Kunststudentin Katrin Bittl, 26, kopiert bekannte Gemälde, malt aber die dargestellten Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Die junge Künstlerin leidet unter Muskelschwund.
Von Tabitha Nagy
Marie Antoinette ist auf einem kleinformatigen Porträt zu sehen. Was auffällt: Ihr fehlt eine Hand. Drei dieser Malereien hängen über einem Nachtkästchen an der Wand. Auf ihnen sind Abbildungen alter, bekannter Gemälde zu sehen, doch die dargestellten Personen haben klar sichtbare körperliche Einschränkungen. Die Erzherzogin Magdalena von Österreich ist mit Hasenscharte zu sehen, Henriette von Carlowitz mit einem Beatmungsschlauch.
Die „Übermalungen“, wie sie Katrin Bittl, 26, Studentin an der Akademie der Bildenden Künste, nennt, hingen kurz vor den Ausgangsbeschränkungen in einer Ausstellung des International Munich Art Lab. Jetzt sitzt Katrin in ihrem Garten. Ihre Malereien sind wieder in ihrem Münchner Atelier und von Zimmerpflanzen umgeben. Im Garten sind Singvögel und Krähen zu hören. Das Nachtkästchen in der Ausstellung gehörte einst der Großmutter der Kunststudentin. „Ich wollte etwas Privates aus meinem Atelier mit in die Ausstellung geben“, sagt sie.
Das passt auch sehr gut, letztlich sind auch die Bilder, die Katrin schafft, stark von ihrem Privatleben beeinflusst: Die Studentin hat Spinale Muskelatrophie. Es handelt sich um einen angeborenen Muskelschwund, der zu Lähmungen führt. „Mir wäre es am liebsten zu sagen, dass alle Menschen funktional divers sind. Wenn ich das so an die Gesellschaft abgebe, komme ich auch aus dieser ,Behindertenrolle‘ raus“, sagt Katrin. Die Formulierung „Menschen mit Behinderung“ finde sie aber auch noch in Ordnung. Sie spricht klar und ruhig. Oft ziehen sich ihre Mundwinkel zu einem kurzen Lächeln.
„In den Übermalungen füge ich perfekten Bildern, diesen durch die Malerei manipulierten, idealisierten Körpern offensichtliche Versehrungen und Beeinträchtigungen zu“, sagt Katrin. Es gehe ihr dabei weniger um die dargestellten Personen, als um die ästhetische Darstellung dieser und die Funktion einer Malerei als Statussymbol. Sie will Bilder schaffen von Personen, die über Jahrhunderte, Jahrtausende nicht visuell repräsentiert wurden. Die versteckt wurden und in der Gesellschaft oft ein Randdasein fristeten. „Die Leute reagieren schon stark auf die Arbeiten“, sagt Katrin. Eine Besucherin der Ausstellung konnte es etwa nicht fassen, „wie ich es mir herausnehmen würde, mich an der Kunstgeschichte ,zu vergehen‘ und die Bilder ‚zu verschandeln‘, nur weil die Menschen nun mit körperlichen Beeinträchtigungen dargestellt sind. An der Reaktion sieht man ihr Verhältnis zu Menschen mit Behinderung und das Stigma, das diesen noch immer anhaftet“, sagt Katrin.
Die Übermalungen stellt sie nicht etwa in einem Bildbearbeitungsprogramm her, sondern manipuliert gedruckte Reproduktionen selbst von Hand mit Pinsel und Acrylfarben. Diese persönliche Verbindung ist ihr wichtig. „Es ist authentischer. Wenn ich das mit Photoshop machen würde, würde etwas fehlen. Es ist wichtig, dass das über meine Hand, über meinen Körper geht.“ Einen Körper zu manipulieren, hinterlasse Narben. Auch deshalb wolle sie nicht, dass die Oberfläche ganz glatt bleibt.
Das Politische spielt schon immer eine Rolle in Katrins Leben. Ein Studium der Sozialen Arbeit brach sie ab, als sie an der Kunstakademie aufgenommen wurde. Die Entscheidung bereut sie nicht. Sie sei durch das Kunststudium in ihrer persönlichen Entwicklung, der Sicht auf das Leben und auch in ihrer Fähigkeit, vielleicht wirklich etwas in der Gesellschaft verbessern, oder verändern zu können, viel weitergekommen. „Ich bin in meinem Leben schon total politisiert, ich werde überall von der Gesellschaft eingeschränkt“, sagt Katrin. Durch das Kunststudium sei sie ihrem Ziel, auch für andere da zu sein, näher gekommen, als sie es durch ein Studium der Sozialen Arbeit vielleicht geschafft hätte, sagt sie.
Katrin lebt eigenständig in einer kleinen Wohnung im Erdgeschoss mit Garten und vielen Pflanzen. Doch jede kleine Alltagshandlung dauere oft doppelt so lange wie bei Menschen ohne körperliche Beeinträchtigungen. Vieles muss sie zum Beispiel erst einmal einem ihrer Helfer erklären, bevor es begonnen werden kann. „Das kostet mich schon auch viel Kraft“, sagt die Studentin. Für die Kunstfindet sie immer noch Zeit, doch ist die Zahl an Werken, die sie produzieren kann, so natürlich geringer.
„Katrin Bittl setzt sich mit dem menschlichen Körper auf eine fantastische Weise auseinander. Besonders gut finde ich auch, dass die Bilder auch unabhängig vom politischen Diskurs funktionieren. Sie brauchen ihn nicht zwingend“, sagt Hermann Pitz, bei dem Katrin an der Akademie der Bildenden Künste München studiert. Vor allem in ihren Selbstporträts, einer weiteren starken Position in Katrins künstlerischem Schaffen, sehe man das Fantastische, sagt Hermann Pitz. Die kleinen Formate, auf die sich die Künstlerin spezialisiert hat, sieht er als „spannende künstlerische Herausforderung durch eine formale Beschränkung“.
In Katrins Selbstporträts zeigt sie ihren Körper oft liegend, von Pflanzen umgeben oder auch in komplett neue Kontexte gesetzt, die so eigentlich gar nicht möglich wären – ganz ohne den Rollstuhl. „Ich beschäftige mich viel mit meinem Körper, weil sich auch meine Umwelt viel damit beschäftigt. Ich will neue Perspektiven auf Körper wie meinen eröffnen, ihn in neue Kontexte setzen und neue Möglichkeiten geben“, sagt die Künstlerin. Die Selbstporträts wirken oft sehr zart, träumerisch. Das liegt auch an den Farben und Katrins spezieller Methode, diese Porträts anzufertigen. Sie erstellt digitale Zeichnungen und Malereien, die sie dann wasserlöslich auf Papier aufdruckt, anschließend mit einem Pinsel wieder anlöst und mit Aquarellfarben weiter malt. Diese Malereien bearbeitet sie teilweise am Computer. Sie legt verschiedene Bilder übereinander und fügt sie zu kurzen Videoarbeiten zusammen. So versetzt sie ihren Körper in Bewegung, und zwar auch in solche, die er im Alltag nur schwer ausführen könnte. Die Selbstporträts sind sehr intim. Durch die Überlagerung, etwa durch Pflanzen, überlässt Katrin es dem Betrachter, ob er dort etwas Privates erkennt.
In ihrer neusten Videoarbeit wird Katrins Körper langsam von Blumenranken überwachsen. Mit dem Motiv der Pflanzen will die Künstlerin sich nun intensiver auseinandersetzen. „Ich bin immer von Pflanzen umgeben, sie gehören eigentlich schon zu mir“, sagt Katrin, „Ich habe da in letzter Zeit auch viel darüber nachgedacht, warum das so ist, und festgestellt, dass ich einer Pflanze total ähnlich bin.“ Inwiefern? „Ich bin ein sehr passives Wesen. Ich kann kommunizieren, aber ich bewege mich nicht aktiv von selbst im Raum. Ich bin auch in gewissem Maße ortsgebunden. Die Existenz und die Nützlichkeit einer Pflanze hinterfragt niemand. Sie ist total wichtig und kann einfach sein, auch wenn sie augenscheinlich erst einmal nichts macht, so wie man es bei mir auch annehmen könnte. Das ist jetzt fast schon eine Kritik an unserer Leistungsgesellschaft.“