„Hey man, wir machen vorne weg bisschen so Freestyle und dann kommt ihr. Is that cool with you?“ Auf einer Sofa-Tour erlebt man häufig Überraschungen. Für Young Chinese Dogs gab es beim ersten Stop in Stuttgart eine Rap-Einlage, Breakdancer und am Ende viel Rotwein mit Andy Ypsilon.
Der Sommer stand vor der Tür, und wir, die Young Chinese Dogs, wollten einen gemeinsamen Sommerurlaub machen. Das Ganze sollte irgendwie gemeinsames Musizieren beinhalten, Leute treffen – und bisschen rumkommen wollten wir auch. Die Idee zu einer Sofatour reifte in unseren Köpfen: Lasst uns paar Wohnzimmerkonzerte spielen. Das ist entspannt. Wir lernen neue Leute kennen, können neue Songs ausprobieren. Das wird super!
Dieser schöne Urlaubs-Plan, der mir unserem ersten Wohnzimmerkonzert bei Emma in München ja noch ganz harmlos und schön begonnen hat, wird nun mehr und mehr surreal. In einem heillos überfüllten Kombi fahren eine Nordrhein-Westfälin, ein Niedersachse und ein Bayer nach Stuttgart. Mehrmals muss ich mich umdrehen, um mich zu vergewissern, ob wir unsere Sängerin Birte nicht in München vergessen haben. Sie sitzt unter einem Haufen Instrumente und Koffern begraben auf der Rückbank. Nurmehr ein Haarbüschel ist zu sehen. Sie scheint wenig Luft zu bekommen. Es ist ungewohnt ruhig.
Nach den üblichen vierzig Staus auf der A8 passieren wir die Ortsschilder von Stuttgart. Noch am Ortsrand schickt uns das Navi den Berg hoch. Oliver, der wortkarge Gitarrist unserer Band, bricht die seit München herrschende Stille: „Ich habe gehört, je höher auf dem Berg die Leute in Stuttgart wohnen, desto reicher sind sie.“ Da Oliver, wenn er denn redet, meist kluge Sachen sagt, glaube ich ihm. Wir bei reichen Leuten? Passt das denn?
Besonders an dieser Sofatour ist, dass wir über unsere Gastgeber oft vorher oft nicht mehr wissen, als einen Namen, eine Adresse und eine Telefonnummer. Ich weiß, dass der Gastgeber für heute Nathan heißt, und in Haus Nummer 50 wohnt. Das ist das vorletzte Haus ganz oben auf dem Berg. Uns öffnet ein cooler Hip-Hopper, etwa Anfang 30, ein schier vor positiver Energie platzender Amerikaner. Mit seiner WG, bestehend aus Hip-Hopper-Kumpels sowie Frau und Kind bewohnt er eine „fette“ Architekten-Villa aus den Sechzigerjahren. Wir werden sehr herzlich begrüßt – und uns wird erst mal ein „Tannenzäpfle“ in die Hand gedrückt.
Nachdem wir unser Instrumente ausgepackt haben, füllt sich das Wohnzimmer nach und nach mit Musikerinnen und Musikern, Breakdancern, Sprayern und einer Handvoll kleiner Kinder. die Nathan eingeladen hat. „Hey man, wir machen vorne weg bisschen so Freestyle und dann kommt ihr. Is that cool with you?“, fragt mich unser Gastgeber. Ich sage ja. Was dann passiert, lässt uns Drei die Kinnlade runterfallen. Erst legt einer der Jungs auf einem Klavier los, Nathan schnappt sich ein Mikro und legt einen Freestyle-Rap hin, in dem er alle willkommen heißt. Scheinbar nebenbei steht einer aus dem Publikum auf, singt, rappt, heizt die Bude an. Weitere vier Jungs stehen auf und breakdancen zu Klavier und Beatbox. Danach singt ein sehr junges Mädchen eigene Songs auf der Gitarre.
Nach zehn Minuten „Vorprogramm“, das vieles an die Wand nagelt, was ich die vergangenen Jahre gesehen habe, sollen wir ran! Befeuert von Tannenzäpfle und Ehrgeiz, mit all diesen talentierten Menschen mitzuhalten, geben wir unser Bestes, das Hip-Hop-Wohnzimmer feiert mit uns. Die Leute haben eine Menge Spaß – und bei den schnelleren Songs helfen uns die kleinen Kinder, die im Publikum sind, an den Trommeln fleißig mit. Zwar etwas gegen den Takt, aber extrem lustig. So was erlebt man auf den Clubbühnen nicht so oft!
Nach diesem fulminanten Konzert gehe ich zielstrebig in die Küche. Ein freundlicher Mann in Jogginghose spricht mir sein Lob aus, dass wir es geschafft haben, so tight zu spielen, obwohl sein kleiner Sohn so falsch getrommelt hat. Ich danke höflich, interessiere mich aber erst mal mehr für den Rotwein, den er in der Hand hält. Als er mir ein Glas davon abgegeben hat, fängt er erneut an: „Ich steh ja so voll auf tighte Rhythmik!“ Ich frage, ob er denn Drummer sei? Er verneint. Er produziere so Sachen. Der Rotwein ist verdammt gut, und ich würde gerne noch mehr davon haben. Ich frage höflich, was er denn produziere, und nehme mir noch was von seinem Rotwein.
Er sagt, die Band heiße „Die Fantastischen Vier“ und er heiße Andy Ypsilon. Er sei der Nachbar von Nathan. Ich beginne zu lachen, und ein Gespräch um den Wein und Musik entwickelt sich.
Im Verlaufe des Abends leeren Andy, Birte, die dazu stößt, und ich noch mehrere dieser Rotweinflaschen. Wir sitzen gemeinsam auf dem Sofa, hören laut auf dem Handy „Rage Against The Machine“. Auch dann noch, als schon alle anderen Gäste längst gegangen sind. Wir entdecken viele gemeinsame musikalische Vorlieben.
Spätnachts geht es ins Bett, das bei Wohnzimmerkonzerten zum Glück nur im 1. Stock ist. Ich freu mich auf morgen. Kann man als Hund nen Kater haben?
Nick Reitmeier für Young Chinese Dogs