Nah, aber nicht zu nah

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Handwerkliches, Künstlerisches und Geschichtenerzählen: Der Filmemacher Lukas von Stein hat durch Crowdfunding und eine Förderung vom Sender Sky eine Dokumentation über den Musiker Jesper Munk gedreht.

Zu hören: leise Bassakkorde, Schlagzeug und Jesper Munks bluesige Stimme. Zu sehen: Munk, der in der Garderobe sitzt und raucht, am Spiegel die Setlist mit den Songs, die er gleich spielen wird. Dann: Munk auf der Bühne, wie er mit geschlossenen Augen ins Mikrofon singt.
Diese Aufnahmen in Schwarz-Weiß sind Szenen aus „For In My Way It Lies“, einem Dokumentarfilm über Jesper Munk. Mehr als ein Jahr lang haben der Filmemacher Lukas von Stein, 24, und sein Tonmann Marcel Morast den Musiker immer wieder begleitet und gefilmt: privat, im Studio, auf Konzerten. In ganz Deutschland und sogar in Kanada. Mehr als 80 Stunden Rohmaterial haben sie dabei gesammelt.
„Wir wollten keine inszenierten, filmreifen Momente herauspicken, sondern ein möglichst authentisches Bild von Jespers Leben als Musiker einfangen“, sagt Lukas. Dazu gehören auch die stillen Momente hinter der Bühne, Konflikte und Zweifel. Orientiert habe er sich am „Direct Cinema“-Stil der frühen Sechzigerjahre, bei dem die Filmemacher reine Beobachter sind und nicht eingreifen. Auch Lukas wollte einerseits „von außen drauf schauen“ und gleichzeitig einen psychologischen Eindruck von Munks Musikerseele geben – was der junge Filmemacher im Nachhinein grinsend als „ein bisschen größenwahnsinnig“ bezeichnet. Allein schon angesichts der Unmenge an Material.

Und nicht nur das: Wenn man das Leben einer Person mit der Kamera dokumentiert, dringt man in ihre Privatsphäre ein, muss auch delikate Momente ohne Skrupel filmen können. Skrupellos ist Lukas nicht, trotz seines Anspruchs nach größtmöglicher Authentizität. Er hatte manchmal sogar ein schlechtes Gewissen Jesper gegenüber, sagt er: „Ihn in einem intimen Augenblick mit seiner Freundin Lary zu filmen, hat sich ziemlich voyeuristisch angefühlt.“ Warum dann ein Dokumentarfilm? Warum über Jesper Munk?

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Nach seinem Abitur in Schondorf am Ammersee ging Lukas von Stein ein Jahr nach North Carolina an die Duke University, wo er einen Einblick in verschiedene Studiengänge bekam. Film und Politik gefielen ihm, deshalb begann er später ein Regiestudium an der Münchner Hochschule Macromedia, wechselte aber bald zur Kamera. Die Finanzierung übernahmen seine Großeltern, selbst wenn die Adelsfamilie nicht zu den besonders vermögenden zählt. Auch seine Eltern standen hinter ihm: „Ich habe von ihnen viel Rückhalt, aber nur wenig künstlerische Inspiration bekommen. Mit dem Filmemachen kam ich erstmals in Amerika in Berührung.“ Zu Beginn des Studiums habe ihn seine mangelnde Erfahrung manchmal verunsichert. Mit seinem Hut, der runden John-Lennon-Sonnenbrille und einer Selbstgedrehten im Mundwinkel wirkt Lukas heute aber gar nicht unsicher. Er ist eloquent, erzählt, dass das Kamerastudium eine gute Entscheidung war, weil es viele seiner Interessen verband: Handwerkliches, Künstlerisches und das Geschichtenerzählen.

Allerdings stand Lukas häufig in dem Konflikt, nicht nur Geschichten in Bilder übersetzen, sondern die Geschichten auch selbst schreiben zu wollen: Für seinen Abschlussfilm schrieb er deshalb ursprünglich ein fiktives Drehbuch über einen Mittzwanziger, der sich nicht traut, seinen Traum zu leben – ein Thema, das Lukas immer wieder umtreibt, auch jetzt im Jesper-Munk-Film. Doch dann sah er zufällig den Dokumentarfilm „Dont look back“ über Bob Dylan. „Von da an wollte ich zum ersten Mal lieber einen Dokumentarfilm machen, anstatt mein Drehbuch umzuset-zen“, erzählt Lukas. Denn seine zweite große Leidenschaft ist Musik, von den Rolling Stones über Folk bis hin zu Hip Hop. Er spielt auch Gitarre in einer Band.

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Ein Protagonist musste also her. Am besten jung, aufstrebend und noch erreichbar. „Ich hörte Jesper Munk damals rauf und runter und dachte sofort an ihn“, sagt der Filmemacher. Zufällig stellte er fest, dass er Jespers Bassisten von früher kannte, so kamen sie in Kontakt. Munk war einverstanden – wenn auch ein bisschen unsicher, ob er „interessant genug für einen Film“ sei: „Ich sehe mich selbst nicht als etablierte Künstlergröße, sondern bin ja noch in der musikalischen Entwicklung“, erklärt Munk, der damals nicht ahnte, welche Größenordnung das Ganze am Ende haben würde. Doch er bereue nichts, er sei dabei über sich hinausgewachsen, habe so manche Unsicherheit zu überwinden gelernt: „Das Projekt hat mir ganz neue Blickwinkel eröffnet.“ Außerdem gefiel dem Musiker, dass die Filmemacher irgendwie in einer ähnlichen Phase waren wie er selbst: Lukas lernte zum Beispiel erst im Laufe der Dreharbeiten, wie er mit seinem Protagonisten umgehen musste, damit der sich nicht unwohl fühlte. „Anfangs wollte ich es freundschaftlich angehen, aber dadurch war ich als Kameramann zu präsent“, sagt Lukas. Deshalb hielt er sich beim Filmen die meiste Zeit im Hintergrund. Erst nach Drehschluss führten die beiden längere Gespräche, ohne Kamera. Dabei legten sich auch die letzten Bedenken bei Munk, der nach eigenen Angaben nicht sehr leicht Vertrauen fasst.

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Eine Freundschaft mit dem Protagonisten macht es für einen Dokumentarfilmer aber nicht leichter: Lukas zufolge bat Munk ihn häufig, die Kamera auszumachen, wenn er einen schlechten Tag hatte oder etwas Unangenehmes passierte. Zum Beispiel, als einmal bei einem Meet and Greet keine Menschenseele erschien. Dann musste Lukas abwägen: Er wollte Munk ja nicht bloßstellen, gleichzeitig aber auch sein Ziel verfolgen – da blieb die Kamera auch schon mal an.

Wie war das für den Musiker? „Ich war dann einfach nur wütend“, erzählt Munk. Aber dann wurde darüber geredet und weitergemacht: Beide hatten Verständnis für die Situation des anderen.
Ende des Jahres soll der Film fertig sein. Seit diesem Frühjahr sichten Lukas und Marcel das Filmmaterial. „Das ist zäh und oft frustrierend“, sagt Lukas, der die Arbeit teilweise alleine machte, weil sein Tonmann viel arbeiten muss. Denn durch die Crowdfunding-Spenden und eine Förderung vom Sender Sky konnten sie gerade mal die Produktionskosten decken, sich aber keine Gage zahlen. Mehr nebenbei hat Lukas im Herbst 2016 seinen Abschluss gemacht: einen Film mit dem bis dahin vorhandenen Material samt Bachelor-Arbeit und einer Reflexion über das Projekt. „Ich habe enorm viel dabei gelernt, auch über mich selbst. Es ist also viel mehr als nur ein Abschlussfilm“, sagt er. Lukas freut sich, seinen Film bei Festivals zu präsentieren und dann endlich wieder den Kopf frei zu haben für neue Filmprojekte, seine eigene Band und das Schreiben.

Jesper Munk spielt die letzten Akkorde. Das Publikum jubelt. Auf der Bühne sind alle Unsicherheiten vergessen – dort lebt der Musiker seinen Traum.

Video: https://vimeo.com/226266371

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Text:
Anna-Elena Knerich

Fotos: Lukas von Stein, Alessandra Schellnegger

Fruchtbar oder furchtbar

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Dem komplexen Thema Holocaust-Humor hat sich ein deutsch-israelisches Filmteam gestellt. Entstanden ist der Dokumentarfilm „Looking for Laughter“.

„Looking for Laughter“ ist ein dokumentarischer Kurzfilm zwischen schwarzem Humor und bitterer Ernsthaftigkeit. Der reale Ausgangspunkt: ein Witz, der die 25-jährige Studentin Milena Krmek, erst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringt. Erzählt hat ihn Eran Yehezkel, ebenfalls Student, jüdischer Israeli. Die Pointe: Der Holocaust. „I know it is not funny, but are we allowed to laugh?“, wird Eran später in ihrem gemeinsamen Film sagen. Die Frage rückt ins Zentrum des Projekts, das die beiden mit weiteren israelischen und deutschen Studenten realisieren. Dabei soll der Holocaust weder vergessen noch veralbert werden. Vielmehr geht es jungen Filmemachern um einen neuen Umgang mit der Geschichte.

Milena und Eran lernten sich im vergangenen Dezember in München kennen. Arno Trümper, Journalist und Dozent der visuellen Anthropologie, hat das Treffen organisiert, bringt Filmstudenten aus Sderot im Süden Israels und Ethnologiestudenten von der Ludwig-Maximilians-Universität zusammen. Gemeinsam sollen sie Filme drehen, die Aufgabenstellung ist offen. Es ist eines von vielen Projekten, die im Rahmen des deutsch-israelischen Freundschaftsjahres 2015 unter anderem vom Auswärtigen Amt gefördert werden.

Eines der Ergebnisse: „Looking for Laughter“. Eran – verkleidet als Charlie-Chaplin-Hitler-Hybrid – erzählt Münchner Passanten einen Holocaust-Witz. Die reagieren meistens abwehrend, empört, selten mit dem Lachen, das der junge Israeli dem Filmtitel nach sucht. Er fragt nach, weshalb. Die Antworten klingen ähnlich: „Das darf man einfach nicht – mit unserer Geschichte.“

„Mit genug Feingefühl begegnet, kann Humor sehr fruchtbar sein“, sagt Milena. Es brauche viel Vertrauen zwischen Erzähler und Zuhörer, doch letztendlich werde Distanz zur Geschichte aufgebaut, ein Gespräch vereinfacht. „Es geht nicht um Vergessen“, fügt sie an. Ihr ist klar, dass das Thema kontrovers diskutiert wird. Zu schnell kann der Holocaust-Humor in eine antisemitische Richtung gehen. Es sei ein Einfaches, Humor zu missbrauchen, den Holocaust zu verharmlosen. Sie spricht mit Nachdruck. Möchte das klar stellen.

Denn es ist nicht lange her, da hat die junge Frau aus dem Münchner Umland gesehen, wie sehr in Deutschland noch immer die Judenfeindlichkeit schwelt. Kurz nach ihrer Rückkehr von der Filmpremiere in Israel begann im Juli der Gaza-Krieg. Mit der Eskalation des Konflikts im Nahen Osten kamen die Proteste in Europa auf. Und auf vielen Demonstrationen verschwamm bald die Grenze zwischen Kritik an Israels Militäreinsatz und judenfeindlichen Äußerungen. Milena zweifelt: Ist das der richtige Zeitpunkt für diesen Film?

Doch: Nur wer Tabus reflektiere, könne sich bewusst gegen Antisemitismus einsetzen, so Milena. „Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Täter- und Opfer-Kategorien in gewisser Weise auch aufbrechen.“ Natürlich haben Deutsche durch die Geschichte Verantwortung. Das sei ihr spätestens klar geworden, als sie mit 15 Jahren in Auschwitz vor einem Berg aus Haaren stand, erzählt sie, während ihr Blick verrät, dass sie sich das Bild vor Augen ruft. Doch als die deutschen und israelischen Teilnehmer des Projekts sich das erste Mal begegneten, „sind wir aufeinander geprallt“. Die Vergangenheit wurde schnell zum Thema.

Umso mehr, da es unter den Studenten bald Gerüchte darüber gab, der Holocaust dürfe keine Rolle in den Filmen spielen. „Stell dir vor, man verbietet dir, an die Farbe rot zu denken. Woran wirst du vor allem denken?“, sagt Milena. Die angespannte Stimmung bemerkte auch Projektleiter Arno Trümper und fragte bei den Kollegen nach. Die Antwort: Eine Vorgabe der israelischen Dozenten sei es gewesen. Schlussstrich-Mentalität nennt Trümper das und sieht sich selbst als Gegner dieses Vergessenwollens.

„Israel und Deutschland sind zwei freie Länder, es gibt keine Zensur“, entgegnete er seinen Studenten und entfachte damit eine Diskussion, die sich über zwei Nächte zog. „Es gab regelrechte Zusammenbrüche auf israelischer Seite“, erzählt er – aber auch die deutschen Teilnehmer seien konfrontiert worden, mit Fragen von Schuld und Verantwortung.

Auch Milena erzählt viel von diesen Diskussionen, ihre Gestik spiegelt die emotionale Aufgeladenheit der damaligen Situation wider. Und in ebenjener Umgebung beschloss Eran, einen Holocaust-Witz zu machen. „Ich hätte wohl in keiner anderen Situation darüber gelacht“, sagt Milena. Doch damals habe die eigentlich so unangebrachte Komik die angespannte Situation entschärft. Der Witz, für sie ein Denkanstoß, war für ihre israelischen Filmkollegen nur einer von vielen Sprüchen – auch über den Holocaust.

Einer von vielen? Was absurd klingen mag, bestätigt auch Ofer Suffrin. Der 29-jährige Israeli lebt zusammen mit seiner Frau in Deutschland, kennt den Humor seines Heimatlandes. Zwar sei der Holocaust-Humor in den Medien tabu, aus Rücksicht auf die Überlebenden, ansonsten aber gebe es keine Einschränkungen für Witze, erklärt er – „alles geht“. Zynismus und Parodie seien für viele eine Art, mit der Geschichte umzugehen. Auch Eran sagt das im Film: Er könne nicht mehr weinen, wolle nicht mehr.

Als der Israeli Suffrin vor zehn Jahren das erste Mal nach Deutschland reiste, unternahm er ein ähnliches Experiment wie die Studenten im Film. Vielerorts provozierte er durch Holocaust-Witze, wartete die Reaktionen ab. „So ein Witz kann überfordern. Man muss schnell reagieren, so viele Faktoren müssen mit einberechnet werden“, sagt er. Aber auch er glaubt an positive Aspekte dieser schwarzen Art des Humors: Denn auch Ofer Suffrin hat erfahren, dass der Holocaust noch heute zwischen Deutschen und Israelis stehen kann. Er verwendet die englische Redewendung des Elefanten im Raum, den jeder sieht, aber niemand benennen möchte. Die Komik könne in so einer Situation einen Dialog ermöglichen.

Doch darf man nun über den Holocaust lachen? Eine pauschale Antwort hat Milena nicht, es komme so sehr auf den Kontext an. Trümper antwortet ähnlich, betont, ein solcher Film wäre ohne die israelischen Partner nicht realisierbar. „Vor unserer Verantwortung ist es unmöglich, Witze über den Holocaust zu machen“, sagt er. Letztendlich geht es den Studenten wohl weniger um die Frage des Dürfens, sondern darum, eine Diskussion über den Umgang mit dem Holocaust anzustoßen – und damit neue gesellschaftliche Beziehungen zu Israel zu schaffen. Im Kleinen hat es dieser Film schon erreicht: Die Gruppe, die sich im Dezember als Fremde das erste Mal begegnete, verbindet heute eine enge Freundschaft. Doro Merkl

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