Heimat in der Hosentasche

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Die neuesten Kampagnen für Smartphones sprechen Klartext: Als diese Allzweck-Wunderdinger noch neu waren, versuchte die Werbung wenigstens noch von ihrer Nützlichkeit zu überzeugen. Jetzt werden selbst von den Displays auf Plakaten nur mehr Statusmeldungen verschickt, die in ihrer Belanglosigkeit nicht zu überbieten sind.

Wer möchte ernsthaft unverzüglich informiert werden, sobald Facebook-Freund Horst ein Sandwich gegessen hat? Jetzt mal ehrlich, wollt ihr das wirklich?

Im Bahnhofskiosk blättere ich die Illustrierte durch und bleibe an einem Artikel über einen Selbstversuch hängen: Ein junges Pärchen will sieben Tage ohne Internet- und Mobilnetzanschluss verbringen – und das auch noch miteinander. Leben wie anno dazumal ist das, leben wie in den frühen Neunzigern. Was für eine menschenunwürdige Versuchsanordnung! Na ja, zwei Freundinnen von mir wohnen seit einem Vierteljahr ohne Küche: ohne Herd, Kühlschrank und Spüle. Verhältnisse wie um 40000 vor Christus sind das, aber bis jetzt hat noch keiner darüber berichtet. Aber was ist schon der Verzicht auf ein paar kleinbürgerliche Geräte im Haushalt? Nichts im Gegensatz zum Verzicht auf die Heimat in der Hosentasche.

Ich könnte hier viel schimpfen über Kerle in Polo-Shirts, die mich über den Haufen rempeln, weil sie im Gehen zwei Geräte gleichzeitig bedienen. Oder all die Mädels, die ihre neuesten Beziehungsprobleme in ihr Telefon schreien. Nur bin ich leider genauso wenig immun gegen meinen Mitteilungsdrang. Ohne mein Handy komme ich mir einsam vor. Heimatlos. Verstoßen. Es könnte sein, dass mir etwas Bedeutsames zustößt – ein Eichhörnchen im Park zum Beispiel – und ich dann keinen meiner Freunde darüber informieren kann. Wie ist das, wenn man etwas erlebt und dann innerhalb der nächsten halben Stunde niemandem davon berichtet: Ist es dann wirklich passiert? Ich glaube nicht.

Langsam verstehe ich, warum es für Horst so wichtig ist, den Verzehr seines Sandwiches publik zu machen. Denn wer sagt, dass ein Sandwich, von dem niemand weiß, auch verdaut wird? Dann schützt auch die beste Kücheneinrichtung nicht mehr vor dem Hungertod. Nein, davor schützt nur mehr die moderne Telekommunikation. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.