Junges Design für Münchens Nachtleben und Festivals: Simon Jenewein, Louie Gavin, Kilien Heiland, Jakob Ziegler und Julian Kast kreieren Raumkonzepte und Lichtinstallationen für wilde Partys. Die fünf Münchner bilden zusammen die „Naiv Studios“-Crew
Von Amelie Völker
Es wirkt ein bisschen majestätisch, ein Techno-Thron, wenn man so will. Der Bahnwärter Thiel erstrahlt seit diesem Winter in einem anderen Licht, zumindest was den Bereich des DJ-Pults angeht. Darüber hängt eine futuristisch aussehende Lichtinstallation – aus Stahl und länglichen Halogenlampen, die mehrfarbig leuchten: Ein schöner Rundumeffekt, der die Köpfe der tanzenden Nachtschwärmer in verschiedenste Farben taucht. Ein tanzendes Lichtermeer, designt, kreiert und installiert von „Naiv Studios“, einer jungen Münchner Kreativ-Crew. Ihre Mission: Sie wollen dem Münchner Nachtleben einen ganz persönlichen, ansehnlichen Touch verpassen.
Ein kurzer Spaziergang vom Bahnwärter Thiel entfernt: Hinter einer unscheinbaren Tür in einer roten Backsteinmauer liegt das Reich von „Naiv Studios“. Eine Mischung aus kreativer Tüftler-Werkstatt, Atelier und Büro, voll mit Maschinerien, Holzmöbeln und DJ-Pulten. Auf einem Tisch in der Mitte des hohen Raumes liegt an diesem Tag die fast fertige Lichtinstallation, die später im Bahnwärter Thiel angebracht werden soll, für eine Party am gleichen Abend. Von einer höher gelegten Galerie führt eine silberne Rutschstange ins Erdgeschoss, wie in einer Feuerwache. „Falls uns oben eine geniale Idee kommt, die wir sofort bauen wollen“, sagt Simon und lacht. „Es ist reizvoll, sich Dinge auszudenken und sie dann gleich umzusetzen. Wenn ich eine Lampe zeichne, will ich die auch sofort kreieren.“
Auf ebendieser Galerie sitzen die fünf Mitglieder der Crew. Sie hocken an einem Tisch, den sie selbst geschreinert haben. Sie rauchen. Fast alles in dieser Halle ist selbstgebaut: eine Zwischenwand, die Möbel, die DJ-Pulte. Auch die Feuerwehrstange. Ein paar kleine Kakteen und ein Fernseher mit Couchmöbeln in der Ecke sorgen für eine gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre. Ganz klar: Die Crewmitglieder haben sich hier ihr persönliches Zuhause für ihre kreativen Ideen eingerichtet. Simon Jenewein, 24, Louie Gavin, 24, Julian Kast, 23, Kilien Heiland, 23, und Jakob Ziegler, 24 sind „Naiv Studios“. Eine eingeschworene Münchner Crew, die in ihrem Studio eigene Möbel baut, Raumkonzepte und Lichtinstallationen in Clubs oder Bars konzipiert und Bühnenbilder für Festivals kreiert. „Naiv Studios ist der Versuch, einen Raum zu schaffen, in dem Projekte aus unterschiedlichsten Bereichen entstehen und heranwachsen können, die eines vereint: eine naive Herangehensweise“, sagt Louie. „Da klappt natürlich nicht immer alles,“ fügt Simon hinzu, „aber meistens.“
In Zeiten des übermäßigen Konsums und der ständigen Reproduktion ist die
Do-it-yourself-Bewegung inzwischen ein gewisser alternativer Lifestyle geworden – auch wenn die Crew das ganz sicher nicht gerne hören würde. Denn die fünf jungen Männer wollen mit ihrem Design alles andere sein als trendy. Eher individuell, neu und immer anders. Die verwendeten Materialien in ihrem Design sind daher variabel: Sie arbeiteten bereits mit Holz, Stahl, Beton oder Kunststoff. Simon erklärt, die Crew entwickle sich ständig weiter, befinde sich im Prozess und sei offen für Neues. „Durch neue Maschinen kommt auch unser Fortschritt. Das sieht man zum Beispiel an unserer Biegemaschine. Seitdem wir die haben, wurden plötzlich alle unsere Sachen rund,“ sagt Louie und lacht. Auch der Münchner Veranstalter Daniel Hahn, der mit dem Naiv Studios schon länger zusammenarbeitet und befreundet ist, sieht vor allem hier die großen Stärken der Crew: „Es ist sehr schön zu sehen, wie sie die einzelnen Materialien durchleben. Immer wieder entdecken sie neue Strukturen und neues Material für sich und beginnen sich damit auszuprobieren. Dadurch ist ihr Spektrum sehr groß, in dem, was sie machen und mit was sie arbeiten“, sagt Daniel. Zudem sei Naiv Studios ein junges und engagiertes Kollektiv, das Feuer und Flamme für das ist, was es tut. „Die fünf stecken ihr gesamtes Herzblut in ihre Projekte.“
Die jungen Männer kennen sich schon seit ihren frühen Teenager-Jahren. Naiv Studios existiert nun seit gut eineinhalb Jahren. Vor diesem Projekt veranstalteten sie unter dem Namen „Pfandfinderei“ unangemeldete Raves an unterschiedlichsten freien Plätzen in ganz München – inklusive selbst gestalteter Lichtinstallationen und Dekorationen. Auch wenn die „Pfandfinderei“ und ihre Open Airs im Sommer noch existieren: Mit Naiv Studios wollen die fünf Münchner ihr kreatives Treiben nun zum Beruf machen. Ein Stück weit erwachsen werden und dabei trotzdem stets ein wenig naiv bleiben. Schon damals war, so erzählt es zumindest Louie, die Herangehensweise an neue Aufgaben von großer Blauäugigkeit geprägt. Die ersten Bühnen wurden ohne großes Vorwissen mit Stichsäge und Bohrmaschine aus gefundenem Altmaterial gebaut. „Keiner von uns hat eine handwerkliche Ausbildung. Wir bringen uns alles selbst bei“, sagt Simon. Sei es bei Schlosser-, Schweißer- oder Schreinerarbeiten.
Ganz ohne hilfreiche Kenntnisse sind die fünf jungen Männer allerdings nicht unterwegs: Veranstaltungstechnik, Ingenieurwesen, Architektur, Industriedesign oder Innenarchitektur. Die Teammitglieder ergänzen sich mit ihrem Wissen aus verschiedensten Berufsausbildungen. „Wir nutzen unsere unterschiedlichen Ausbildungen und Connections, um über die Plattform Dinge zu erschaffen, auf die wir Lust haben,“ sagt Simon. Gegenseitige Inspiration und Ergänzung also.
Einen großen Teil ihrer Studioarbeit macht das Kreieren von Lichtinstallationen und Bühnenbildern auf Festivals aus: Unter anderem Bühnen auf „Schall im Schilf“, „Sacred Ground“, „Back to the Woods“, „Monticule“ oder „Garbage“ wurden mit dem Design von Naiv Studios bestückt. Ein echter Meilenstein für die fünf war einer ihrer ersten Festivalaufträge, das „Her mit dem schönen Leben Festival“ auf Rügen. „Da wurden wir ziemlich ins kalte Wasser geschmissen,“ sagt Julian und lacht, „da waren wir wirklich extrem naiv.“ Geklappt hat trotzdem alles.
Ein weiterer Teil von Naiv Studios bildet das Nebenprojekt „Naiv Affairs“. Damit wollen die Crewmitglieder ihre erste gemeinsame Liebe wieder aufleben lassen: Das Veranstalten von alternativen Partys in Münchner Clubs, zum Beispiel im „Bahnwärter Thiel“. „Der Großteil von Münchens Nachtleben war uns schon immer zu unpersönlich,“ sagt Jakob, „daher gestalten wir unsere Partys individuell mit unseren Designs. Das Auge feiert schließlich mit!“
Foto: Rubens Ben