Die Band
Famous Naked Gipsy Circus blickt musikalisch in eine vergangene Zeit, ihr Stil: Sixties Rock’n’Roll. Jahrelang haben sie an ihrem
Debüt-Album
gearbeitet- „Pearls”stellen sie nun am 10. Juli im Muffatwerk vor
Der Name ist eine Zumutung: Da wird munter mit den zum Glück längst überholten Völkerschauen gespielt. Die waren in Mitteleuropa vor allem zur Kolonialzeit beliebt – als man, von ekelhafter Hybris überkommen, Länder für sich beanspruchte und deren Ureinwohner nach Europa karrte, um sie dem braven Bürgertum vorzuführen wie exotische Tiere im Zoo. Die bärtige Frau, der Kleinwüchsige und der Seemann waren die Nachbarn dieses verwerflichen Kuriositätenkabinetts. Politisch und moralisch weniger korrekt geht es kaum. Solche Shows hatten ihre große Zeit Ende des 19. Jahrhunderts. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden sie – zurecht – immer seltener. Dennoch hat diese Art Menschenzoo auch eine künstlerische Tradition. So lässt es sich etwa Alban Berg nicht nehmen, seine Lulu, „das schöne wilde Tier“, in der gleichnamigen Oper als einen Freak zum Angaffen einzuführen. Und in der Münchner Popszene gibt sich der Famous Naked Gipsy Circus (Foto: Peter Alexander Rapp) einer ähnlichen Faszination hin.
Das Quintett bezieht sich auch musikalisch auf eine vergangene Zeit und schafft sich so vielleicht auch etwas Abstand zu der frevelhaften Lust am Gaffen; auch wenn der Rock ’n’ Roll der Sechzigerjahre, dem sie sich verschrieben haben, eigentlich noch zu jung ist für die historisch korrekte Begleitung einer Freak-Show. Für die heutigen Hipster-Kids klingt das dennoch alt – und damit genau richtig. Selten wirkte ein Hipstamatic- oder Instagram-Filter passender als auf der Homepage der Musiker. Und die wissen damit zu spielen: Wenn sie sich nicht gerade in Posen zeigen, die auch auf der Bühne eines kalifornischen Wüstenfestivals sein könnten, posten sie Fotos von Palmen (natürlich in warmen verwaschenen Farben, selbst Technicolor ist da noch weit entfernt).
Der Münchner Alltag der Band schaut da jedoch gegenteilig aus: Um sich das bedingungslose und hingebungsvolle Rock ’n’ Roller-Leben ohne großes Label, ohne Pop-Business und ohne Platten-Vertrag leisten zu können, zogen die Musiker in eine gemeinsame WG. Mit so wenigen Zimmern, dass sie ganz Schullandheim-mäßig in Stockbetten schliefen. Doch der Fokus liegt auf der Musik, nicht auf Privatsphäre. Und außerhalb ihrer Komfort-Szene arbeiteten sie nun unermüdlich, verbissen und richtig lange an einem Debüt-Album. „Pearls“ haben sie es genannt, nun erscheint es nach fünfjähriger Bandgeschichte. Ganz unspektakulär stellen sie es auf der sommerlichen Festival-Tour vor, die nun ansteht. Gerade in Fürstenfeldbruck beim Halt-Festival, beim Stadtfest Wasserburg und in München beim Sommerfest des Muffatwerks am Freitag, 10. Juli.
Dass sie sich so lange dafür Zeit gelassen, dass sie verschiedene Studios ausprobiert haben und Besetzungswechsel durchstehen mussten, zeugt davon, dass ihr eigentliches Interesse wirklich nur der Musik gilt. Und das hört man: Denn so nostalgisch das alles ist, mit den Blues-Skalen und den fallenden Akkorden, dem ausgestellten Gesang und dem hektischen Loslaufen der Songs, so detailreich und präzise ist das komponiert.
Und letztlich stellen sie sich selbst aus, als Gezeichnete einer Pop-Welt, die derzeit nur mehr immer weiter zurückblickt als eine eigene Sprache zu erfinden. Das ist zwar nun weit nicht so diskriminierend wie eine Freak-Show oder Alban Bergs arme Lulu – auch weil sich die Musiker das ja selbst ausgesucht haben. Aber ob das nun schon feine Ironie oder noch unbedingte Hingabe ist, das ist beim Famous Naked Gipsy Circus nie ganz klar. Doch das Schwanken, das dadurch durch die Retro-Musik der Band läuft, zeigt sich als spannende Verunsicherung.
Stil: Sixties-Rock’n’Roll
Besetzung: Mat Kokesch (Gesang, Gitarre), Daniel Rapp (Solo-Gitarre), Dario Krajina (Bass), Alexander Petri (Schlagzeug), Christoph Fendt (Orgel)
Aus: München
Seit: 2010
Internet: www.fngc.de
Rita Argauer
Foto:
Peter Alexander Rapp