Fruchtbar oder furchtbar

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Dem komplexen Thema Holocaust-Humor hat sich ein deutsch-israelisches Filmteam gestellt. Entstanden ist der Dokumentarfilm „Looking for Laughter“.

„Looking for Laughter“ ist ein dokumentarischer Kurzfilm zwischen schwarzem Humor und bitterer Ernsthaftigkeit. Der reale Ausgangspunkt: ein Witz, der die 25-jährige Studentin Milena Krmek, erst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringt. Erzählt hat ihn Eran Yehezkel, ebenfalls Student, jüdischer Israeli. Die Pointe: Der Holocaust. „I know it is not funny, but are we allowed to laugh?“, wird Eran später in ihrem gemeinsamen Film sagen. Die Frage rückt ins Zentrum des Projekts, das die beiden mit weiteren israelischen und deutschen Studenten realisieren. Dabei soll der Holocaust weder vergessen noch veralbert werden. Vielmehr geht es jungen Filmemachern um einen neuen Umgang mit der Geschichte.

Milena und Eran lernten sich im vergangenen Dezember in München kennen. Arno Trümper, Journalist und Dozent der visuellen Anthropologie, hat das Treffen organisiert, bringt Filmstudenten aus Sderot im Süden Israels und Ethnologiestudenten von der Ludwig-Maximilians-Universität zusammen. Gemeinsam sollen sie Filme drehen, die Aufgabenstellung ist offen. Es ist eines von vielen Projekten, die im Rahmen des deutsch-israelischen Freundschaftsjahres 2015 unter anderem vom Auswärtigen Amt gefördert werden.

Eines der Ergebnisse: „Looking for Laughter“. Eran – verkleidet als Charlie-Chaplin-Hitler-Hybrid – erzählt Münchner Passanten einen Holocaust-Witz. Die reagieren meistens abwehrend, empört, selten mit dem Lachen, das der junge Israeli dem Filmtitel nach sucht. Er fragt nach, weshalb. Die Antworten klingen ähnlich: „Das darf man einfach nicht – mit unserer Geschichte.“

„Mit genug Feingefühl begegnet, kann Humor sehr fruchtbar sein“, sagt Milena. Es brauche viel Vertrauen zwischen Erzähler und Zuhörer, doch letztendlich werde Distanz zur Geschichte aufgebaut, ein Gespräch vereinfacht. „Es geht nicht um Vergessen“, fügt sie an. Ihr ist klar, dass das Thema kontrovers diskutiert wird. Zu schnell kann der Holocaust-Humor in eine antisemitische Richtung gehen. Es sei ein Einfaches, Humor zu missbrauchen, den Holocaust zu verharmlosen. Sie spricht mit Nachdruck. Möchte das klar stellen.

Denn es ist nicht lange her, da hat die junge Frau aus dem Münchner Umland gesehen, wie sehr in Deutschland noch immer die Judenfeindlichkeit schwelt. Kurz nach ihrer Rückkehr von der Filmpremiere in Israel begann im Juli der Gaza-Krieg. Mit der Eskalation des Konflikts im Nahen Osten kamen die Proteste in Europa auf. Und auf vielen Demonstrationen verschwamm bald die Grenze zwischen Kritik an Israels Militäreinsatz und judenfeindlichen Äußerungen. Milena zweifelt: Ist das der richtige Zeitpunkt für diesen Film?

Doch: Nur wer Tabus reflektiere, könne sich bewusst gegen Antisemitismus einsetzen, so Milena. „Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Täter- und Opfer-Kategorien in gewisser Weise auch aufbrechen.“ Natürlich haben Deutsche durch die Geschichte Verantwortung. Das sei ihr spätestens klar geworden, als sie mit 15 Jahren in Auschwitz vor einem Berg aus Haaren stand, erzählt sie, während ihr Blick verrät, dass sie sich das Bild vor Augen ruft. Doch als die deutschen und israelischen Teilnehmer des Projekts sich das erste Mal begegneten, „sind wir aufeinander geprallt“. Die Vergangenheit wurde schnell zum Thema.

Umso mehr, da es unter den Studenten bald Gerüchte darüber gab, der Holocaust dürfe keine Rolle in den Filmen spielen. „Stell dir vor, man verbietet dir, an die Farbe rot zu denken. Woran wirst du vor allem denken?“, sagt Milena. Die angespannte Stimmung bemerkte auch Projektleiter Arno Trümper und fragte bei den Kollegen nach. Die Antwort: Eine Vorgabe der israelischen Dozenten sei es gewesen. Schlussstrich-Mentalität nennt Trümper das und sieht sich selbst als Gegner dieses Vergessenwollens.

„Israel und Deutschland sind zwei freie Länder, es gibt keine Zensur“, entgegnete er seinen Studenten und entfachte damit eine Diskussion, die sich über zwei Nächte zog. „Es gab regelrechte Zusammenbrüche auf israelischer Seite“, erzählt er – aber auch die deutschen Teilnehmer seien konfrontiert worden, mit Fragen von Schuld und Verantwortung.

Auch Milena erzählt viel von diesen Diskussionen, ihre Gestik spiegelt die emotionale Aufgeladenheit der damaligen Situation wider. Und in ebenjener Umgebung beschloss Eran, einen Holocaust-Witz zu machen. „Ich hätte wohl in keiner anderen Situation darüber gelacht“, sagt Milena. Doch damals habe die eigentlich so unangebrachte Komik die angespannte Situation entschärft. Der Witz, für sie ein Denkanstoß, war für ihre israelischen Filmkollegen nur einer von vielen Sprüchen – auch über den Holocaust.

Einer von vielen? Was absurd klingen mag, bestätigt auch Ofer Suffrin. Der 29-jährige Israeli lebt zusammen mit seiner Frau in Deutschland, kennt den Humor seines Heimatlandes. Zwar sei der Holocaust-Humor in den Medien tabu, aus Rücksicht auf die Überlebenden, ansonsten aber gebe es keine Einschränkungen für Witze, erklärt er – „alles geht“. Zynismus und Parodie seien für viele eine Art, mit der Geschichte umzugehen. Auch Eran sagt das im Film: Er könne nicht mehr weinen, wolle nicht mehr.

Als der Israeli Suffrin vor zehn Jahren das erste Mal nach Deutschland reiste, unternahm er ein ähnliches Experiment wie die Studenten im Film. Vielerorts provozierte er durch Holocaust-Witze, wartete die Reaktionen ab. „So ein Witz kann überfordern. Man muss schnell reagieren, so viele Faktoren müssen mit einberechnet werden“, sagt er. Aber auch er glaubt an positive Aspekte dieser schwarzen Art des Humors: Denn auch Ofer Suffrin hat erfahren, dass der Holocaust noch heute zwischen Deutschen und Israelis stehen kann. Er verwendet die englische Redewendung des Elefanten im Raum, den jeder sieht, aber niemand benennen möchte. Die Komik könne in so einer Situation einen Dialog ermöglichen.

Doch darf man nun über den Holocaust lachen? Eine pauschale Antwort hat Milena nicht, es komme so sehr auf den Kontext an. Trümper antwortet ähnlich, betont, ein solcher Film wäre ohne die israelischen Partner nicht realisierbar. „Vor unserer Verantwortung ist es unmöglich, Witze über den Holocaust zu machen“, sagt er. Letztendlich geht es den Studenten wohl weniger um die Frage des Dürfens, sondern darum, eine Diskussion über den Umgang mit dem Holocaust anzustoßen – und damit neue gesellschaftliche Beziehungen zu Israel zu schaffen. Im Kleinen hat es dieser Film schon erreicht: Die Gruppe, die sich im Dezember als Fremde das erste Mal begegnete, verbindet heute eine enge Freundschaft. Doro Merkl

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