Einst haben Selim Saglam, 17, und Müc Gürbüz, 19, mit Youtube-Videos die neuesten Tanzschritte gelernt. Nun sind sie es, deren Filme junge Menschen im Kinderzimmer nachtanzen
München – Auf dem großen Tattoo auf dem Unterarm sind Schriftzeichen zu entdecken. Sie tragen ein weites T-Shirt und eine dunkle, enge Jeans. Coole, klobige Sneaker. Die Haare sind zu einem Pagenkopf geschnitten. Grau gefärbt. Darunter blitzt ein langer Ohrring hervor. Das ganze Outfit ist im K-Style. K steht für koreanisch. Das ist für Selim Saglam, 17, und Müc Gürbüz, 19, wichtig. Doch ihre Leidenschaft für Korea geht weit über ihr bloßes Aussehen hinaus.
Der sogenannte K-Pop bestimmt das Leben von Selim und Müc. „Es gibt sogar K-Pop-Fans, die legen sich unters Messer, um dem Aussehen ihrer Idole noch näher zu kommen“, sagt Müc. Doch so weit würden die zwei jungen Männer nie gehen. Die Idole, von denen Müc spricht, sind Popstars aus Korea. Diese Girl- und Boygroups erobern mit ihrer Musik die ganze Welt. Füllen mit ihren Konzerten große Stadien. Seit einiger Zeit ist dieser Hype auch in München angekommen. Und mit diesem Hype sind auch Selim und Müc bekannt geworden. Doch der Reihe nach.
Auch Selim und Müc sind dieser Musik verfallen. K-Pop, das kann Popmusik oder auch Hip-Hop sein. Das Besondere daran sind die Texte. Sie sind zum Teil auf Koreanisch, zum Teil auf Englisch geschrieben. Um die Musik besser zu verstehen, haben sich Selim und Müc das koreanische Alphabet selbst beigebracht. Nur so können sie die Songs beim Tanzen auch mitsingen.
Das Tanzen. Das ist ihre große Leidenschaft. Gemeinsam geben Selim und Müc Kurse, treten bei K-Pop-Partys auf oder nehmen mit ihrer Tanzgruppe an Wettbewerben teil. Dass es einmal soweit kommen würde, hätte Selim noch vor drei Jahren selbst nicht geglaubt. „Ehrlich gesagt, hat mir K-Pop am Anfang so gar nicht getaugt. Ein Freund hat mir ein Musikvideo von einer koreanischen Gruppe gezeigt. Und ich dachte nur: Was soll denn das bitte sein?“
Doch aus dieser anfänglichen Skepsis wurde eine Leidenschaft. Schnelle Bewegungen, ausgefallene Tanzmoves, der ganze Körper in Spannung. Im Tanzstudio sind Selim und Müc selbst die Stars. Selbstbewusst geben sie ihr Können weiter. Ihre Tanzkurse sind fast immer ausgebucht. Vor allem viele Jugendliche wollen von ihnen lernen. Genauso gut werden wie die beiden Lehrer.
Doch bis Selim und Müc so weit waren, hat es viel Übung gebraucht. Die ersten Versuche starteten sie im eigenen Kinderzimmer, sagt Selim. „Man fängt klein an, schaut sich Videos zu Hause an und tanzt sie nach. Irgendwann fängst du dann an, koreanisch zu lernen, koreanisch zu essen. Dann ziehst du dich in diesem Stil an, färbst dir die Haare und wirst selber immer mehr zu K-Pop.“
Selim und Müc gehen noch zur Schule. Nach dem Unterricht wird getanzt. Sie sind ehrgeizig. Und so konnten sie sich in der Münchner K-Pop-Szene einen Namen machen. Die Musik hat für Selim und Müc viel verändert. „Früher war ich ein schüchterner Junge. Erst durch K-Pop und das Tanzen bin ich immer selbstbewusster geworden. So richtig aufgeblüht. Heute könnte ich mir das gar nicht mehr anders vorstellen“, sagt Selim. Was das Selbstbewusstsein der beiden besonders steigert, ist auch ihr Erfolg bei deutschlandweiten Wettbewerben. Dort nehmen sie mit ihrer Tanzgruppe DS8 aus München teil und konnten schon einige Preise gewinnen. Große Bühnen, harte Konkurrenz und mittlerweile Fans, die ihnen hinterher reisen.
Für die jungen Männer eine Herausforderung. Viel Druck. Aber auch eine große Chance. „Wenn wir auf der Bühne stehen, vor Hunderten von Leuten, dann sind wir schon richtig am Zittern. Aber wenn es dann los geht, dann kann man alles rauslassen. Das fühlt sich richtig gut an. Da spürt man: Das ist etwas Besonderes. Wir sind etwas Besonderes“, sagt Müc.
Das sehen auch viele ihrer Fans so. Und ihre Tanzschülerinnen. Die meisten von ihnen bleiben nach dem Kurs noch länger. Warten, bis auch Selim und Müc zusammengepackt haben. Sie wollen die Zeit nutzen, noch etwas mit ihnen reden. Mehr als nur Tipps zum Tanzen erhalten. Das schmeichelt den jungen Männern sichtlich. Kann aber auch anstrengend sein. Vor allem das Klischee der unzähligen kreischenden Mädchen, das die K-Pop Szene umgibt, stört Selim und Müc. Auch wenn sie sich selbst eingestehen, dass es wohl zumindest teilweise zutrifft.
„K-Pop ist nicht nur cringe“, sagt Selim. „Wir nehmen K-Pop ernst und wollen das so professionell wie möglich machen.“ Dafür trainieren sie hart. Allein. Zu zweit. In der Gruppe. Jede freie Minute verbringen sie im Tanzstudio. Studieren komplizierte Choreografien ein. Nehmen Tanzvideos auf. Später stellen sie ihre Videos ins Internet. Noch vor ein paar Jahren haben sie selbst aus solchen Tanzvideos gelernt, sich zu K-Pop zu bewegen. Heute geben sie ihre Begeisterung für die koreanische Musik weiter. Nun sind sie es, deren Videos junge Menschen zu Hause in ihren Zimmern nachtanzen.
Laura Wiedemann