Musikvideos zeigen Geschichten – und diese zu erzählen ist unser Ziel. Wir haben die Videos Münchner Bands stummgeschaltet und festgehalten, was die Film-Clips beschreiben. Diese Woche: WAVES [Reflections] von Lauraine
128 Sekunden. 128 Sekunden dauert es, bis die Frau mit den kurzen braunen Haaren lächelt. Sie beginnt zu tanzen, lacht ausgelassen. Was auch immer den Abend und ihr Laune davor bestimmte, scheint vergessen.
Das Video zu „WAVES [Reflections]“ skizziert den Abend dieser jungen Frau. Der Abend beginnt in einem Münchner Club. Sie betritt mit zwei Freundinnen das Ampere. Sie geht zur Bar – erster Drink. Ihr Gesichtsausdruck verrät aber, dass keine Partystimmung aufkommen mag. Ihr Blick drückt Unbehagen aus. Was passiert ist? Das wird nie ganz eindeutig klar. Während die Menschen um sie herum quatschen, miteinander lachen, flirten, sitzt sie da – unbeteiligt, als wäre alles um sie herum nicht real. Der Abend fliegt an ihr vorbei. Die Szenerie und die Aufnahmen der Feiernden sehen aus, als entstammten sie den wirklichen Clubnächten Münchens. Nicht so erzwungen, nicht so choreografiert, nicht so künstlich inszeniert wie sonst im deutschen Film.
Immer wieder durchschnitten wird die Skizze des Abends von Szenen auf einer Fahrbahn: Die junge Frau im Scheinwerferlicht eines Autos, das sie zu verfolgen scheint – mal läuft sie, mal geht sie, mal steht sie einfach nur dort. Der Fahrer, den man nicht erkennen kann, scheint nicht unentdeckt bleiben zu wollen. Er ist ihr ständiger Begleiter, dicht an dicht, immer hinter ihr.
Nur wenn sie mit der Band „Lauraine“ auf der Bühne steht und tanzt, kann sie sich frei bewegen, ganz ohne Verfolger und ganz ohne das Gefühl des Unbehagens, das wahrscheinlich jeder kennt. Es ist ein nicht wirklich zu lokalisierendes Gefühl der Beklemmung, das eine Grenze zieht zwischen sich und anderen. Und gerade vor dem Hintergrund einer Pandemie mit ihren Abstands- und Abschottungsgeboten haben sich solche Grenzziehungen in uns eingeschrieben.
Zwischen diesen drei Szenerien pendelt das Video hin und her. Das Unbehagen und das Auto aber bleiben, selbst, als die Protagonistin das Glas mit ihrem Drink vor Wut auf der Straße zerschellen lässt. Das Unbehagen beherrscht die Stimmung. 128 Sekunden lang. Erst dann bricht sie das Eis, beginnt zu tanzen und zu lachen.
Am Ende ist wieder das Auto zu sehen. Dieses Mal sitzt die junge Frau selbst am Steuer, stellt das Auto, ihren Verfolger am Straßenrand ab und geht.
Von Luca Lang