Ein Ort, an dem früher für Recht und Ordnung gekämpft wurde, ist bis Ende Juli die Heimat des Techno-Kollektivs Bushbash. Drei Monate dauert die Zwischennutzung – aber ist das nicht zu kurz? Und was passiert danach?
Von Amelie Völker
Kein Gesetzestext ist mehr zu finden. Auch keine Porzellanfigur der Justitia. In den Gängen und Räumen einer ehemaligen Kanzlei hängen nun gemusterte Wandteppiche und bunte Plakate. Auf den Toiletten gibt es Ausschnitte aus den absurdesten „Dr.-Sommer-Fragen“ zu bewundern. In einer Zimmerecke steht ein offenes Bücherregal, das mit einem Schild „Books to go“ dazu einlädt, ein Buch zu nehmen. Neben einer Werkstatt, einem Wohnzimmer und einem Mini-Dancefloor gibt es auch ein Besprechungszimmer und einen Kinoraum. Ein Ort, an dem früher für Recht und Ordnung gekämpft wurde, ist jetzt ein Ort der kreativen, freien Szene, deren Grenzen zwischen legal und illegal oftmals fließend sind.
An dieser Stelle an der Sonnenstraße soll ein Hotel entstehen. Deswegen ist die Kanzlei ausgezogen, bis August hätten die Räume leergestanden. Doch eine Gruppe Münchner junger Kreativer ist zwischenzeitlich eingezogen. Das Technokollektiv Bushbash sowie Mitstreiter und befreundete Kollektive haben ein vorübergehendes Zuhause gefunden. 250 Quadratmeter, sieben Räume – für kreatives Austoben.
Bushbash ist ein Münchner Techno-DJ-Kollektiv, das alternative Raves, meist im Freien, organisiert und dort auch selbst auflegt. Aber auch auf Demos und Festivals sind sie als Organisatoren oder DJs tätig. Die beiden Gründer Benni Zimmer und Carl Sturm, beide 21, sehen auf den ersten Blick in ihren braven Shirts gar nicht unbedingt nach wildem Rave-Leben aus. Sie kennen sich schon lange, sind ein funktionierendes Team, das merkt man an der Art, wie entspannt sie miteinander umgehen und wie sie gegenseitig ihre Sätze vervollständigen. Zu diesem inoffiziellen Zwischennutzungsprojekt kamen sie über den Vater einer Freundin, der ihnen die Räumlichkeiten zwischenzeitlich für ihre Projekte überlässt. Sie nennen ihre neue Heimat „Die Kanzlei“.
Oft ist eine solche Zwischennutzung die einzige Chance, vor allem für junge Kreative in München, eine Fläche zu bekommen, um eigene Ideen und Projekte zu verwirklichen. „Man kann sich ausleben, ohne an die teuren Mietpreise von Ateliers oder Ähnlichem in München gebunden zu sein“, sagt Benni, „das ist die Chance, um zu zeigen, was wir können.“
Aber nicht alle finden diese Teilzeit-Subkultur optimal, längst ist unter Münchens Kreativen eine Diskussion darüber im Gange. Zwischennutzungen bestehen stets über einen vorgegebenen Zeitraum. Ist dieser vorbei, ist Schluss mit der Kultur, egal, wie erfolgreich sie war. Oftmals bestehen Angebote nur drei Monate. Das ist kurz. Zu kurz? „Die relativ kurze zeitliche Begrenzung ist ein Problem“, sagt Benni. Auch in der Kanzlei hat die Bushbash-Crew nur drei Monate. „Man steckt ja so viel Schweiß und Tränen in ein solches Projekt“, fügt Carl hinzu. Er ist sich sicher: Münchens Subkultur blühe aktuell auf, nur fehlten die Flächen und Räumlichkeiten dafür. „Mit Zwischennutzungen hat man, auch wenn es nur für kurze Zeit ist, wenigstens die Chance, jungen Menschen Münchner Subkultur zu zeigen.“ David Süß vom Elektro-Club Harry Klein sieht es ähnlich: „Eine Zwischennutzung ist bei der Not an bezahlbarem Raum oft die einzige Chance für Kreative und Kulturschaffende“, sagt er. Aber: „Für Konzerte und Partys müssen diese Räume meist aufwendig und teuer hergerichtet werden, um die Sicherheit zu gewähren. Bei kurzen Nutzungen droht Selbstausbeutung oder sogar die Pleite.“
Zwischennutzungen sind also besser als nichts. Aber: Muss eine Stadt wie München nicht auch andere Lösungen für Subkultur finden? Und was wird, wenn eine Zwischennutzung abläuft, aber nichts Vergleichbares nachkommt? „Von der Stadt aus hat man ganz gut erkannt, dass die Stadt etwas davon hat und die Kreativen was davon haben, wenn man sich zusammentut und sagt, dass man den Raum öffnet für eine Zwischennutzung“, erklärt etwa Anne Gericke vom Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft in München auf einer Internetseite der Bundesregierung. Aus einer Zwischennutzung kann auch mal eine dauerhafte Nutzung resultieren.
Jürgen Enninger, Leiter dieses Kompetenzteams, sagt aber auch: „Wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, dass Zwischennutzung nicht nur Selbstzweck, sondern auch Mittel zum Zweck ist. Wir müssen an langfristigen Nutzungen für Kultur- und Kreativschaffende in der Stadt arbeiten.“ Auch ein weiterer Punkt ist ihm wichtig: „In Summe muss für die Kreativen der Stadt über Zwischennutzung immer ein Mehrwert entstehen. Entweder finanziell, über Sichtbarkeit, über Vernetzungsmöglichkeiten oder über echten, wenn auch temporären Arbeitsraum.“
Ein Donnerstagabend in „Der Kanzlei“. Das Besprechungszimmer ist voller junger Menschen – Organisatoren des Midsommar-Festivals, junge Kollektivmitglieder. Sie sitzen an einem großen Holztisch. Es wird gekocht, diskutiert, geraucht und auf Laptops gestarrt. Die ehemalige Kanzlei hat sich in einen fruchtbaren Austauschort der jungen kreativen Rave-Szene Münchens entwickelt. „Was früher über diverse Whatsapp-Gruppen abgelaufen ist, funktioniert hier natürlich viel besser“, sagt Carl. „Bei großen Teamtreffen hatten wir hier zum Teil mehr als 70 Menschen in der Bude“, sagt Benni, „ohne die unbezahlte Mithilfe von so vielen Menschen wäre das Kanzleiprojekt gar nicht erst möglich gewesen.“ Auch die Vorbereitungen für ihre eigene DJ-Stage für ein Festival fanden in der Kanzlei statt. Das Ergebnis: ein imposantes Gestell aus Bambus und Draht, das an das Maul eines Raubtiers erinnert und in dessen Schlund das DJ-Pult thront.
Seinen festen Platz in der Wochenplanung der Kanzlei hat auch das Projekt „Filmkanzlei“ gefunden. Jeden Mittwoch und Sonntag organisieren Anouar Mahmoudi, 23, Marouane Mahmoudi, 20, Rebecca Kottmaier, 22, und Ludwig Kramer, 23, einen Filmabend für Freunde und Freundesfreunde – inklusive anschließender Filmdiskussion. Im Kinoraum hängt eine große Leinwand, eingerahmt von roten Vorhängen – wie im Theater. Lautsprecher stehen auf gestapelten Bierkästen. Die Hitze ist beinahe unerträglich an diesem Mittwochabend. Auf gemütlichen, weißen Sofas sitzen junge Menschen. Nicht zu viele, aber doch mehr, als man an so einem Sommerabend erwarten würde. Die Klimaanlage rauscht, die Zuschauer fächern sich Luft zu. Die gezeigten Filme sind divers: Dokus, Alternatives oder Komödien. Stets in Originalfassung.
Drei Monate sind kurz, das merken auch Benni und Carl. Bis Ende Juli müssen sie ihre Kanzlei geräumt haben. Doch das nächste Ziel ist schon in Sicht. Für die ehemalige Hochschule für Design in der Infanteriestraße hat der Münchner Projektentwickler „Bauwerk“ einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben. Auch diese Räume kann man nur drei Monate bespielen.
Fotos: Florian Peljak