Wie identifiziert man sich heutzutage? Wie schafft man es, Individualität zu entwickeln und gleichzeitig eine gesellschaftliche Zugehörigkeit aufrechtzuerhalten und welche Rolle spielen Mode und aktuelle Trends bei alldem? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die junge Fotografin Elsa Wehmeier in ihrer Bachelorarbeit Ego und ihr. Die Arbeit thematisiert die Konfrontation des Individuums mit der Gesellschaft und den daraus resultierenden Wunsch, durch Mode die Identität zu gestalten und sich gleichzeitig zugehörig und abgegrenzt zu zeigen.
Von Marie Zoe Lagally
Auf einem Sportplatz im Münchner Stadtteil Schwabing auf Bierkästen, umgedrehten Mülleimern und alten Paletten sitzt eine Gruppe junger Leute, alle um die 18, 19 Jahre alt. Keiner von ihnen lächelt. Sie gucken leicht kritisch, verschlossen. Sechs Jungs, die meisten mit schulterlangen, offenen Haaren, dazwischen sitzen zwei Mädchen in Sneakers, Jeans und Rollkragenpullover. Sie posen für eine Szene aus dem Buch von Elsa Wehmeier, 27, eine Fotografin aus München, die in ihrer Bachelorarbeit Stilfragen klären will: Wie individuell kann man sich anziehen, ohne sich gesellschaftlich zu stark abzugrenzen? Wie individuell ist man eigentlich noch, wenn man Trends folgt?
Eine der beiden Teenagerinnen ist Nina Hoyer. Ihre Jeans hat sie bis zum Knöchel hochgekrempelt, weiße Socken, lässiger Stil, Sommertrend. Ihr geht es nicht um das perfekt durchgestylte Outfit oder darum, ein Statement zu setzen, sagt sie. Zum Charakter müssen die Sachen passen, klar, die Klamotten trägt sie schließlich für sich selbst. Kann man einen individuellen Stil haben und trotzdem einem Trend folgen? Nina findet Trends okay, sie versucht aber immer, diese zu personalisieren und ihre eigene Interpretation zu finden. Das heißt: Meistens zieht sie einfach das an, was ihrer Stimmung entspricht und wonach sie sich gerade fühlt. Auch sie spürt die Kluft, die Elsa Wehmeier, thematisiert. Wie viel Individualität steckt in so einem Trend?
Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, suchte Elsa Wehmeier in ihrem Bekanntenkreis und den sozialen Medien nach 15 jungen Menschen. Sie fotografierte jeden in seinem eigenen Umfeld, untersuchte mit ihrer Kamera, wie die Wohnung beispielsweise den Stil beeinflusst – oder eben nicht.
In ihrem Buch gibt sie Details und Momenten viel Platz. Ein junges Mädchen, Coco Loeven, wie sie vor ihrem Spiegel kniet und Ohrringe anlegt. Ein Schnappschuss, nicht gestellt, Coco wirkt unbeobachtet. Nächster Schnappschuss: Coco auf ihrem Bett, sie grinst, trägt einen weiten schwarzen Hoodie und eine schwarz orange gemusterte Hose. Ihre Haare gelbblond gefärbt.
In ihrem Buch gibt sie Details und Momenten viel Platz. Ein junges Mädchen, Coco Loeven, wie sie vor ihrem Spiegel kniet und Ohrringe anlegt. Ein Schnappschuss, nicht gestellt, Coco wirkt unbeobachtet. Nächster Schnappschuss: Coco auf ihrem Bett, sie grinst, trägt einen weiten schwarzen Hoodie und eine schwarz orange gemusterte Hose. Ihre Haare gelbblond gefärbt.
Sie wirkt cool und selbstbewusst – bis Elsa Wehmeier ihr Zimmer zeigt: clean und ein bisschen mädchenhaft. Weiße Bettwäsche, weiße Kerzen, weiße Wände, rosafarbene Details. Coco bringt durch die Einrichtung eine andere Seite von sich zum Ausdruck, spielt mit der Mode, dem Stil, dem vermeintlichen Widerspruch.
Anders ist das bei Kevin Bublies. Er trägt schwarze, abgeschnittene Jeans, dazu Oberteile in unauffälligen Farben, beige, jeansblau, feine Streifen. Alles in allem sieht sein Style zwar durchdacht aus, wirkt aber nicht auffällig oder extravagant. Gewollt ungewollt – auch das kann ein Stil sein. Blickt man auf die Fotos seines Zimmers, setzt sich der Stil fort: dunkle Möbel, ein Plattenspieler, eine venezianische Maske. Schlicht aber durchdacht – genau wie sein Stil.
Elsa ist in München aufgewachsen, sie fotografiert, seit sie 15 Jahre alt ist. Heute hält sie vor allem gesellschaftliche Situationen fest, sucht nach Details, die Großes zeigen. Zum Beispiel das Verhalten der Menschen in der U-Bahn, die Bedeutung des Begriffs Heimat, aber auch Mülltaucher auf ihrer Suche nach Essen. Alle ihre Bilder zeigen ihren dokumentarischen Ansatz und wie sehr sie das Thema Gesellschaft beschäftigt. Sie setzt sich mit ihrer Kamera mit unterschiedlichen Ideen und Gedanken auseinander, reflektiert über das, was sie erlebt. Wichtig ist ihr, die Gefühle, die die Individuen in der heutigen Gesellschaft haben, in ihren Bildern sichtbar zu machen, sagt sie im Interview. Dafür musste sie auch ihren eigenen Blick ändern.
Elsa studierte in Berlin Kunstgeschichte und Philosophie, merkte jedoch, dass dieses Studium nicht genau das war, was sie sich vorgestellt hatte. Deshalb zog sie nach Essen, um dort Fotografie zu studieren, das Fach, was sowieso schon ihr Hobby war. Vor ein paar Tagen hat sie ihre Bachelorarbeit abgegeben. Auf die Idee, sich mit der Kluft zwischen Individualität und Trend zu beschäftigen, kam sie früh. Als sie sich mit den Thesen verschiedenen Soziologen über Mode und die Gesellschaft auseinandergesetzt hatte, wusste sie, was sie machen wollte, sagt Elsa. Fotografieren, genau hinsehen.
Dabei steht in Elsas Leben Mode gar nicht so im Vordergrund, wie man das rein nach ihrer Arbeit beurteilend vielleicht denken mag. Sie lacht, sagt, sie sei auf keinen Fall so ein Fashion Victim. Natürlich habe die Bachelorarbeit ihr modisches Denken erweitert, da Mode ein ständiger Prozess des
Nachahmens und Abgrenzens sei. Die vielen neuen Eindrücke und Stile, die sie gesehen und mit denen sie sich intensiv auseinandergesetzt hat, spielen nun auch in ihren eigenen Modestil rein. Viel Material also, um nachzuahmen und sich abzugrenzen. Ihren eigenen Style definiert sie als recht zurückhaltend und schlicht. „Weniger expressiv auf jeden Fall. Aber das ist dann ja auch irgendwie eine Art, sich auszudrücken.“
Fotos: Elsa Wehmeier, Rosa Hausmann