Oscar Wilde und Windeln wechseln

Benefiz-Theater
für eine bessere Welt. Doch mit Spendensammeln begnügt sich Felicitas
Boeselager nicht: Sie selbst fährt seit Jahren in den Libanon um Behinderten zu
helfen und ihnen Urlaub zu ermöglichen.

Karim Inconnu. Karim
Unbekannt, so lautet der Name eines libanesischen Behinderten, mit dem
Felicitas Boeselager, 23, vieles verbindet: die Angst vor dem ersten Treffen, die
langsame Annäherung – und seither vor allem Freundschaft, besondere
Freundschaft. Denn Karim kann nicht sprechen, nicht gehen, und wie sein Name
ist auch seine Vergangenheit: unbekannt. Seit vier Jahren nun fährt die
Studentin jeden Sommer zusammen mit anderen in den Libanon, um Menschen wie
Karim zu treffen, sie zu pflegen und ihnen ein paar Tage Urlaub zu ermöglichen.
Und um diese Betreuung im Libanon überhaupt finanzieren zu können, leitet sie
jetzt schon im zweiten Jahr ein Benefiz-Theaterprojekt: Libanon on Stage.

Mit 19 erfuhr Felicitas
von dem Libanon-Projekt der Malteser. Ein junger Student war 1997 im Nahen
Osten unterwegs, sah die Zustände, die in den Behindertenheimen herrschten, und
beschloss, ein Jahr später mit Freunden und einem Arzt zurückzukehren und
Urlaub zu machen – mit den Behinderten, für die Behinderten. Von früh bis spät,
nach deren Wünschen. Noch heute finden diese Sommer-Camps in demselben Haus
statt, mitten in den Bergen des Libanons, auf dem Gelände eines alten Klosters.
Inzwischen werden die Freiwilligen zusätzlich von Priestern unterstützt. Auch
einige Mütter kommen mit, kochen und versorgen die jungen Menschen.

Die Behinderten kommen
aus insgesamt vier katholischen Heimen im Land. Die Zeit der Schwestern dort
ist knapp, das Geld noch mehr. „Im Libanon gilt ein behindertes Kind oft noch
als Strafe Gottes“, erklärt Felicitas. Die Familien derer, die in diesen Heimen
leben, haben entweder zu wenig Geld, um sich ein privates Heim zu leisten, oder
zu viel Scham. „Unser Ziel ist auch, die Behinderten so in das Bewusstsein der
Libanesen zu rücken, dass sie sich irgendwann selbst um sie kümmern.“ Aus
diesem Grund nehmen nicht nur Jugendliche aus Deutschland und dem Rest von
Europa an dem Projekt teil, sondern auch libanesische Volontäre.

Als die 23-Jährige an
dem kleinen Café in Schwabing ankommt, sind ihre Haare noch nass. Sie habe die
Zeit vergessen, sagt sie, lacht, setzt sich und bestellt einen Cappuccino. Das
Handy liegt griffbereit auf dem Tisch, sie erwarte noch wichtige Anrufe, jetzt
in der heißen Phase für Libanon on Stage müsse jeden Tag etwas geregelt werden.
Dann erzählt sie. Von ihren „Jungs“, die eigentlich keine Jungs sind, sondern
Männer und Frauen in jedem Alter. Sie erzählt, wie viel Angst sie hatte, als
sie das erste Mal vor dem Kloster stand und der Bus mit den Behinderten
einfuhr. Darunter auch Karim, ihr erster Schützling, über den sie so viel
Schlechtes gehört hatte. Er schlage um sich, sei nicht zugänglich. „Ich dachte,
damit komme ich nie zurecht.“ Inzwischen seien sie Freunde.

Sie erzählt auch, wie
sie schon nach ihrem ersten Besuch im Libanon beschloss, mehr zu tun. Wie so
viele aus dem Projekt nahm sie an Libanon on Stage teil. Im ersten Jahr stand
sie dann noch in Mönchskutte auf der Bühne, danach wurde sie gefragt, ob sie
nicht die Leitung übernehmen wolle. Sie wollte.

Seit 2005 gibt es das
Benefiz-Theater nun schon. Jedes Frühjahr studieren junge Menschen freiwillig
innerhalb einer Woche ein Theaterstück ein, bauen das Bühnenbild, nähen die
Kostüme – alles wird selbst gemacht. An diesem Montag starten die sieben
Probetage voll mit Text lernen, schneidern, organisieren und natürlich auch ein
bisschen feiern zwischendurch. Dann geht es auf Tour: Frankfurt, Köln, Hamburg,
Berlin – und am 5. und 6. Mai machen sie auch im Münchner Kolpinghaus Halt.

Der einzige Profi ist
der Regisseur, der Rest Amateure. „Wir sind nicht besonders professionell“,
sagt sie und lacht, „aber wir sind gut im Improvisieren.“ Auch sie selbst kommt
immer wieder an ihre Grenzen, wenn ihre rhetorischen Fähigkeiten spontan bei
der Begrüßungsrede versagen oder es bis kurz vor der Probenwoche noch kein
Stück gibt – wie dieses Jahr. Mittlerweile haben sie sich für „Ernst sein ist
alles“ von Oscar Wilde entschieden.

Manchmal, sagt sie, wird
ihr der Stress zu viel, dann hilft ihr die Erinnerung an Libanon, sich neu zu
motivieren. Auch dort sei es oft hart. „Man kann sich Schöneres im Leben
vorstellen, als einen 25-Jährigen zu wickeln“, gibt sie zu. Aber wenn sie sich
um ihren Schützling kümmert, wenn sie merkt, wie er sich freut, falle der ganze
andere Stress von ihr ab.

Überhaupt: Ernst bleiben
will sie nicht. „Für diesen Job braucht man schon Humor“, erklärt sie mit einem
wissenden Grinsen. Und Improvisationstalent, wenn bei der Aufführung plötzlich
ein Kartenabreißer fehlt. Aber ernst soll die Inszenierung sowieso nicht
werden. „Wir wollen, dass die Leute nach dem Abend spenden, damit wir das
Libanon-Projekt davon finanzieren können“, gibt sie zu, „dafür dürfen sie nicht
traurig rausgehen.“

Besonders findet sie das
nicht, was sie macht. „Du bist nie allein“, sagt sie, „egal ob beim Theater
oder im Libanon: Immer kann ich auf die Erfahrung der anderen zurückgreifen.“
Und dann meint sie, was das überhaupt sein solle: besonders. „Ich bin keine
Heldin“, sagt sie mit Nachdruck und diesmal doch ein wenig ernst, „denn im
Grunde kann das jeder.“

Foto:
Catherina Hess