Die Weilheimer Band Tiny Tim ist nach einem Exzentriker benannt: dem amerikanischen Pop-Entertainer Herbert Buckingham Khaury. Oder auch einer Figur aus Charles Dickens “A Christmas Carol”. Ihre Musik schmiegt sich jedoch hoch emotional an die Herzen seiner Hörer und ist doch komplexer Pop, der bei allem Understatement der Band in Staunen versetzt.
Exzentrik ist im Pop-Geschäft das, was man haben muss. Allein schon, damit man ein wenig heraussticht. Doch in den meisten Fällen wirkt sich ein gewisser Hang zum Extraordinären auch positiv auf die Kunsterschaffung aus, schlicht weil es abseits der Norm beginnt, spannend zu werden – egal in welchen Bereich man sich befindet. Ein einfaches Rezept. Doch da hört das mit dem Hit und der Berühmtheit nach Rezept auch schon auf. Denn wie diese Exzentrik aussieht, das hängt von Mode, Zeit und Trend ab. Und ob mit der Exzentrik, die um die Künstlerfigur herum gebaut wird, etwas getroffen wird, was einerseits genug Anbindung an die Gegenwart und deren Vorlieben hat, aber andererseits schräg und visionär genug ist, um als Türöffner für die Musik zu funktionieren, dafür braucht es ein kaum erlernbares Gespür. Einfacher ausgedrückt ließe sich da vielleicht von Talent sprechen, das über die musikalische Begabung herausgeht.
Die ursprünglich in Weilheim gegründete Band Tiny Tim (Foto: Matthias Fleischmann) hat dieses Problem geschickt umgangen, indem sie sich einfach nach einem der ganz großen Exzentriker benannt haben. Der amerikanische Pop-Entertainer Herbert Buckingham Khaury alias Tiny Tim war ein wenig der Prototyp der Hipster, bevor es Hipster gab. In engen Karo-Anzügen sang er in fast unerträglich lächerlichem Falsett unerklärlich vielschichtig arrangierte Songs, die zwischen Schönheit, Düsternis und Zirkus schwankten. Tiny Tim ist aber auch eine Nebenfigur in Charles Dickens „A Christmas Carol“. An sich ein unscheinbarer, etwas schwächlicher Junge, aber ganz entscheidenden Einfluss auf die Handlung nimmt.
Mit diesen beiden Polen hat sich das Weilheimer Quartett also die beiden Ausprägungen von Exzentrik im Pop-Biz in den Namen geschrieben: das Schräg-obskure, das sich abseits der Norm positioniert, und sich gleichzeitig hoch emotional an die Herzen seiner Hörer schmiegt. Und das kleine Unscheinbare, dessen äußerliches Auftreten irrelevant ist, und das Welten aus dem Hintergrund heraus bewegt.
Musik, die sich ernst nimmt, kommt bei Tiny Tim aus diesen Kopplungen heraus. Die Musiker lernten sich noch zu Schulzeiten in der Bigband kennen, was ihnen ein Songwriting nahe brachte, das über das Aneinanderfügen von drei Akkorden hinausging. Und auch jetzt haben sie es gerne ein wenig komplizierter, obwohl sie den Jazz-Orchester-Stil längst hinter sich gelassen haben. In einer Indie-Besetzung spielt die Combo um Sänger Adrian Ludwig nun: Gitarre, Bass und Schlagzeug. Doch über die sechs Jahre, in denen sie nun schon zusammen Musik machen, wurde dieses Tonspektrum schließlich zu wenig. Vor einem Jahr erweiterten sie ihre Besetzung um diverse Synthesizer und Sample-Pads. Denn um dem komplizierten, verwobenen und sphärischen Sounds von Bands wie Sigur Ros oder Radiohead, die sie sich zum Vorbild nahmen, entsprechen zu können, braucht es mehr Klangfarben. Sonst würden die Songs ja auch gar nicht über eine Länge, die über das gängige Drei-Minuten-Schema hinausgeht, tragen. Und das alles ist erst einmal überhaupt nicht exzentrisch. Doch zu diesem College-braven und hochwertigen Edel-Pop-Einfluss mögen sie halt einerseits auch den Jazz eines Charles Mingus und andererseits den Hipster-Zukunftsentwurf von Soul der Australischen Band Hiatus Kaiyote. Und da Tiny Tim sich als Band so wahnsinnig unscheinbar und uninszeniert gibt, breitet sich all diese Exzentrik und der Wille, möglichst viel zu verkleben, in ihrer Musik aus. So veröffentlichten sie bisher jazzige Orgel-Licks vermischt mit Komplex-Pop und braven Indie-Riffs dazwischen. Am Mittwoch, 30. September, treten sie damit im Münchner Cord-Club auf.
Stil: Komplexer Pop
Besetzung: Adrian Ludwig (Bass,
Gesang, Synthesizer), Julian Jaser (Gitarre), Joscha Arnold
(Synthesizer), Ludwig Wandinger (Schlagzeug, Pad)
Aus: Weilheim / München
Seit: 2009
Internet: www.tiny-tim.bandcamp.com
Rita Argauer
Foto:
Matthias Fleischmann