Während des Gesprächs sind Şahika Tetik (links) und Hülya Weller beim sechsten Çay angelangt. „So stark ist er nicht“, sagt Hülya. Foto: Florian Peljak

„Mama, was ist eine Ausländerin?“

Als Jugendliche haben sich Hülya Weller und Şahika Tetik für ihre türkischen Wurzeln geschämt. Ihr Podcast handelt vom Aufwachsen in zwei Kulturen

Zuerst gießt Hülya einen großzügigen Schluck türkischen Schwarztee in die kleinen geschwungenen Tassen, dann füllt sie mit heißem Wasser auf. Zwei kleine Löffel Zucker, es wird kurz umgerührt. Dieses Klimpern führt die Zuhörerinnen und Zuhörer durch den Podcast von Hülya Weller und Şahika Tetik, die während einer Folge schon mal sechs Gläser Çay konsumieren. „Çay ist unter anderem in der türkischen Kultur ein sehr geselliges Getränk. Die Menschen kommen zusammen und unterhalten sich“, erklärt Şahika, während sie die schwere doppelte Çaykanne behutsam auf dem Esstisch abstellt. Ganz klar, dass der Tee auch als Namensgeber für den Podcast herhalten musste. Zwischen dem ganzen Aufnahmeequipment wirkt die traditionelle Teekanne noch exotischer, als sie es in München ohnehin schon tut.

Im Podcast „Çay mal ehrlich“ sprechen sie auch von Problemen mit Kaltwachsstreifen

Exotisch, das ist auch so ein Wort, das die jungen Frauen in Bezug auf ihr Äußeres häufiger zu hören bekommen. Genauso wie die Floskel „Du sprichst aber gut deutsch“. Dieses vermeintliche Kompliment sorgt bei Şahika, 26, und Hülya, 31, für Augenrollen. Aufgrund ihres dunklen Teints gehören Ressentiments und Diskriminierung zum Alltag. Locker und ungefiltert erzählen sie davon in ihrem Podcast „Çay mal ehrlich“. Sie sprechen von Problemen mit Kaltwachsstreifen, die bei ihrem Haarwuchs keinesfalls 28 Tage Glätte garantieren, bis zu rassistischen Äußerungen ihres Schuldirektors, der Hülya am liebsten in die Türkei abgeschoben hätte.

Der Esstisch, der in Hülyas Wohnzimmer steht, wird zum Tonstudio. Hier sitzen sich Şahika und Hülya gegenüber und nehmen auf. Die beiden jungen Frauen haben sich 2017 beim türkischen Impro-Theater in München kennengelernt. Proben und Auftritte fallen gerade aus, trotzdem haben sie oft stundenlang telefoniert. „Es gab so ein, zwei Gespräche, bei denen wir am Ende gesagt haben, das war so cool, das hätten wir eigentlich aufnehmen können.“ So kamen sie auf die Idee mit dem Podcast.

Gerade im vergangenen Jahr haben sich Hülya und Şahika intensiv mit Themen wie Rassismus und Gleichberechtigung auseinandergesetzt, angestoßen auch durch die mediale Präsenz der People-of-Colour-Community.

Ihre erste aktive Erfahrung von Rassismus hat Hülya im Kindergarten erlebt. „Dort durfte ich erst dann in die Puppenecke, wenn die, ich sage jetzt mal ‚blonden Mädchen‘, mit dem Spielen fertig waren.“ Die Nachbarskinder durften nicht mehr mit ihr spielen, denn „Türken stinken“.

Hülya wurde in Tirol geboren. Bereits ihr Opa zog ins Dorf, holte seine Frau und anschließend die Kinder nach. Faktisch war Hülya keine Ausländerin, in den Augen der anderen schon. „Meine Mama hat mir erzählt, dass ich als Kind oft geweint habe. Ich war verwirrt und habe nicht verstanden, warum ich nicht dazu gehörte.“ Retrospektiv betrachtet weiß sie, dass ihr Versuch, sich anzupassen, naiv war. Sie versuchte, so wie die anderen zu sein, zog sich so an und sprach in der Öffentlichkeit kein Türkisch. Geholfen war damit niemandem. Vor zwölf Jahren hatte Hülya genug davon. Fürs Studium zog sie nach München, wo sie die Gesellschaft als offener empfindet. „Hier gibt es so etwas wie eine Dankbarkeit gegenüber der türkischen Kultur“, mutmaßt Şahika. „Türkinnen und Türken wurden mit dem Anwerbeabkommen 1961 nach München geholt, um die Stadt wieder aufzubauen.“ Hülya ergänzt: „Trotzdem wurde politisch wahnsinnig viel verpasst.“ In ihrem kulturwissenschaftlichen Studium hat sie sich mit der Postkolonialismus beschäftigt. „Eine ganze Generation, die heute noch mal zehn, fünfzehn Jahre älter ist als wir, ist einfach durchs Raster gefallen.“ Deren Eltern mussten viel arbeiten, sie lebten in Gettos, was auch wieder zu Gewalt und Straftaten führte. „Daher kommt auch das Bild von den Türken als ‚schlechte Ausländer‘.“

Lange glaubte auch Şahika, „schlecht“ zu sein. Zu negativ behaftet war das Bild einer türkischen Frau. Die Frage, ob sie denn aufgrund ihres Aussehens Spanierin sei, also eine „gute Ausländerin“, musste sie verneinen, worauf nicht nur ihr Gegenüber enttäuscht wirkte. „Wäre ja schön gewesen.“ Dabei ist Şahika die „gut integrierte Türkin“, wie sie sagt. „Es klingt so negativ, wenn ich sage, dass ich so deutsch aufgewachsen bin. Dabei bin ich dafür sehr dankbar“, sagt Şahika.

Şahika wurde in München geboren und wuchs im Stadtviertel Au auf, ihr Bildungsweg ist mit Gymnasium und Studium „sehr weiß“ geprägt. Im Gegensatz zu Hülya hatte sie keine Migrationscommunity um sich herum. Viele türkische Traditionen sind ihr daher nicht bekannt. Und auch die Sprache beherrscht sie nicht so gut wie Hülya. „Das finde ich heute schon etwas schade.“ Şahikas Vater war Hausmann, da die Mutter als Angestellte der Stadt München besser verdiente als er. „Was, der ist doch Türke. Was soll das?“, wirft Hülya höhnisch ein und äfft so eine typische Reaktion auf diese Aussage nach. „Es gab auch immer überraschte Blicke, wenn er mit Vollbart das kleine Mädchen in den Kindergarten brachte“, sagt Şahika und lacht. Ihr Äußeres macht es türkischen Männern häufig noch schwerer als Frauen. Als Kind konnte Şahika das nicht nachvollziehen, auch nicht, als in ihrem Grundschulzeugnis stand, dass sie „für eine Ausländerin die deutsche Sprache recht gut beherrscht“. „Ich fragte: Mama, was ist eine Ausländerin?“

Beide eint ein Background, für den sie sich nie hätten schämen müssen

Viele junge Erwachsene mit gleichen oder ähnlichen Migrationsbiografien haben solche Erfahrungen gemacht. Gerade einmal zwei Podcast-Folgen sind veröffentlicht, doch auf Instagram bekommen sie jetzt schon viele Nachrichten. Die Leute sehen, dass sie nicht allein sind. Auf der anderen Seite sprechen sie auch Menschen an, die sich für das Thema sensibilisieren wollen.

Mit dem Podcast kann vor allem Şahika einen Teil der türkischen Traditionen aufleben lassen. „Ich habe schon immer so Phasen gehabt, wo das Thema Identitätskrise eine Rolle gespielt hat, weil ich eben nicht beide Kulturen gleichermaßen ausleben konnte, oder verstehen konnte. So eine Freundin wie Hülya hätte ich schon früher gebraucht.“ Hülya nickt: „Geht mir genauso.“

Beide eint ein Background, für den sie sich nie hätten schämen müssen. Auch, wenn sie das erst heute wissen.

 

Von Sandra Langmann