamanen.

Soweit das
das äußere Erscheinungsbild. Das eigentlich Anziehende, der Grund warum wir beide
uns in Adams Küche noch wohler fühlen als in der Wasserbettenabteilung von Segmüller,
ist aber natürlich vor allem Adams Gesellschaft. Er ist nicht nur ein
unglaublich einfühlsamer und respektvoller Mensch mit unvergleichlichem
Gerechtigkeitssinn, dem man die merkwürdigsten Geschichten anvertrauen kann.
Adam ist für uns genialischer Gitarrenspieler, Schulbanknachbar der ersten
Stunde, unverzichtbarer Freund und Horizonterweiterer. Er liebt es, viele
Menschen um sich herum zu haben, sie zu bekochen und zu verwöhnen. Je mehr
Leute sich in seiner kleinen Wohnung versammeln, umso
fröhlicher ist er – egal zu welcher Tages- und Nachtzeit. Ausgedehnte
stundenlange Katerfrühstücke sind genau wie hitzige Schafkopfrunden oder
gemütliche Spieleabende nirgends so schön wie bei Adam in der Küche. Sie steht
dem Raum der Wünsche in Hogwarts in nichts nach. Sie stillt unseren Drang, die
Außenwelt auszusperren und ihre Absurdität einfach mal belächeln zu können.

Zu guten
Gesprächen gesellt sich noch besseres Essen – mal aus Polen, dem Heimatland
seiner Eltern, mal international. Immer viel. Immer lecker. Außer wenn jemand
wieder die getrockneten Chilis unterschätzt und eine Pizzaparty zum
tränenreichen Schärfekontest mutiert. Und da Essen nicht alles ist, laufen im
Hintergrund CDs. Blues aus Mali. Irgendwas wie Post-Rock aus den 80ern. Oder
eine Playlist, mitgebracht von einem Roadtrip nach Polen.

Es ist aber
nicht nur ein Ort der Völlerei, der Wollust und der Exzesse. Sie ist gleichzeitig
eine Wohlfühloase, ein Ort der Einkehr und der vollkommenen Zufriedenheit. Sie
bedeutet für uns Konstanz in einer sich viel zu schnell drehenden Welt. Und ist
vielleicht sogar der Grund, warum unser Freundeskreis in zehn Jahren noch nicht
auseinandergebrochen ist.

Man kann das
durchaus als Kleister einer Freundschaft ansehen, die uns ganz bestimmt zu den
Menschen geformt hat, die wir heute sind.
Anfangs lernten wir dort Lateinvokabeln. Irgendwann wurde Liebeskummer
dort geheilt, Reisepläne geschmiedet und neue Musiker-Idole entdeckt. Als wir
noch zusammen zur Schule gingen, heckten wir Pläne für die Zeit nach dem Abitur
aus. Wir wollten alle Dasselbe – Musikkarriere machen oder zumindest
Musikjournalist werden, mit dem Bus nach Marokko fahren, die Welt erkunden und
verbessern. Die Klassiker eben. Die Realität macht einem dann doch immer einen
Strich durch die Rechnung – diese Küche übt einen seltsamen Sog auf uns aus. Dass
sich all das in einem gerade so zehn Quadratmeter großen Zimmer abspielt, macht
nichts. Denn selbst Trägheit kann wunderbar sein, ist man nur von den richtigen
Menschen umgeben.

Text: Tilman
Waldhier und Louis Seibert

Foto:

Yunus Hutterer

Fleischeslust

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Jungkoch Vincent Fricke eröffnet das  Pop-up-Restaurant 

“Fleischkonsum”.  Die Idee dahinter: 

Mit jeder Menge Fleisch will er auf den übermäßigen Fleischkonsum aufmerksam machen.

Am liebsten isst Vincent Fricke Herz. Vom Rind. Mit seinem Pop-up-Restaurant „Fleischkonsum“ möchte der Jungkoch den Menschen deshalb zeigen, dass Innereien richtig zubereitet sehr schmackhaft sein können. Er möchte mit jeder Menge Fleisch auf den übermäßigen Fleischkonsum aufmerksam machen. Vor allem aber will er wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, dass jedes Stück Fleisch, das bei uns auf dem Teller landet, mal ein Lebewesen war. Und das hatte eben nicht nur saftige Lenden, sondern auch ein weiches Herz. Vom 24. August bis 27. August und vom 31. August bis 3. September kann man sich von Vincent’s Drei- bis Fünf-Gänge-Menüs in den Räumlichkeiten des Nudo in der Amalienstraße überzeugen lassen. Oder zumindest mal eine erste Kostprobe wagen.

Man sollte jedoch gewarnt sein, denn Vincent’s Konzept „from nose to tail“ darf und sollte man wörtlich nehmen: An den ersten vier der insgesamt acht Tage, die das Restaurant geöffnet hat, stehen unter anderem Knochenmark und der Schwanz vom Rind auf der Speisekarte. Weil der gebürtige Sachse aber weiß, dass seine Kreationen zumindest beim ersten Lesen gewöhnungsbedürftig sind, gibt es für seine Gäste auch die bei jedem Metzger erhältliche Rinderbrust. Die Mischung macht’s.

Das Pop-up-Restaurant ist Vincents aktuellstes Projekt, aber nebenbei berät er auch Restaurants und Bars beim Erstellen von kulinarischen Konzepten. In jüngster Vergangenheit kamen so die Bun-Bao-Burger auf die Karte des „Home“. Außerdem hat er ein eigenes Cateringunternehmen, auch wenn er sich hier bislang zumindest in Teilen noch den Wünschen seiner Kunden unterordnen muss.

„Mit den Caterings finanziere ich mir meinen Blödsinn“, sagt Vincent, 30, und streicht sich ein gedankenverloren durch seinen Bart. Immer wieder schiebt er auch seine braunen Haare unter die graue Mütze. Nicht nervös oder gestresst, eher so, als hätte er schon wieder neue Flausen im Kopf. Durch solche Flausen sind auch sein Eintopf-Lieferservice, für den er nun für den kommenden Winter eine vorübergehende Location sucht, sein mittlerweile zweites Kochbuch und sein Supperclub „Sonntagsbraten“ entstanden.
 Seit drei Jahren lädt Vincent alle vier bis acht Wochen zum gemütlichen Dinieren am Sonntag ein – wenn möglich, jedes Mal in einer neuen Location. Wie der Name schon vermuten lässt, geht es auch hier um seine Philosophie, weniger, dafür aber bewusster Fleisch zu konsumieren. Ganz auf Fleisch oder sogar gänzlich auf tierische Produkte zu verzichten, ist für den Genussmenschen jedoch keine Option. Eine vegane Ernährung hält er für schädlich. Auch für einen rein vegetarischen Speiseplan isst Vincent zu gerne Fleisch. Aber es soll eben kein Billigfleisch sein, sondern möglichst regional bezogen werden und aus artgerechter Haltung stammen. Das gilt allerdings nicht nur für das Fleisch, sondern alle Produkte, die Vincent in seiner Küche verwendet.

Leidenschaftlicher Koch ist Vincent eher durch Zufall geworden. „Ich wurde teilweise mit Paprika-Rahm-Geschnetzeltem von Maggi vergewaltigt“, witzelt er über seine kulinarische Erziehung. Wie so jemand dann trotzdem Koch wird? Ein damals guter Freund hat sich nach dem Realschulabschluss für eine Ausbildung zum Koch beworben. Aus einer Laune heraus bewarb Vincent sich ebenfalls – und bekam die Stelle. Und obwohl er damals nur weiße Zwiebeln kannte und rote Zwiebeln schälte, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb, ist er dabei geblieben.

Seitdem dreht sich bei Vincent alles ums Essen. „Wenn ich nicht koche, rede ich übers Essen oder bin in Restaurants unterwegs“, sagt er und muss über sich selbst lachen. Sein sächsischer Akzent ist nur leicht hörbar, seine Begeisterung fürs Kochen dafür umso mehr.
Diese Begeisterung ist es, die ihn antreibt, immer wieder neue Projekte zu verwirklichen. Ein eigenes Restaurant zu eröffnen, reizt ihn deshalb bislang noch nicht: „Ab dem Zeitpunkt, wo ein Projekt läuft, wird mir langweilig. Und immer dann, wenn einem Koch langweilig ist, sollte er aufhören.“ Im Gegensatz zu Städten wie Leipzig und Berlin macht es einem München manchmal jedoch schwer, so spontan zu sein, wie Vincent es gerne wäre. Trotzdem will er vorerst hier bleiben. Er liebt die Herausforderung. Die Münchner seien zudem fress-affiner als Menschen in manch anderen deutschen Städten, sagt Vincent, lacht und meint das durchweg positiv.  

Von: Jacqueline Lang

Foto: Kristin Arnhold