Digitale Poeten

Bei Instagram gibt es nicht nur wunderschöne Menschen mit wunderschönen Körpern zu sehen. Es gibt auch wunderschöne Poesie zu entdecken. Wo? Bei #Instapoetry zum Beispiel. So nennt sich die Gemeinschaft der Lyrik-Fans

Von Anastasia Trenkler

Instagram kann einem verdammt schlechte Laune machen. Die vielen wunderschönen Menschen mit ihren wunderschönen Körpern und ihrem scheinbar perfekten Leben können einen regelrecht erdrücken. Von Authentizität wird oft gesprochen. So richtig was davon zu sehen bekommt der Nutzer meist nicht. Wie in jeder Community gibt es aber auch auf der erfolgreichen Internet-Plattform Instagram Underdogs. #Instapoetry zum Beispiel. So nennt sich die Gemeinschaft der Lyrik-Fans. Sucht man auf Instagram nach dem Hashtag, tauchen über 1,8 Millionen Beiträge auf, die Bilder von Gedichten und kurzen Versen zeigen. Im Fokus steht immer das geschriebene Wort.
„Ich wusste anfangs nicht, dass es Menschen gibt, die die App dafür nutzen, ihre Texte zu teilen“, sagt Carina Eckl. „Ich wollte das ausprobieren und habe mir Instagram geholt.“ Seit März veröffentlicht die 23-Jährige unter dem Pseudonym „kursives Ich“ ihre Gedichte. „Anfangs habe ich nur Texte aus der Perspektive eines Ichs geschrieben, die sich an ein Du richten“, sagt Carina. „Dann ist mir die Idee gekommen, dieses Du auch mal zu Wort kommen zu lassen.“ Also gründete sie einen zweiten Account, das „kursive Du“. Sie lässt die zwei fiktiven Figuren miteinander kommunizieren und nimmt abwechselnd beide Rollen ein. So schafft sie einen erfundenen Nachrichtenwechsel der beiden Figuren.

Carina teilt den Chat-Verlauf in Form von Screenshots mit ihren Lesern. Das mag eigenartig klingen, kommt aber gut an. Obwohl die Münchnerin erst seit wenigen Monaten auf Instagram ist, hat sie bereits über 1600 Abonnenten. Viele Instagram-Nutzer können sich mit den Gesprächen der beiden Figuren identifizieren. „Liebe beschäftigt jeden Menschen“, sagt die junge Autorin. Viele Leser schließen aus der Unterhaltung zwischen den beiden Charakteren auf eine romantische Beziehung, obwohl das nie klar definiert wurde. Einige meinen auch, dass Carina selbst eine der Figuren ist. Das sei aber nicht der Fall. „Die Texte sind von meinem Umfeld, von Literatur, aber auch von meinen eigenen Erfahrungen inspiriert“, sagt die Münchnerin. „Das heißt aber nicht, dass ich als Person eine dieser Figuren bin.“ Seitdem Carina Teil dieser Community ist, weiß sie, dass Instagram mehr sein kann, als die Menge aus Restaurant-Bildern und Bikini-Models. „Da sind so viele liebe Menschen, die sich gegenseitig unterstützen. Meine Erfahrung bisher war, dass es nicht darum geht, wer sich besser darstellt oder wer mehr Likes hat – die Worte stehen im Vordergrund.“

Ähnlich wie sie schreibt der Großteil aller Instagram-Poeten über Gefühle. In der Community aufzufallen und sich von anderen abzuheben, stellt dabei eine Herausforderung dar. Sandro Rieger scheint auf dem besten Weg zu sein, diese zu meistern. Als „tonio.kroeger“ beschäftigt er sich mit antiker Mythologie und Philosophie. „Meine Texte sind wahrscheinlich weniger eingängig, zeichnen sich aber genau dadurch aus und heben sich von den anderen ab“, sagt der 24-Jährige.

Sandro studiert Deutsch, Philosophie, Latein und Germanistik. Diese Fächerwahl prägt seine Texte. Sandro verwendet Fremdworte wie „Ataraxie“ und viel mythologische Bildsprache. Das Reimen hat er aufgegeben. Das finde er zu gekünstelt. „Ich lege Wert auf jedes einzelne Wort und auf die Harmonie der einzelnen Sätze“, erklärt Sandro. Seine Beiträge schreibt er digital auf ein Tablet und verziert sie mit abstrakten Zeichnungen, die er selbst augenzwinkernd als Gekritzel bezeichnet. „Das ist von einem Berliner Tattoo-Artist inspiriert“, erklärt der Münchner. Er habe Respekt vor der Arbeit anderer Instagram-Autoren. Dennoch verstehe er nicht, warum alle immer über Liebe schreiben. „Ich finde es wichtig, dass auch andere Themen, in meinem Fall Gedanken aus der Philosophie, angesprochen werden“, sagt er. Zwei Jahre lang hat Sandro an einer Novelle gearbeitet, die er bald veröffentlichen will. „Eigentlich sehe ich mich als Prosa-Autor“, sagt er. „Poesie ist aber eine tolle und notwendige Abwechslung und eignet sich einfach gut für Instagram.“ In der Community ist der Münchner ein Neuling.

Wie in allen Sparten gibt es auch unter den Poeten kleine Berühmtheiten. Zu denen zählt Sophia Fritz, die seit 2016 Teil der Gemeinschaft ist. Die junge Frau lächelt, wenn sie einen Raum betritt. Sie spricht oft schnell, wird auch mal ironisch. Ihre Follower auf Instagram kennen diese aufgeweckte Seite nicht. Auf der Social Media Plattform ist sie Josephine Frey, schreibt melancholische Texte und wirkt oft sehr traurig. Mehr als 4700 Follower lesen, kommentieren und liken ihre Texte, die oft von emotionalem Schmerz handeln. „Ich habe mal von einer Abonnentin den Ratschlag bekommen, mich von meinem Freund zu trennen, während ich gar keinen hatte“, sagt die 21-Jährige. Manche Leser unterscheiden nicht zwischen meiner Kunstfigur und mir.“

Nachdem sie begonnen hat, als „josephineschreibt“ ihre Texte auf Instagram zu veröffentlichen, wurde sie von einem anderen Autor entdeckt, der sie seinem Verlag empfahl. „Ich saß gerade in Bolivien, als ich die Zusage für mein erstes Buch erhielt“, erzählt sie. „Dort habe ich dann angefangen, daran zu arbeiten.“ Im März erschien ihr Roman „Im Enddeffekt“. Nun schreibt sie bereits an ihrem zweiten Buch. Sophia ist dankbar für ihre Community. Ihr ist dennoch bewusst, dass allein auf Instagram kein Verlass ist. „Wenn es die Plattform morgen nicht mehr gäbe, dann hätte ich wohl mehr Zeit am Tag – vielleicht würde ich dann mehr andere Bücher lesen“, sagt sie scherzhaft.

Fotos: Fabian Gruber, Privat (2)