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Musikvideo-Kolumne: Stray Colors

Musikvideos zeigen Geschichten – und diese zu erzählen ist unser Ziel. Wir haben die Videos Münchner Bands stummgeschaltet und festgehalten, was die Film-Clips beschreiben. Diese Woche: Subway Train von Stray Colors.

Regen prasselt auf sie herunter, doch die Frau im gelben Regenmantel bleibt cool. Ihr Gesicht ist ausdruckslos oder zumindest der Teil, der nicht von einer überdimensionalen Sonnenbrille verdeckt wird. Cut. Der Himmel reißt auf, ins Schwitzen gerät Hauptfigur zwei im knallblauen Windbreaker dennoch nicht – trotz Work-Out auf dem Hometrainer. Vielleicht auch deshalb nicht, weil sie sich im Schneckentempo bewegt. Fast scheint es, als wäre die Welt stehen geblieben, irgendwann in den 80er-Jahren.

Die Kleidung der jungen Frauen und Männer könnte aus der Garderobe eines jeden Maxvorstadt-Hipsters geklaut worden sein, ebenso ihre Schnurrbärte. Das alles ist nicht weit entfernt vom Jetztzeit-Kitsch. Doch so romantisch die Vorstadtidylle voller gelbbrauner Blumentapeten und pompöser Goldrahmen auch aussehen mag: Die Gesichter der Menschen sprechen eine andere Sprache.

Den Blick haben sie stets starr geradeaus gerichtet, man weiß nicht, worauf, nur, dass es weit in der Ferne liegen muss. Einsam wirken die Menschen, die entweder alleine auftreten oder zu zweit, dann aber getrennt voneinander durch Stühle oder Fensterrahmen. Es könnten Szenen aus dem Corona-Lockdown sein, die Entschleunigung des Alltags wirkt eher bedrückend, die Langeweile tödlich.

Und was macht der Mensch, wenn er ausbrechen möchte aus der Enge der eigenen vier Wände? Er geht in die Natur (oder träumt sich dort hin), er nimmt ein Bad, liest oder hört Musik (mit stilechtem Walkman). So haben wir es auch während der Pandemie oft gehalten. Doch am Ende hilft alles nichts, selbst der winzige Hund spendet keinen Trost mehr.

Was immer hilft? Liebe. Das ist im Leben so. Aber auch in Musikvideos.

Was den jungen Menschen wirklich fehlt, sind zwischenmenschliche Beziehungen. Aus einer flüchtigen Begegnung wird Liebe auf den ersten Blick, wenn Mann und Frau sich über ihre Bücher hinweg tief in die Augen schauen. Endlich haben sie ein Lächeln auf den Lippen.

Das Video spricht die tiefsten Sehnsüchte eines jeden von uns an: den Wunsch nach Zusammensein. Ein Aspekt aber bleibt seltsam altmodisch. Letztlich ist es ein Er, der die Protagonistin auswählt und in eine Märchenwelt voller Konfetti, Feen, und Quietscheenten entführt. Nachdem er sie intensiv, beinahe voyeuristisch auf dem Hometrainer beobachtet hat. Naja… Manchmal reicht auch eine kleine Geste, das Aufhalten der U-Bahn-Türen etwa, um die Alltagssorgen für einen kurzen Moment zu vergessen.

Von Clara Löffler