Patrik Grießmeier, 24, ist Schauspielstudent und zeigt sich im Internet als Dragqueen. Für ihn ist das ein Appell an die Toleranz aller Menschen. Das verstehen noch nicht alle.
Wenn Patrik Grießmeier, 24, auftritt, verwandelt er sich. Wenn er Bilder auf seiner Instagramseite hochlädt. „Thepatrikant“ nennt er sich dort. Sein Gesicht wird ausdrucksstärker, sein Erscheinen mutiger, seine Agenda politischer. Was vielleicht von vornherein apolitisch wirkt, ist in Wirklichkeit ein Appell an die Toleranz aller Menschen.
Was man auf seinen Bildern sieht: zartes Lächeln, freie Schultern, schmeichelnder Blick.
Drag ist eine Kunstform, aber dies wird oft unter den Tisch gekehrt. Drag als Kunstform bekommt durch Patrik auf Instagram eine Plattform. Fotos und Lipsynching-Videos treffen auf Dokumentation seines alltäglichen Lebens. Damit wird die Verwandlung noch fassbarer, noch erfahrbarer. Seine Kunstform lässt ihn in der femininen Ästhetik nicht nur für sich, sondern auch für andere sprechen.
Patrik wollte sich schon als Jugendlicher immer anders bewegen, anders kleiden. Und als er den Schritt wagte, mit sechs das Make-up seiner Mutter auszuprobieren und sich zu schminken, fühlte er sich zum ersten Mal schön. Inspirationen waren damals schon Catwoman, Cher und Dolly Parton; dann im Laufe der Zeit Lady Gaga. Schon mit zehn tanzte Patrik zu empowernder Musik von Beyoncé. Einmal, an Halloween, wagte er sich als Dragqueen in die Öffentlichkeit – und wurde nur so von positivem Feedback übergossen. „Es ist wahnsinnig stark und mutig, so aufzutreten, es ist wichtig, so aufzutreten, es ist wahnsinnig politisch, und das ist mir alles erst viel später klar geworden“, sagt Patrik über diesen Moment.
Bei Tag ist Patrik Schauspieler in Ausbildung. Sein Schauspiel und seine Drag-Kunst gehen Hand in Hand, sagt er. Die Dozierenden besetzen nun teilweise Rollen mit Patrik in Drag. Das war nicht immer so: Anfangs dachten sie, Patriks Drag hätte etwas mit seiner Sexualität zu tun, haben es teilweise als Pornografisches, durch sexuellen Anreiz Angeleitetes gesehen.
Schon hier fing also die Aufklärungsarbeit an. Ihnen war Drag als Kunstform neu, sie konnten nicht wirklich einordnen, was sie auf Patriks Instagram-Account sahen. Deshalb behandelten sie Patrik anders. Entgegen der Vorstellungen der Dozierenden wird jedoch im Dialog mit Patrik klar: Drag hat nichts mit dem eigenen Gender oder der eigenen Sexualität zu tun. Deshalb möchte Patrik auch nicht als Frau angesprochen werden, wenn er eine Dragqueen ist – denn er identifiziert sich nicht als Frau, auch nicht, wenn er in Drag schlüpft.
Auch aus der LGBTQI*-Community wird nicht genauer differenziert. Beim Dating erfährt Patrik oft, dass schwule Männer Patriks Kunst zwar amüsant finden, ihn aber nicht daten würden, da sie „nicht auf Frauen stehen“. Drag wird also auch hier als Frau-Sein wahrgenommen und nicht als etwas, das unabhängig vom Gender ausgeübt wird.
Patriks Agenda ist dementsprechend klarzustellen, dass Drag eine Kunstform ist, eine wichtige sogar, die fern von Gender und Sexualität einfach ein Gefühl des Wohlbefindens herstellt.
Als Schauspieler ist Patrik auch Geschichtenerzähler. Doch er erzählt nicht nur seine eigene Geschichte, sondern auch Geschichten anderer: „Viele Frauen und Männer, die übergewichtig sind, haben so oft in der Gesellschaft Probleme, werden belächelt. In Drag gibt es einfach dieses Schönheitsideal nicht, wie du aussehen musst“, sagt er. „Ich finde es so schön, wenn ich dann Big Girls, so nennt man die ja, auf der Bühne sehe, weil sie sich so sexy, so schön fühlen und ihre Rundungen so einsetzen, wie ich sie noch nie auf der Straße sehen würde. Aber in Drag sind sie die schönsten Frauen, schönsten Männer.“
Eine Metamorphose durch Drag erlebt Patrik nicht nur innerlich, sondern es wird vor allem äußerlich sehr klar. Patrik hat ein schmales, aber markantes, etwas bleiches Gesicht, dunkle Augen und kurze, braune Haare. Schwarzer Rollkragenpulli. Zierlich gebaut. Wenn man ihm auf der Straße begegnet, wirkt er wie der Junge von nebenan. Doch in Drag ist er wie ein frisch aus dem Kokon geschlüpfter Schmetterling – plötzlich voller greller, bunter Farben, mit weiten Flügeln, die viel Platz einnehmen und zeigen: „Ich bin hier. Und das habe ich zu sagen.“ Auch in seiner Stimme drückt sich diese Bestimmtheit aus. Er spricht, als würde er kein Blatt vor den Mund nehmen.
Die Liebe zu Drag und dem, was Drag mit Menschen machen kann, will Patrik in seiner Arbeit teilen. Doch viel wichtiger ist, dass er weiterhin zum Nachdenken anregen möchte. Mit einem Freund möchte Patrik Aufklärungskurse zu kritischer Männlichkeit halten. Zum Beispiel Wonderwoman.
Oft wird Wonderwoman als eine feministische Figur bezeichnet, da sie eine starke Protagonistin ist. Doch wenn man näher hinschaue, erklärt er, erkenne man, dass sie aus einer Männerfantasie entstanden ist und aus einer männlichen Perspektive dargestellt wird. Und so gesehen sei Wonderwoman alles andere als feministisch.
Patrik will sich für Menschen einsetzen, die Ähnliches durchgemacht haben wie er
Unbequem zu sein, sei ihm total wichtig, sagt Patrik. Ins Gespräch kommen, Leute auf ihre Diskriminierungen aufmerksam machen, über das eigene Verhalten nachdenken – das sind alles schwierige Sachen. Wichtig ist Patrik, sich für Menschen einzusetzen, die Ähnliches durchgemacht haben wie er, und den Status quo zu hinterfragen: „Auf Instagram möchte ich darauf aufmerksam machen, was ein Mann darf, was ein Mann nicht darf, dass es total dämlich ist, zu sagen: Ein Mann muss ein Verdiener sein, ein Schaffer sein.“ Patrik will traditionelle Geschlechterbilder aufbrechen und Menschen darauf aufmerksam machen, dass das Gender nicht die Biografie einer Person determiniert.
Patrik wurde anders behandelt, weil er nicht dem stereotypischen Männlichkeitsbild entspricht
Auch Patrik wurde aufgrund seiner Dragkunst als anders eingestuft – ein typischer Mechanismus des otherings – und auch anders behandelt. Anders, weil er nicht dem stereotypischen Männlichkeitsbild entspricht. Und nur weil er dem nicht entspricht, bedeutet es nicht, dass er nicht genauso wie alle anderen Männer behandelt werden möchte. Und dieses Anliegen, dass eine Andersbehandlung ungerecht ist, möchte er nach außen tragen.
Patrik sagt, er habe kein Muster, wenn er sich Lipsynching-Material heraussucht. „Aber ich glaube, es ist für mich unterbewusst sehr spannend, wenn ein Mann Frauenkleidungen anzieht und sich als sexistische Figur zeigt.“
In einem seiner jüngsten Lypsynching-Videos karikiert er Barbara Schöneberger. Ihr prominentes „Männer bitte schminkt euch nicht!“-Video stellt Patrik somit auf den Kopf. Mit langen, gelockten Haaren, auffallenden Augen und einem schwarzen Kleid, das seine Schultern schmeichelt, hinterfragt er Gender-Ideologien. Selbstbewusst und mit dezidiert auffälligen, schmetternden Gesten untermalt er Schönebergers kontroverse Aussage und zieht sie damit ins Lächerliche. Im Hintergrund sieht man einen Wäscheständer, darüber politische Sticker und ein Plakat der Serie „POSE“ – eine Serie mit einem fast kompletten Transgender-Cast, die sich mit der New Yorker Ballroom-Szene der Achtzigerjahre beschäftigt, in der Minderheiten, wie transgender, nicht-weiße, und/oder homosexuelle, von den eigenen Familien verstoßene Personen, einen Safe Space kreierten.
Mit diesem Lipsynching-Video zeigt Patrik, dass politisches Engagement durch subversives Aufgreifen funktioniert und schon im eigenen Schlafzimmer beginnt. Patrik behauptet von sich selbst, dass er noch ganz am Anfang stünde. Vielleicht bricht Patrik noch dieses Jahr aus dem Cocoon seines Schlafzimmers aus und wagt sich auf eine Live-Bühne.
Von Francesca Rieker