Reines Gewissen

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Solange man in Wohngemeinschaften lebt, kann man sich der Illusion hingeben, ein ordentlicher Mensch zu sein.

Es gibt in jeder WG genau einen Bewohner, der ordentlicher und sauberer ist als alle anderen – und außerdem viel weniger Nahrungsmittel klaut. Nur wechselt der Name dieses Menschen nicht von WG zu WG. Dieser Mensch ist immer man selbst. Und der Dreck, das waren die anderen.

Man muss eigentlich glücklich sein, die anderen zu haben. Gelobt seien ihre verkrusteten Töpfe in der Spüle! Gepriesen der Saft ihres Schweinefleischs, der im Kühlschrank auf die eigenen Erdbeeren tropft! Und an dieser Stelle auch ein Halleluja auf ihren Wecker, den sie auf sechs Uhr morgens gestellt lassen, wenn sie in den Semesterferien heim zu Mama fahren. So nervig das sein mag, es ist Balsam für das Ego. Ein Ego, das sich – jetzt mal ehrlich – doch immer freut, wenn es sich ein bisschen empören kann. Besonders wenn man selbst dadurch die Bestätigung erhält, wie ordentlich, wie sauber, wie geduldig man doch ist. Übel ist es nur, wenn diese Illusion plötzlich zusammenbricht. So wie bei meiner Freundin, die sich eines Morgens über die ungespülten Töpfe ihrer Mitbewohner ärgerte – bis ihr einfiel, dass sie seit Tagen die einzige in der WG war.

Von eigenen Wohnungen ist deshalb eigentlich dringend abzuraten. Sie produzieren nur Schmutz und Unordnung; und zwar einfach von selbst. Einmal in die andere Richtung geschaut und – schwupps – materialisiert sich ein Staubball in der Ecke. Und kaum verlässt man die Küche, wächst der Geschirrberg, einfach so, in die Höhe. Da befallen einen plötzlich quälende Fragen: Mache etwa ich den Dreck? Bin ich unordentlich? Pfui, solchen Gedanken sind unschön. Man muss ihnen Einhalt gebieten. Sich einen randalierenden oder stark sabbernden Hund anzuschaffen, ist eine gute Idee. Oder Brauereistudenten zu ausschweifenden Partys einzuladen; die Wirkung ist ähnlich. Denn Putzen hält die Wohnung für schätzungsweise acht Stunden sauber. Subjekte, die sie wieder dreckig machen, reinigen das Gewissen dauerhaft. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.