Treffen der Dorfkinder

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Willkommen zu Hause. Willkommen auf dem Dorf. Wer zum Studieren vom Land in die große Stadt gezogen ist, will meistens alles hinter sich lassen. Den Dialekt, die peinlichen Geschichten und die Schule. Aber irgendwas bleibt immer hängen – und wenn es nur der neueste Dorfklatsch ist.

Wir haben uns seit mehr als drei Jahren nicht mehr gesehen. Oder voneinander gehört. Seit ich nach München gezogen bin, sicher nicht mehr. Ich erkenne Lukas auf den ersten Blick gar nicht, als wir uns vor dem Münchner Lokal über den Weg laufen, in dem er heute Klavier spielen wird. Mein Gott, ist er gewachsen! Aber er erkennt mich sofort. Das liegt nicht einmal unbedingt daran, dass ich seit einem Jahrzehnt nicht mehr wachse. Nein, sein folgender Begrüßungssatz verrät die Quelle: „Meine Mutter hat mir schon erzählt, dass du kommst!“

Na super: Ich erinnere mich nicht mal an den Namen von Lukas’ Mutter, aber sie weiß, wo ich mich mittwochabends rumtreibe. Es heißt, München sei ein Dorf, aber, glaubt mir, so ein oberbayerisches Kaff ist erst recht ein Dorf! Eigentlich dachte ich, aus dem Dorf wäre ich vor gut drei Jahren weggezogen – große Stadt ich komme und so –, aber das ist wohl nichts als eine Illusion, die sich kleine Mädchen vom Land machen. Dörfer lassen einen nicht los. Nein, nicht so lange dort Eltern leben, die sich beim Starkbierfest über unsere Terminpläne austauschen. Ich frage Lukas, was er so macht, weil man das eben fragt, wenn man sich jahrelang nicht gesehen hat. Aber eigentlich weiß ich es schon: Mama hat’s mir doch ohnehin schon erzählt.

Als Lukas sich auf den Weg in Richtung Bühne macht, kommt Anne an. Noch so ein Dorfkind. Vor zehn Jahren, war sie ein kleines Mädchen, das mich im Schulbus genervt hat. Jetzt sind wir beide große Mädchen vom Dorf, die den Versuch unternehmen, auf keinen Fall mehr Mädchen vom Dorf zu sein. Um es kurz zu machen: Wir schlagen uns bei dem Versuch nicht besonders gut. Nachdem wir versucht haben herauszufinden, ob der viele Wodka in Annes verschwommener Erinnerung zu Lukas’ sechzehntem oder siebzehntem Geburtstag gehört, erzählen wir ihrem neuen Freund von dem Mal, als Anne betrunken in den Linienbus gekotzt hat. Der neue Freund wirkt mäßig begeistert. Aber wir amüsieren uns prächtig: Während so einer Jugend auf dem Lande erlebt man einfach die spannendsten Geschichten!

Bei Vorstellungsbeginn ist dann aber Ruhe. Ich muss mich schließlich konzentrieren; wie sonst könnte ich meiner Mama morgen eine genaue Berichterstattung abliefern?

Von Susanne Krause