Ein bisschen Porno, ein bisschen Blubberbläschen: Lenny Will, 26, und Lucien Lietz, 27, untermalen Konzerte mit psychedelischen Lichtshows – Münchner Bands stehen dafür Schlange
Von Marietta Jestl
Auf der Bar steht eine Baumwollpflanze, im Eingang vom Import Export hängen einige alte Lampenschirme schief von der Decke. Es ist einer der letzten Orte Münchens, der durch die zusammengewürfelte Vintage-Deko sympathisch und keinesfalls aufgesetzt wirkt. An diesem Abend läuft Funk und Psychedelic-Rock der Siebzigerjahre. Der Raum erstrahlt in einem ganz besonderen Licht. Über Wände und Körper tanzender Menschen wabern bunte Farbkleckse, die an Lava-Lampen erinnern – in Flüssigkeit schwebende und langsam konfluierende Farbblasen, die eine Lichtquelle bilden. Nur eben überdimensional. Als Projektion auf die Wände eines Clubs.
Auf einem Turm aus Bierkästen stehen zwei Dia- und zwei Film-Projektoren, die leise surrend alte 8-Millimeter-Filme abrollen. Sie bespielen die Teile des Raumes, die noch nicht von Farbflecken bedeckt sind. Zwischen dem typisch unscharfen Rauschen und Flimmern alter Filmstreifen ist vor allem eins zu erkennen: nackte Körperteile. Es laufen zwei alte Erotikfilme, Pornografie aus dem Jahr 1978.
Es ist das zweijährige Jubiläum der Psychedelic-Porn-Funk-Party, die seit 2018 nur noch mit analogen Live-Visuals der sogenannten Kreuzer Lichtmaschine stattfindet. Die beiden Schulfreunde Lenny Will, 26, und Lucien Lietz, 27, riefen das Projekt inspiriert von den psychedelischen Lichtshows der Sechziger- und Siebzigerjahre ins Leben. Insbesondere in Amerika etabliert, wurden hier in großem Stil Konzerte von Bands wie The Doors oder Pink Floyd mit Live-Visuals gestaltet.
Nur mit zwei alten Diaprojektoren visualisierten Lenny und Lucien 2015 erstmals das Konzert einer befreundeten Band. Ihr Konzept fand großen Anklang – sie beschlossen, es weiter auszubauen. „Wir versuchen ein 50 Jahre altes Kunsthandwerk so authentisch wie möglich umzusetzen“, sagt Lucien. „Dabei ist uns wichtig, dass wir komplett analog arbeiten, sprich: Wir verwenden keine digital gesteuerten Medien.“ Keine Laptops, keine Laser. Stattdessen altmodische Geräte, mit ganz eigenen Macken. Lampen, die leicht durchbrennen. Oder mitten im Konzert ein Filmriss, der schnell mit einem Klebestreifen geflickt wird. Für Lucien und Lenny bedeutet das vor allem Flexibilität. Und das schätzen sie.
„Digital vorprogrammierte Visuals sind doch kaum noch variabel“, sagt Lenny. „Wir können live improvisieren und individuell auf die Musik eingehen, farblich oder rhythmisch.“ Da beide auch selbst Musik machen, fällt es ihnen relativ leicht, sich schnell in Musik und Takt hineinzufinden. Embryo, Minami Deutsch oder Odd Couple – das sind nur ein paar Bands, für deren Konzerte die Lichtshow bereits extra gebucht wurde. Mittlerweile sind sie in Locations wie Import Export oder Milla regelmäßig gebucht.
Ein Blick hinter die Lichtmaschine: Neben den Filmprojektoren thront auf einem weiteren Bierkastenstapel die Installation, die die fließenden Farbkleckse an den Wänden produziert. Zwei Overhead-Projektoren, wie man sie aus Schulen kennt. Lucien gießt vorsichtig eine farbige Flüssigkeit in die flache Plastikschale, die er über der Lampe platziert hat, und schwenkt sie langsam. Wie Lenny trägt er einen abgenutzten schwarzen Pulli und schwarze Jeans. „Weil man sich mit den Liquids einfach immer einsaut“, sagt Lenny und lacht. „Aber das macht ja auch Spaß. Wir spielen hier eben in der Matschepampe, so wie Kinder im Sandkasten.“
Die durchsichtigen, verschiedenfarbigen Flüssigkeiten in der Schale sind von unterschiedlicher Viskosität – bedeutet, sie vermischen sich nicht, etwa wie Öl und Wasser: Es entstehen bunte, sich gegenseitig abstoßende Blasen, die durch das Licht des Projektors auf die Menschenmenge geworfen werden und mit Luciens Bewegungen im Takt zur Musik wabern. Was genau die Farbgemische enthalten? Damit will er nicht so richtig herausrücken. „Was wir machen, ist nicht so schwer, ein Handwerk eben. Die Kunst dabei ist, selbst herauszufinden, was am besten aussieht“, sagt er. Verschiedene Mineralien, verschiedene Formen.
Es ist Mitternacht, mittlerweile spielen Babolar, eine Funk-Band aus München. Nun läuft die Kreuzer Lichtmaschine erst zur Höchstform auf. Lenny trägt jetzt eine Brille und runzelt die Stirn unter seiner oberhalb der Ohren aufgerollten Wollmütze. Er muss auf eine Leiter steigen, um seine Film- und Diaprojektoren zu bedienen. Auch Lucien setzt seine Mütze den ganzen Abend nicht ab – konzentriert starrt er in Richtung Bühne. Nun wollen sie nicht gestört werden. Die gesamte Apparatur ist jetzt auf die Bühne ausgerichtet: Flüchtige Szenen der Pornos, überlagert von Dias und farbigen Lichtklecksen ergeben ein wahrhaft psychedelisches Bild. Mit Händen und speziellen Blenden dunkeln Lucien und Lenny im Rhythmus der Musik wechselnd die Lampen ihrer Geräte ab und variieren so das Bühnenbild. Die komplette Band scheint mit den Visuals zu verschmelzen. Als würde die Musik selbst die Bilder formen.
„Was wir machen, erweitert das akustische Erlebnis um eine einzigartige visuelle Facette“, sagt Lenny. „Wenn du in einen Club gehst, dann siehst du meistens zuerst, bevor du hörst. Es ist das, was in Erinnerung bleibt.“ Und er hat recht: Das Publikum wirkt gebannt und mitgerissen zugleich. Die Leute spähen interessierten Blickes auf die Maschinerie.
Ben ist schon älter und zum ersten Mal hier. Er findet die wabernden Lichter meditativ. Sie würden perfekt zum Psychedelic-Rock-Image der Party passen, das er noch „von früher“ kennt. Vivi und Sofia sind zwei Abiturientinnen und haben die Party aufgrund der Visuals ausgewählt, um einen Kurzfilm für Vivis Bewerbung an der Hochschule für Film und Fernsehen zu drehen. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt sie. „Es macht einfach was Besonderes mit dem Raum.“
Die Stimmung knistert. Was nicht zuletzt an den Erotikfilmen im Hintergrund liegen könnte. Aber ist das mit den Pornos nicht etwas kontrovers? Lenny und Lucien sehen das entspannt. Ihrer Meinung nach führt die Verwendung der Pornografie als Kunstform zur Abstraktion des Inhalts. „Für andere Konzerte haben wir aber auch jugendfreies Filmmaterial dabei“, sagt Lenny.
Veranstalter Veit Oberrauch, in extravaganter Weste mit Goldstickerei, stimmt zu. „Pornografie war zu der Zeit, aus der die Filme und die Musik stammen, gesellschaftsfähiger. Funk wurde teilweise extra für Erotikfilme komponiert, die dann in den Kinos liefen.“ Und die Bilder wirken hier in der Tat nicht unpassend. Es wird eine ästhetische, sinnliche Form der Pornografie präsentiert. Veit ist insgesamt begeistert von der Kreuzer Lichtmaschine. „Die Jungs sind von der Party nicht mehr wegzudenken“, sagt er. „Sie machen ein Stück Individualität der Events aus.“
Am liebsten visualisieren sie aber Konzerte. Es sei jedes Mal ein neues Abenteuer. Und Münchner Bands stehen Schlange: Auch Blue Haze fragten speziell nach den Visuals für ihre Show. Karl Hector & The Malcouns wollen ein ganzes Musikvideo damit gestalten. „Leider haben wir nur vier Hände. Aber wenn möglich, haben wir schon Bock, das noch größer werden zu lassen“, sagt Lenny. Lucien merkt an: „Aber bloß kein Goa oder Techno. Goa ist der Teufel.“
Foto: Jan A. Staiger