Nähe spüren

Es wird sie geben, eine Zeit nach Corona – bis dahin halten unsere Autoren und Autorinnen hier fest, was sie besonders vermissen und worauf sie sich am meisten freuen.

von Anastasia Trenkler

Eigentlich wäre ich in die U-Bahn gestiegen: Als meine Freundin gestern Abend anrief, hat sie viel
geweint. Ich hörte zu und spendete tröstende Worte. Das war gut für den Anfang, reichte aber
nicht: „Eine Umarmung würde mir gerade richtig gut tun“, sagte sie. Wir beide schwiegen. Keine
von uns beiden wusste gestern und weiß auch heute nicht, wann das wieder möglich sein wird. Mir
blieb nichts weiter übrig, als am Hörer zu bleiben.

Auch mir fehlen Umarmungen – oder noch allgemeiner: Berührungen. Die großen und
bedeutsamen, aber auch die kleinen und beiläufigen. Wenn ich an eine Zeit nach Corona denke,
dann sehe ich mich und meine Liebsten einander in die Arme fallen – erleichtert, tröstend, ja
glücklich. Das mag kitschig sein. Ist aber menschlich.

Wir alle brauchen Berührungen: den festen Händedruck und die zarte Umarmung, Massage-
Einheiten, Küsse und Sex. Ganz gleich, ob platonisch oder romantisch: Hauptsache, die
Berührungen sind einvernehmlich und fühlen sich gut an. Besonders die sanften und streichelnden
sorgen für einen positiven Effekt im Körper: Das Gehirn sendet dann Signale zur Ausschüttung des
Glückshormons Oxytocin – ein besonders guter Stoff. Er sorgt dafür, dass wir ruhiger atmen, sich
unser Herzschlag senkt, wir runterkommen.

Aktuell bin auch ich auf Oxytocin-Entzug. Experten raten Alleinstehenden und Alleinwohnenden zu
einem heißen Bad, Freunde empfehlen Rotwein und Gras. Hätte ich diese Tipps auch meiner
Freundin am Telefon geben sollen? Wohl eher nicht. Schließlich löst weder aufgequollene
Hornhaut, noch eine Ersatzdroge das eigentliche Problem: Wir Menschen sind soziale Wesen.
Und es ist vollkommen egal, wie häufig wir alle skypen, uns zu virtuellen Hauspartys verabreden
oder gemeinsam Netflix-Serien bingen: Wir alle sehnen uns nach echter Nähe – zumindest die
einsamen unter uns.

Also träume ich weiter von einer Post-Corona-Welt: Wenn das alles hier vorbei ist, dann möchte
ich Freunde knuddeln. Dann will ich alberne High-Fives verteilen und auf Schultern tippen. Dann
möchte ich fest Hände schütteln und anderen im Streit auf die Pelle rücken. Ich möchte mit
weniger als einem Meter Abstand mit Freunden im Englischen Garten sitzen, anstatt in verpixelte
Gesichter auf Bildschirmen zu blicken. Und vor allem möchte ich für andere da sein, wenn es
heißt, nachts in U-Bahnen zu steigen, um tröstend Freunde zu umarmen.