Die Münchner Interpretin Claire Jul hat eine spannende Wandlung gemacht: Sie lernte einst Kirchengesang und coverte die Beatles. Heute arbeitet sie mit DJs zusammen und macht Elektro-Neo-Soul. Am kommenden Montag erscheint das Musikvideo “Finally Alone”.
Manchmal hängt es an einem Song. Und das sind dann die Aschenputtel-Geschichten des Pop-Business, die einen Künstler ganz schnell weit hochkatapultieren. Obwohl er sich das ganze Abarbeiten an dem, was vielleicht ein Trend sein könnte oder einer werden könnte, also schlicht dieses ewige Suchen und Hinterherrennen und trotzdem Nichtankommen, gespart hat. So eine Aschenputtel-Geschichte ist immer schön und erfrischend, denn derzeit gilt bei den Musikmanagern und Produzenten die langweilige Devise: Was heute unter den Indies und bei den Hipstern als schick gilt, ist morgen Mainstream. Und dann holen es sich die Indies und Hipster zurück, um es sich mit ironietriefenden Blicken neu anzueignen und erneut als Undergroundästhetik zu verkaufen. Was der große Mainstream früher oder später wieder aufgreifen wird. Ein ewiger Kreislauf, der für ästhetisch minimale Verschiebungen sorgt, aber größtenteils auf der Stelle tritt.
Und dann gibt es die paar Underground-Musiker, denen all diese Codes total egal sind, und die eben hoffentlich märchenhaft alle Hürden hinter sich lassen – mit dem einem großen Song. Die Münchner Musikerin Claire Jul hat so einen Song. „Midnight“ heißt der, veröffentlicht innerhalb einer EP namens „Almost, hopefully soon…“. Es ist der Song, der einen dazu bringt, die EP nochmals zu hören; der in sachte anderem Gewand gegen Ende des ohnehin recht genüsslichen Hörens dieser Song-Sammlung aufpoppt und das gesamte zuvor Gehörte in ein neues Licht taucht. „Midnight“ hat einen verwunschen-unkonkreten Charakter, unter dem herausragende Musik und schönste harmonische Gestaltung liegt. Ein Song, der gleichzeitig hoffnungsvoll wie melancholisch ist. Ein Song, der der schönste Soundtrack für einen Sommerabend ist, vor allem deshalb, weil er das Wissen in sich trägt, dass es auch kühlere Zeiten gibt. Und da braucht man gar nicht viel herumzuspekulieren, warum gerade dieser Song diese besondere Atmosphäre trägt – das versuchen Hit-Schreibe-Ratgeber und das funktioniert nie. So ein Song ist ein künstlerischer Glücksgriff.
Dass sich Claire Jul, die dieses Pseudonym aus ihren drei Vornamen Claire Isabelle Julie zusammenbaut, aber überhaupt in der Lage befindet, potenziell solche Songs schreiben zu können, ist kein Zufall. Die heute 21-Jährige hatte klassischen Klavierunterricht, hatte begonnen, Kirchengesang zu lernen, und gründete mit 15 Jahren ihre erste Beatles-Coverband. Dann lernte sie beim Westend-Jam auf der Schwanthalerhöhe Blues-Improvisation – alles ganz klassische Band-Erfahrungen. Die sie jetzt nicht mehr braucht, denn jetzt arbeitet sie mit DJs zusammen und ist im Elektro-Neo-Soul gelandet. Doch man hört der Produktion an, dass es da mal eine Band gab: Etwa in der Single „Finally Alone“, da groovt ein synthetischer Bass so, als würde er von einem Menschen gezupft, das lebt und hat gleichzeitig die kühle Atmosphäre elektronischer Instrumente.
Von solchen Ambivalenzen lebt diese Musik: „Finally Alone“, zu dem sie am Montag, 1. August, ein erstes Musikvideo veröffentlichen wird, ist eine euphorisch-durchgeknallte Up-Tempo-Nummer mit depressivem Text. Sowieso herrscht in ihrer Musik allgemein eine ziemlich düstere Grundstimmung: „In der Musik verarbeite ich viel das Thema der Frau in der heutigen Gesellschaft, bezogen auf ihre Sexualität, Minderwertigkeitskomplexe oder Orientierungslosigkeit der Jugend“, erklärt sie, „You’re never gonna see yourself clearly“ sei ihr programmatischer Satz dazu. Und was bleibt davon: So ein Glück, dass sie – die sich auch in dem Benefizprojekt „Music for Education“ engagiert – all diese Verwirrung in so flirrende Songs zu schreiben vermag.
Von: Rita Argauer