Ksenia Gorbunova. Foto: privat

Ksenia und die wilden Tiere

Warum Glasperlen für eine 27-Jährige Heimat bedeuten

Der Giraffenkopf steht auf einer weißen Untertasse, genau dort, wo man normalerweise eine Suppenschüssel vermuten würde. Ksenia Gorbunova, 27, nimmt den etwa faustgroßen Kopf hoch, zeigt ihn von all seinen Seiten und zieht dann einen haardünnen Faden aus dem Giraffenhals hervor. Dort, sagt sie, wird sie bald weiterarbeiten. Wird Perle um Perle aufreihen, bis das Tier komplett ist. Wie die anderen Tiere aus millimetergroßen Glasperlen, die sich auf Ksenias Schreibtisch tummeln.

Das Fädeln, so nennt sie das Handwerk, ist ihr Hobby. Es ist aber auch mehr als das. Für Ksenia ist es genauso ein Weg, dem inneren Kind mehr Freiraum zu geben und sich mit ihrer alten Heimat Russland zu vernetzen. In Russland, sagt Ksenia, sei das Fädeln viel verbreiteter, sie hat ihre ersten Lebensjahre in Novosibirsk verbracht.

Das Basteln der Tiere ist eine kleine Wissenschaft für sich, die grobe Erklärung: Anhand Bilder echter Tiere versucht Ksenia deren Körper in Flächen zu unterteilen, Dreiecke und Fünfecke zum Beispiel. Diese fädelt sie dann auf und fügt sie am Ende zu einem Körper zusammen. „Manchmal“, sagt Ksenia, „denke ich schon beim ersten Sehen eines Tieres daran, wie ich es fädeln könnte.“

An einem Samstagnachmittag sitzt Ksenia bei Schwarztee und Plätzchen, die sie in den nächsten anderthalb Stunden nicht anrühren wird, in ihrer Wohnung in Neuhausen. Sie trägt die rotbraunen Haare kurz, einen dunklen Pulli, Leggings und einen schwarzen Rock, bestickt mit ein paar kleinen Perlen. Reiner Zufall.

Wenn Ksenia über das Fädeln spricht, dann scheint da eine gewisse Begeisterung in ihrer Stimme zu liegen. Die Worte fallen schneller, die Töne sind höher. Wenn sie über Details redet – die Kulleraugen, die mechanischen Gelenke, die biegsamen Mäuseschwänze, die fein gemusterten Gesichter – dann zeigt Ksenia auf die Tiere, gibt sie einem in die Hand. Sie sind erstaunlich leicht, mit Watte gefüllt.

Auf Instagram erreicht sie unter @ksenia_beads mehr als 1000 Menschen. Seit Neuestem lädt sie zudem Tutorial-Videos auf YouTube hoch, in denen sie zeigt, wie es denn am besten geht, das Fädeln. Für die Videos hat sie sich sogar einen kleinen Drehort eingerichtet: Im großen Bücherregal ist ein Regalbrett freigeräumt, dort steht ein Aufbau aus Smartphone-Halterung, Lampe und einem Teller für die Perlen. Ein weißer Pulli dient als Unterlage, „weil die Textur so schön ist“, sagt Ksenia.

Die Videos nimmt sie dreisprachig auf, Deutsch, Englisch und Russisch. Klar, so erreicht sie mehr Menschen. Aber das ist nicht alles. Was ihr mit am meisten Spaß macht, so sagt sie, ist der Kontakt mit der Community. „Es ist toll, von jemandem zu hören, dass er mithilfe meiner Tutorials eine Figur gebastelt hat, die er vorher nie hinbekommen hat.“ Und sie kommt mit Leuten aus anderen Teilen der Welt in Kontakt, auch aus ihrer alten Heimat. Sie sei eher schüchtern, sagt sie, ihr Russisch durch die lange Abwesenheit auch nicht immer perfekt. Der Austausch zu den Perlen gab ihr Mut: „Ich habe mich getraut, mal wieder auf Russisch mit den Leuten zu schreiben“, sagt sie.

Russland, dort hat Ksenia auch die ersten Perlen geschenkt bekommen, von Väterchen Frost, quasi dem dortigen Weihnachtsmann. In den Jahren darauf probierte sie sich ein wenig aus, bastelte mit den verschiedensten Materialien, auch mal mit Anglergarn und groben Glaskugeln. Heute nutzt sie Perlen aus Japan, „mit die Besten, die es gibt“.

Rechts von ihrem Schreibtisch liegt in einer samtenen roten Tüte eine große Figur: ein kleiner Perlenmensch. „Manche sagen, er sieht aus wie ein Affe“, sagt sie, als sie ihn herausholt und die Gliedmaßen bewegt. Neben dem Beutel mit Figur steht ein Bild von früher: Ksenia steht in Novosibirsk, verkleidet in einem Theater. Marionetten für ein eigenes Puppentheater herzustellen, das würde sie reizen, sei aber herausfordernd.

Von Max Fluder