Protestierende Poetin: Elisabeth Schwachulla, 26, polarisiert auf Münchens Poetry-Slam-Bühnen. Sie nutzt die Shows für markige Aussagen. Bei Auftritten nennt sie sich ausgerechnet Trulla
Von Max Fluder
Einen Roman schreiben, direkt nach dem Abschluss des Studiums, am liebsten in Griechenland – das hatte sich Elisabeth Schwachulla fest vorgenommen. Das Land ist ihr bekannt, ihr Großvater ist Grieche. Mit kellnern würde sie sich schon irgendwie über Wasser halten, sagte sie sich. Es kam anders. Die Städte heißen nicht Athen und Patras, sondern München und Passau. Elisabeth ist jetzt nicht mehr nur Elisabeth, sondern auch Trulla. Kellnern, das tut sie immer noch. Schreiben auch. Keinen Roman, aber Gedichte und Poetry-Slam-Texte. Und dass sie diese schreibt, aufführt auf den Bühnen der Stadt, hat sie in Deutschland gehalten.
Auszuwandern war eine fixe Idee; einmal beim Poetry Slam teilzunehmen, nur als Abschied gedacht. Trulla erinnert sich: „Dann habe ich es ausprobiert, gleich den ersten Slam gewonnen, wurde sofort wieder eingeladen und seitdem bin ich halt noch hier“, sagt sie und muss direkt drauf loslachen. Es ist ein verspieltes Lachen, eines, das man nicht an ihr vermuten würde, wenn man ihre Texte hört. Bei der 26-Jährigen reiht sich These an These, knallhart.
Ein Samstagabend im Januar, es schneit draußen, bei einem Slam im Import Export stehen die Menschen dicht an dicht, schwitzend. Auf der Bühne: Trulla, eine Kette mit grünem Stein baumelt an ihrem Hals, ein schwarzer Baker Boy Hat bedeckt ihre lockigen, braunen Haare und sie trägt große Creolen an den Ohren. Andere reden an diesem Abend über Schule oder Tinder, Trulla über das Polizeiaufgabengesetz (PAG). Ihre leicht rauchige Stimme passt zum bissigen Text.
Im Mai steht sie in der Mitte des Farbenladens vom Feierwerk. Gleiche Mütze, gleiche Ohrringe, anderes Thema: Feminismus. Der Text ist älter, die Debatte inzwischen noch intensiver geworden, Trulla setzt dem #MeToo ein #YouToo entgegen und plädiert für weibliche Selbstermächtigung. Auch bei den Freitagsdemos ist die 26-Jährige schon aufgetreten – mit einem Text über den Raubbau an der Natur: „Mensch, Mama Erde“ ist der Titel.
An einem heißen Frühsommertag sitzt Trulla unter dem Schirm eines Cafés in der Innenstadt, vor ihr ein Eiskaffee, in dem sie immer wieder rumstochert. Bevor es um Inhalte – Feminismus und Protest – geht, muss eines geklärt werden: Wieso eigentlich Trulla? Wieso ein Wort, das der Duden als „salopp abwertend“ kennzeichnet? Die Antwort ist so schlicht, wie sie provoziert. „Weil ich das Wort ständig sage und es immer als Wort für Frau benutzt habe, nie abwertend gemeint. Inzwischen verwende ich es weniger, da die Leute drauf komisch reagieren.“ Der Vorschlag kam von ihrer Patentochter, Trulla Schwachulla klingt aber selbst ihr zu lustig für ihre Texte. Bei Trulla blieb sie: „Der Name polarisiert, was ich total cool finde, weil dann darüber diskutiert wird.“ Und ihr echter Name? Der rufe falsche Assoziationen hervor: Elisabeth, und dann auch noch Lyrik.
Das Brechen von Klischees und Konventionen liegt ihr. Bevor Trulla auf ihre Sicht des Feminismus zu sprechen kommt, dreht sie sich eine Zigarette, zündet sie ungestört der Gäste um sie herum an. Pinker Filter, neongrünes Feuerzeug. „Mir ist wichtig, dass Gleichwertigkeit nicht Gleichartigkeit bedeutet. Für mich hat Feminismus etwas mit der Freiheit zu tun, dass jeder sein kann, wie er will, so dass die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden.“ Für Trulla kann das auch heißen, sich als Frau bewusst dazu entscheiden zu können, sonntags einen Kuchen zu backen und Hausfrau zu sein. Das Brechen der Geschlechterrollen sei eben nicht unbedingt, dass neue Rollen geschaffen werden, die es zu erfüllen gilt.
Ihr Text zur „Me Too“-Debatte folgt einem ähnlichen Gedankengang. Natürlich finde sie die Debatte gut und richtig, aber irgendwann sei das Ganze „abgedriftet“, sagt Trulla. „Keine sagt sich: ,Hey, ich kann auch einfach jedem Menschen, der sich danebenbenimmt, in die Fresse schlagen‘.“ In solchen Momenten wird ihre Stimme laut, aber nie schrill. Wie zur Beruhigung zündet sie ihren Zigarettenstummel wieder an. „Die Leute, die sich nicht danebenbenehmen, machen sich zu viele Gedanke. Und die anderen eben keine. Das ist die Botschaft von #YouToo und die wollte ich halt allen reindrücken“, sagt sie und beendet ihre Ausführung. Ihre Worte gehen in ein Lachen über; es ist ein erstauntes, aber auch ein verlegenes Lachen. Ihre ausdrückliche – wenn man gemein sein möchte – vulgäre Sprache hat sie wohl selbst überrascht.
Geht es um ihre eigene Zunft, die Poetry Slammer, ist sie nicht weniger zurückhaltend. „Je größer die Veranstaltung ist, desto mehr Männer findet man im Line-up“, sagt sie. Darin sieht sie auch die Motivation für ihre eigenen feministischen Texte. „Wenn man bei acht Leuten eine von zwei Frauen ist, will man die Gelegenheit nutzen, etwas Feministisches zu sagen.“ Im gleichen Atemzug fügt sie wiederum hinzu, dass die Szene unglaublich tolerant sei und jeder auf das Wohlergehen des anderen achte.
Die Positionen, die Trulla vertritt, muss man nicht teilen. „Aber sonst müsste ich es ja auch nicht erzählen“, sagt sie. Obwohl sie das Publikum bei Poetry Slams als links empfindet, bemerkt sie, dass die Stimmung im Raum kippt, vor allem bei ihrem #YouToo-Text. Sie trägt auswendig vor, schaut ins Publikum. „Noch ist niemand auf mich zugekommen und hat gesagt: ,Ich sehe das anders.‘ Aber ich sehe die Gesichtsausdrücke und – nun ja – manche sind nicht einverstanden.“
Diese Reaktionen stacheln Trulla nicht an, sie verunsichern die Poetin. Auch wenn sie auf der Bühne gelassen frech wirkt, aufmüpfig gar, bleiben die Auftritte eine Herausforderung. „Sich angreifbar machen“, nennt sie das.
Was sie an gesellschaftlichen Debatten stört, ist das Vergessen. „Übers PAG, zum Beispiel, spricht ja auch keiner mehr.“ Wirklich dagegen helfen tue nur wenig. „Shirts tragen“, schlägt sie vor und das Bewusstsein für diese Themen, den Protest aufrechterhalten. „Das macht aber auch niemand, weil er Angst vor Widerspruch hat“, sagt sie und anscheinend ist sie selbst kein „man“. Ihr Motto: „Wenn es um Politik geht, will ich etwas machen. Nur zu reden, bringt auch nichts.“
Ist es schon Ironie, dass ausgerechnet sie diesen Satz sagt? Sie, die auf den Poetry-Slam-Bühnen der Stadt vorträgt, tut nun einmal genau das: reden. Dass sie die Slams politisiert, hängt mit ihren Anfängen zusammen. Im April 2018, kurz vor der Sommerpause, fing Trulla an zu slammen, war von den Hunderten an Zuschauern beeindruckt und nutzte die Gelegenheit: „Ich habe fünf Minuten Zeit, auf der Bühne etwas zu sagen, was eine ganze Menge Leute erreichen kann. Und dann will ich das auch für politische Sachen nutzen.“
Sie schreibt natürlich auch lyrischere Texte, nicht immer nur über politische Themen. Seit sie acht ist, dichtet sie, mit zehn versuchte sie sich an einem Krimi. „Und wie es halt so ist, habe ich am Ende nur zwei Seiten geschrieben.“ Alles bewahrt sie auf, verwertet es wieder, denn: „Liebesgedichte kann ich ja immer noch auf Instagram posten!“
Foto: Frank Schroth