Gefährlich gute Sprache

Als Slata Roschal ein Prosastück übers Wohnen schreibt, bekommt sie Ärger mit ihrer Vermieterin. Okay, es geht um Mordfantasien. Die Autorin sieht es positiv: „Das Schöne ist, dass manche die Literatur mit vollem Ernst betrachten“.

Von Max Fluder

Über München hat Slata Roschal, 27, noch kein Gedicht geschrieben. Allerdings hat sie einer ganz bestimmten Eigenschaft der Stadt einen Prosatext gewidmet: dem angespannten Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern. Über zweieinhalb Seiten beschreibt der Text, wie ein erzählendes Ich unter seiner extrem wachsamen Vermieterin leidet und am Ende Mordfantasien hegt. Eine pinke Fleece-Jacke, ein wiederkehrendes Merkmal der Vermieterin, sticht hervor.

Alles harmlos, ist ja nur Fiktion, sollte man meinen. Wenn da nur nicht die Tatsache wäre, dass Slatas ehemalige Vermieterin tatsächlich eine pinke Fleece-Jacke besaß. Irgendwie hat das Vermieter-Ehepaar von dem Text erfahren, wie genau, weiß Slata auch heute noch nicht. Sie vermutet, dass die Vermieterin eine frühe Version irgendwo im Papiermüll gefunden hat. Oder dass sie der Autorin beim Vortragen des Textes auf der Terrasse zuhörte. Wenn sich die 27-Jährige heute daran zurückerinnert, was dann passierte, überkommt sie ein Schmunzeln: Besagte Jacke hing von da an immer über dem Zaun, als Zeichen dafür, dass man über Slatas Fantasien Bescheid wisse. Der Mann der Vermieterin konfrontierte sie schließlich damit, dass sie von der Geschichte wüssten. Und als Slata dann auszog, hat die Vermieterin, wie die Autorin sich erinnert, gesagt: „Versuchen Sie, Ihren neuen Vermieter nicht umzubringen.“

Beim letzten Satz muss selbst Slata laut lachen. Sie sitzt in einem Café am Isartor. Lange möchte sie sich mit der früheren Vermieterin nicht aufhalten, sie wechselt schnell auf eine ernstere, literaturtheoretische Ebene: „Das Schöne ist doch, dass es immer noch Menschen gibt, die Literatur mit vollem Ernst betrachten“, sagt sie.

Und für sie? Was sind Gedichte für die Autorin selbst? „Lyrik ist eine konzentrierte An-sich-Sprache,“ sagt sie und erläutert ihre knappe Antwort in nachgeschobenen Halbsätzen, wie auf der Hut, nichts Falsches zu sagen. Lyrik sei kurz und verdichtet, längere Texte funktionierten für sie nicht. Und An-Sich-Sprache bedeutet für Slata den Eigenzweck von Wörtern, Sprache um der Sprache Willen also. Selbst in Verbotsschildern entdeckt sie noch Potenzial: „Eigentlich sind es Gedichte, die dort stehen.“

Ein Abend im Mai. Slata ist zu Gast im HochX-Theater. Ein Räuspern, dann fängt sie an vorzulesen: „Der Schaffner hier hat weiße Haare ist verwirrt“, beginnt ihr Gedicht, 18 Verse folgen. Beim Vortragen wirkt sie sicherer als im Gespräch, das Buch fest, aber nicht krampfhaft in der Hand, zwischendurch löst sich ihr Blick vom Text, sie schaut die Zuhörer an. Slata spricht rhythmisch, einförmig wirkt es nicht. Die Betonungen sind klug gesetzt, heben die Unterschiede der Worte hervor.

Das Gedicht, das Slata liest, hat keine wirklichen Namen. Im Inhaltsverzeichnis ihres Gedicht- und Prosabandes ist nur der erste Vers angegeben. Knapp 50 Seiten umfasst „Wir verzichten auf das gelobte Land“, so der Titel des Werks, diesen Monat ist es beim Verlag Reinecke&Voß erschienen. Gut zweieinhalb Jahre hat Slata an dem Band gearbeitet – eine Zeitspanne, in der für sie vieles passiert ist. Die großen und kleinen Ereignisse im Leben hat sie in ihre Prosa und Lyrik eingearbeitet – vom Umzug – ein Gehen, ein Kommen und Bleibenwollen – bis hin zu relativ Profanem wie Museumsbesuche.
Über ihre eigenen Texte zu urteilen, missfällt ihr. Das sei die Aufgabe der Rezensenten und des Publikums. Sie rollt ihren Stift hin und her, spielt mit einer Kerbe im Holztisch, überlegt, was sie sagen soll. Das gelobte Land im Titel ihres Buches – für Slata wäre es ein Land, „in dem Milch und Honig fließen, das Sicherheit verspricht, an dem man immer bleiben kann“. Solch einen Ort habe sie noch nicht gefunden, sie sucht ihn allerdings. Genauso wie sie glaubt, dass ihn alle suchen. „Worum es geht? Das, was mich interessiert: Alltägliche Ängste, Aggressionen, Einsamkeit, sich an einem Ort verloren fühlen“, sagt sie.

Auch das Kindliche wird in Slatas Texten thematisiert. Sie selbst ist in St. Petersburg geboren, kam kurz nach ihrem fünften Geburtstag nach Deutschland. Wenn sie von ihren Erinnerungen an die frühe Kindheit in Russland erzählt, stützt sie ihren Kopf auf die linke Hand und wischt sich mit der rechten das rotgetönte Haar aus dem Gesicht. Träumerisch mutet das an, oder es liegt nur an ihrer Müdigkeit, die sie der eigenen Aussage nach ständig plagt. In Russland, so sagt sie, habe Slata zusammen mit ihrem Bruder am Kühlschrank gemalt oder im Flur verstecken gespielt. Und die vielen Tierpelze; die bleiben ihr auch in Erinnerung.

„Ein Kulturschock war es für mich nicht, nach Deutschland zu kommen“, sagt sie, „ich kann mich noch erinnern, wie es war, Deutsch zu lernen: oben, unten, links, rechts und so weiter.“ Ihre Hände schnellen in die dazugehörigen Richtungen. Für bestimmte Wörter, Eichhörnchen oder Tintenlöscher zum Beispiel, brauchte sie erheblich mehr Zeit, um sie zu lernen. Auch heute ist sie sich manchmal noch vermeintlich sicher, dass es „das Milch“ heißt.

Gedichtet hat sie früher überwiegend auf Russisch, erst seit ein paar Jahren verfasst Slata deutsche Lyrik. Der Austausch mit anderen Dichtern habe einfach gefehlt.

Manchmal kommt es vor, dass die Autorin eine russische Phrase einfach so ins Deutsche übernimmt. Dann braucht sie ein Korrektiv durch Leser oder Zuhörer. Andererseits hinterfrage sie dadurch, dass sie ein bisschen Distanz zu beiden Sprachen bewahrt, auch bestimmte Wörter – „Stolpern“ hat sie das getauft.

Überhaupt, Sprache: „Das ist etwas Ordnungsstiftendes und vielleicht kommt bei mir auch etwas Russisches hinzu“, sagt sie. Die Erzählung über die Vermieterin, aber auch die Stücke über das Reisen lassen es erahnen: Slata verwebt autobiografische Ereignisse in ihre Texte. „Von all den Sachen, die ich machen kann, ist Schreiben die sinnvollste Sache.“

Vielleicht ist es aber noch mehr als nur individuelle Sinnfindung. Nachdem „Der Schaffner hier hat weiße Haare ist verwirrt“ zu Ende vorgelesen ist, kramt Slata in ihrer Tasche. Diese ist – man hätte es erraten können – voller Notizen und Bücher. Sie holt ein zweites hervor, schlägt es auf. In diesem neuen Projekt arbeitet sie mit verschiedensten Textbausteinen von Einträgen auf Ebay-Kleinanzeigen bis hin zu alten russischen Psychologie-Fragestellungen. Bei Letzteren hat die Autorin vier Fragen ausgewählt, unter ihnen sind leere Zeilen. Was macht man da beim Vorlesen? „Man hält die Pause ein und die Leute sollen ihre Probleme schildern.“ Eine Herausforderung, sagt sie selbst, aber auch auf das hofft Slata: menschlichen Austausch. Im Herbst plant sie, Lesungen aus „Wir verzichten auf das gelobte Land“ zu halten. Orte scheinen in dem dünnen grünen Buch eine besondere Rolle einzunehmen. Der Band beinhaltet Gedichte, die sich mit Schwerin, wo sie aufgewachsen ist, oder auch mit Salzburg befassen. Die Städtenamen bilden jeweils den Titel. Was aber macht sie für die Dichterin so besonders? Bevor Slata antwortet, überlegt sie kurz und wägt vermutlich die Worte ab, um das passende sprachliches Bild zu finden: „Orte sind wie Perlen, die man an einer Schnur auffädelt, um eine Kette zu bilden“, sagt sie „und diese Stationen markieren die eigene Entwicklung.“ In der neuen Woh

Foto: Mike Lange