Projektionen und Visionen: Antonia Zettl ist Tänzerin, sie wandelt also Klänge in Bewegungen um.
Vor allem aber übersetzt die angehende Animationstechnikerin auf der Bühne Musik in Farben und Bilder
Von Louis Seibert
Antonia Zettl, 27, fordert mit ihrer Kunst die Grenzen der Wahrnehmung heraus. Mal wandelt sie musikalische Klangteppiche in Licht-Projektionen um, mal verbindet sie orientalischen Bauchtanz mit Alternative Rock.
Welche Farbe hat der Klang einer E-Gitarre? Können tiefe Bass-Melodien leuchten? Und der Schlag auf eine offene Hi-Hat? „Das lässt sich nicht pauschal übertragen“, erzählt Antonia Zettl. „Musik hinterlässt ein auf bestimmte Art und Weise zusammengesetztes Gesamtbild in meinem Kopf. Das versuche ich dann nach außen darzustellen.“ Was zunächst einmal ein wenig verrückt klingen mag, ist für die 27-Jährige ein großer Glücksfall.
Antonia verarbeitet Musik zu Farben, Formen und Bewegungen. Statt mit Gitarre ist sie mit Beamer und Bildprogramm Mitglied einer Post-Rock-Gruppe. Als Tänzerin wandelt sie Musik in Videos zu Bewegung um. Tribal Fusion Bellydance heißt der Tanzstil. Parallel bildet sie sich an der Akademie für digitales Marketing in 3D-Film- und Animationstechniken fort. Sie dreht eine ganze Reihe von Musikvideos.
Antonia, lange offene Haare, schicke Kleidung und bodenständige Ausstrahlung, sitzt in einem Café in Schwabing und versucht, ihr kreatives Schaffen in ein paar Sätzen zu beschreiben. „Ich bin oft auf der Suche nach dem verbindenden Element“, sagt sie. Mit ihrer Kunst wandelt sie Musik in Bilder um, Bewegung in Musik.
Seit Februar dieses Jahres ist Antonia Teil der Band Pictures From Nadira. Die vier Münchner spielen wunderbar melodischen, instrumentalen Post-Rock. Zum hochgelobten Debütalbum „Nadira“ möchte man am liebsten die Welt abschalten und sich dem Kopfkino einmal in Ruhe hingeben. Bei deren Konzerten steht die 27-Jährige allerdings nicht auf der Bühne. Antonia sitzt vor einem Computerbildschirm. Sie tippt angeregt auf der Tastatur. Neben ihr leuchtet ein Projektor. Formen und Farben tanzen auf den Körpern und Instrumenten der Musiker. Im Rhythmus der Musik wechseln auch Antonias Projektionen.
„Es ist ein bisschen, als würde auch ich ein Instrument spielen“, erzählt die 27-Jährige. „Nur dass ich viel freier bin.“ Die Zusammenarbeit mache ihr so viel Spaß, „weil die Songs eine Dramaturgie haben“. Die Musik rufe bei ihr Bilder hervor, die sie den Musikern zurückgebe, indem sie ihre Bandkollegen in die Formen und Bewegungen ihrer Präsentation eintauchen lässt.
Erste Erfahrungen mit Licht- und Veranstaltungstechnik sammelte sie als Philosophiestudentin bei Bandabenden im Cord Club oder beim Label Sun King Music. „Oft kannte ich allerdings dort die Musik dann nicht“, erzählt Antonia. „Mit Pictures From Nadira habe ich den Luxus, meinen Part ebenfalls einzustudieren. Das Ergebnis ist unglaublich viel tighter“, sagt sie.
In ihren Projektionen verbindet sie spielend zwei Welten miteinander, die auf den ersten Blick völlig konträr erscheinen. „Für mich funktioniert das einfach“, sagt Antonia mit fast schon kindhafter Leichtigkeit. Die meisten Grenzen würden sowieso nur in den Köpfen der Menschen existieren: Man müsse sich trauen, darüber hinwegzuspringen. Diese Idee findet sich auch in ihrem Video-Künstlernamen wieder: Lumentwined. „Es geht um die Synästhesie des Lichts. Nicht nur mit der Musik, auch mit den Menschen, die sie erzeugen, mit der Bühne und dem Raum“, erklärt sie. Mit dem Namen trenne sie sich auch klar von ihren anderen Projekten ab. „Wenn ich zum Beispiel tanze, dann bin ich einfach nur Antonia.“
In München traf sie auf hervorragende Künstler. „Vor allem die Filmszene hier ist super vernetzt“, sagt sie. „Was aber oft fehlt, sind die Räume“; das sei allen Kunstschaffenden in der Stadt klar. „Den Bands werden immer mehr ihrer verbliebenen Veranstaltungs- und Proberäume weggenommen“, sagt sie. Den Pictures From Nadira geht es da noch vergleichsweise gut: Der Bandraum ist groß genug, dass Antonia ihre Projektionen mit den Musikern einstudieren kann. „Wir filmen das Ganze oft und werten es dann zusammen aus“, erzählt die Künstlerin. Damit die Verbindung von Licht und Musik auf Konzerten einen bleibenden wirkenden Eindruck hinterlässt.
Die knirschenden Gitarren, die schnellen Fill-Ins
des Schlagzeugers verwandelt sie
in flüssige, fast zarte Bewegungen
Dass Post-Rock-Bands mit ihren eigenen Video-Künstlern arbeiten, „macht Auftritte noch spektakulärer, erweitert sie gewissermaßen“, sagt Giovanni Raabe. Der Schlagzeuger sammelte Erfahrungen in Münchner Bands von Black Metal bis hin zu Hardcore, mit starken Einflüssen aus dem Post-Rock. Er kennt die Sparte gut. „Post-Rock-Songs sind zu Musik gewordene Sphären“, sagt er. Die Songs wollen häufig etwas Abstraktes darstellen. „Live auf der Bühne entfaltet sich die Kraft des Genres besonders“, sagt der 21-Jährige.
Antonia arbeitet allerdings noch an einer Vielzahl anderer Projekte. So trat sie bei Festivals im Münchner Umland als Feuerkünstlerin auf. Sie gab auch schon Workshops, um Neulingen den Tribal Fusion Belly Dance beizubringen. Als 16-Jährige begann sie sich für orientalischen Bauchtanz zu interessieren. „Damals habe ich viel lieber zu moderner, westlicher Musik getanzt“, sagt sie. „Ich habe die Bewegungen an die Musik angepasst. Und plötzlich findet man heraus, das gibt es ja schon.“ Sie klingt ein wenig enttäuscht, dass andere ihr zuvorgekommen waren.
Wie das Ganze letztendlich aussieht? Auf YouTube brachte die neugegründete Münchner Band This Is Not An Elephant vor kurzem ein Musikvideo heraus. Auf dem Video zu sehen: Antonia, düstere Kontaktlinsen und mit herrschaftlichem Kopfschmuck. Wie verwandelt. Die knirschenden Gitarren, die schnellen Fill-Ins des Schlagzeugers verwandelt sie in flüssige, fast zarte Bewegungen. Ihr Körper singt im Takt der Musik in altbekannter Bauchtanz-Manier.
Wenn es nach Antonia ginge, würde solch künstlerisches Schaffen auch in Zukunft eine wichtige Rolle in ihrem Leben einnehmen. Zweifel hat sie keine. Auch wenn sie noch nach einem Weg sucht, mit der Kunst über die Runden zu kommen. „Bequemlichkeit hat schlicht keinen Reiz“, sagt die junge Münchnerin.
Musikvideos zu produzieren reize sie hingegen besonders. In so ein paar Song-Minuten könne man ganze Kurzfilme packen. „Die Regeln des klassischen Filmemachens lassen sich plötzlich ganz anders definieren“, sagt Antonia. „Es kommt darauf an, die verschiedenen Elemente stimmig miteinander zu verbinden.“
Da ist sie wieder, diese Leidenschaft am Ineinanderfügen von scheinbar getrennten Eindrücken und Ausdrucksmöglichkeiten. Und wenn Antonia weiter erzählt, von der Melodie guter Filmschnitte, vom „Fluss der Bilder“, dann mag das für den Außenstehenden etwas schwer nachzuvollziehen sein. Dann kann man aber auch gespannt sein, was sich die junge Münchnerin so als nächstes einfallen lassen wird. Wenn es nicht etwas überaus Erfolgreiches wird, dann zumindest wohl sehr wahrscheinlich wieder etwas Einzigartiges.
Foto: Antonia Zettl