Luisa Pointner, 25, hat ihren Job aufgegeben. Stattdessen tippt sie jetzt Kurzpoesie für Fremde auf ihrer Schreibmaschine.
Weg mit den Torten. Auf einen Schlag war die Begeisterung für das Backen bei Luisa Pointner, 25, vergangen. „Ich habe kein Herz mehr in meine Arbeit stecken können. Das war für mich ganz furchtbar und ich wusste, dass ich damit aufhören muss“, sagt Louisa. Sie gab ihren sicheren Job Mitte Mai auf, ohne etwas Neues in Aussicht zu haben. Ungewissheit macht Luisa keine Angst. „Arbeitszeit ist Lebenszeit. Und das will ich jetzt immer mehr umsetzen“, sagt sie und macht deshalb gerade einfach, wonach ihr ist.
Momentan ist ihr nach Schreiben – und das auf einer Schreibmaschine. Auf dem Wannda-Festival hat sie damit begonnen. Sie schreibt Gedichte für völlig Fremde, die ihr nicht mehr als zwei bis fünf Wörter vorgeben. Heraus kommt Poesie, die bei den Auftraggebern viel öfter und tiefer ins Schwarze trifft, als sie es sich vorher vorstellen können. „Neulich habe ich für ein kleines Mädchen geschrieben. Eigentlich dachte ich, ich kann nicht für Kinder schreiben. Aber als sie ihren Text mitgenommen hat, kam sie später zurück und bedankte sich. In ihren Augen sah ich, dass sie total verstanden hat, was ich ihr sagen wollte“, erzählt Luisa. „Das war ein überwältigendes Gefühl.“
Die Idee zur Schreibmaschinen-Poesie kam Luisa schon vor drei Jahren bei einem Urlaub in New Orleans. „Auf der Straße saß ein Mann mit einer Schreibmaschine, und vor ihm war eine Menschenschlange. Er hat wohl für jeden von ihnen etwas geschrieben. Ich bin nicht mal stehen geblieben. Es war nur ein Augenblick, aber der hat etwas in mir bewirkt“, sagt Luisa. Erst jetzt hatte sie den Mut, es dem Unbekannten gleich zu tun. „Ich habe mich einfach beim Festival mit der Idee gemeldet und das, obwohl ich noch gar keine Maschine hatte“, verrät sie. In einem kleinen Krimskrams-Laden in München unter einem Stapel alter T-Shirts ist Luisa schließlich fündig geworden. Nun kann sie jederzeit schreiben, ganz ohne Strom. „Klar wäre das auch mit Stift und Papier gegangen, aber das Geräusch, wenn ich tippe, ruft in so vielen Menschen Erinnerungen hervor, das ist unbezahlbar“, sagt Luisa.
Bezahlen kann jeder für Luisas Texte so viel er möchte. Um sich ihr Leben ohne feste Arbeit zu finanzieren, hat sie ihre Wohnung untervermietet und schläft gerade bei ihren Eltern. Das macht sie so lange, bis ihr Auto fertig umgebaut ist – es soll bald ihr Zuhause auf der ganzen Welt werden. „Ein Freund hilft mir, aus dem Auto meinen persönlichen Lebensraum zu machen. Ich werde es hinten dämmen und ein hohes Bett einbauen, damit darunter Platz für meine zwei Rucksäcke ist. Außerdem brauche ich einen Wasserkanister und eine kleine Ecke für meine Schreibmaschine“, verrät Luisa über die Inneneinrichtung. Mit Ferdinand – so der Name ihres quietschroten Autos – will sie dann erst einmal nach Schweden. Die vielen kreativen Angebote dort locken sie.
„In Schweden habe ich Projekte gefunden, die ich spannend finde, deshalb will ich mich dort als Helferin melden“, sagt Luisa. Die Projekte, von denen sie spricht, fokussieren sich alle auf das Thema Selbstversorgung in einer neu gegründeten Gemeinschaft. „Mir ist gerade nach Kontakt, und ich möchte etwas mitgestalten“, erklärt Luisa ihre Beweggründe. Kontakt hat sie durch ihre Schreibmaschinen-Poesie viel. In den zwei Wochen des Wannda-Festivals hat sie mehr als 130 Texte geschrieben. Sogar ihre Eltern kamen zwischendurch vorbei, um zu sehen, was ihr Kind treibt.
Luisa ist nicht allein – und doch ist ihre größte Angst, genau das zu sein. „Ich glaube, Angst macht auf die Dinge aufmerksam, die wichtig sind“, sagt Luisa. Auch deshalb trägt sie den Namen ihrer großen Schwester als Tattoo auf dem rechten Unterarm. Ein Leben ohne sie ist für sie unvorstellbar. Gemeinsam hatten sie die Idee, mal ein Café zu eröffnen, deswegen hat Luisa ursprünglich auch Konditorin gelernt, doch dann ist ihre Schwester in die USA gezogen. „Ich freue mich, dass sie das gefunden hat, was sie erfüllt. Und das Café können wir immer noch machen. Jetzt aber will ich erst einmal frei sein und mich ausprobieren“, sagt Luisa.
Wann ihr Trip gen Norden los geht, ist noch nicht sicher. Dass Luisa weiterhin schreiben will, schon. „Beim Schallvagabunden-Festival Mitte Juni bin ich als Helferin eingetragen. Ich möchte den Veranstaltern außerdem vorschlagen, dass ich mit meiner Schreibmaschine komme“, sagt Luisa. Davor will sie auf dem Abenteuerspielplatz eines Freundes arbeiten. „Ich bin ein Freund von Vergänglichkeit und brauche dieses Vagabunden-Dasein jetzt.“ Druck von ihren Eltern oder Freunden hat sie keinen. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater sind selbständig und wissen, was es heißt, Eigenverantwortung zu übernehmen. Viel wichtiger ist es, das Leben aktiv zu gestalten und sich für die Dinge zu begeistern, für die man eine Hingabe in sich entdeckt. Das hat Luisa von ihren Eltern gelernt, umgekehrt das Gleiche aber auch ihre Eltern von ihr.
Im Juli kehrt Luisa zumindest kurz an den Backofen zurück, denn Freunde von ihr heiraten und haben sie gebeten, etwas zum Kuchenbuffet beizutragen. „In diesem Fall fühlt es sich wieder richtig an, etwas zu backen. Ich fühle mich verbunden und habe Lust darauf“, erklärt Luisa. „Ich bin nicht unbedingt entscheidungsfreudig, aber das lerne ich gerade. Dazu gehört für mich, dass ich auf mein Herz höre, und das muss ich immer dann tun, wenn es so weit ist“, sagt Luisa. Und das tut sie auch, wenn sie ihre Texte in die Schreibmaschine tippt. Sie sieht sich den Menschen ihr gegenüber an, lauscht den Worten, die sie ihr sagen und schreibt dann auch, was das Herz ihr sagt.
Text: Isabel Prößdorf
Foto: Florian Peljak