Zu Fuß ins Glück

Sandro Langholz, 27, ist seit einem Jahr unterwegs, um eine neue Form des Lebens zu finden. Genügsam. Sozial. Umweltbewusst. Mit dem Begriff Konsumkritik tut er sich trotzdem schwer.

Sandro Langholz, 27, ist auf der Suche. Auf der Suche nach einer neuen Lebensform und einem neuen Lebensort. Seine Kriterien? Nachhaltig und glücklich will er leben, „Sustain Happylity“ erreichen, wie es Sandro nennt.

Um dieses Glück zu finden, ist der gebürtige Freisinger vor etwas mehr als einem Jahr zu einer Reise durch Bayern und Österreich zu Selbstversorgerprojekten und Ökodörfern aufgebrochen: zu Fuß, nur mit einem kleinen Handwagen – gefüllt mit einem Wurfzelt, Schlafsack, Isomatte, ein paar Klamotten, seiner Kameraausrüstung zur Dokumentation der Reise und einem Strohhut. Vor seinem Abmarsch im Juni 2014 hat er vor seiner ehemaligen WG in Pasing ein erstes Video aufgenommen. „Ich fange gerade an zu realisieren, dass das jetzt alles ist, was ich in der nächsten Zeit haben werde, mit dem ich auskommen muss – aber so richtig klar werden wird mir das erst auf dem Weg“, sagte er damals in dem Film. Er ist barfuß, trägt Shorts und ein Karohemd zu verstrubbelten blonden Haaren und einer viereckigen Brille mit schmalem Gestell.

Heute, etwas mehr als ein Jahr später, erinnert er sich: „Als ich losgezogen bin, war es ein so wahnsinnig tolles Gefühl von Freiheit“, sagt er. Doch nicht nur seine Habseligkeiten ließ Sandro zurück – auch sämtliche Pflichten waren passé. Erst kurz zuvor hatte er sein Studium des Managements sozialer Innovationen an der Hochschule beendet und die Abschlussarbeit – einen Film über ein Selbstversorgerdorf in Südösterreich – abgegeben. Dieser Film hatte ihn auf die Idee der Reise gebracht. Fünf Monate hatte er dort gelebt und sich bei diesem ersten Kontakt für das Selbstversorgerleben begeistert. „In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich nicht weiter in der Stadt leben will.“

Auch hat er sich während seines Studiums viele Gedanken über die ökologischen Folgen seines Lebens gemacht und ist für sich auf eine einfache Formel gestoßen, um möglichst wenig Schaden zu hinterlassen: Genügsamkeit und Bewusstsein für die Umwelt. „Wenn man selbst etwas anpflanzt, Samen in den Boden steckt und dann wächst es und du kümmerst dich darum – und schließlich kannst du etwas ernten. Da spürt man die Verbindung zur Natur, die ich zumindest nicht merke, wenn ich im Supermarkt etwas kaufe, das in Plastik verpackt ist“, sagt er. So machte er sich auf die Suche nach einer passenden Gemeinschaft von Gleichgesinnten.

Vor Reisebeginn informierte er sich zwar über ökologische Gemeinschaftsprojekte und erstellte eine grobe Route, einen genauen Zeitplan gab es aber nicht. 

Die geringen Reisekosten deckte er mit Erspartem und dem Arbeiten für Kost und Logis. Auf dem Weg ernährte er sich tagsüber von kalten Mahlzeiten – den mitgebrachten Campingkocher brauchte er gar nicht. Abends schlug er sein Zelt auf, schlief in den kalten Nächten mit Mütze und Jacke. Aber auch vor Ort zog er auf den Grundstücken der Familien und Gemeinschaften manchmal das Zelt vor, um seinen privaten Bereich zu haben. Acht Stopps bei Selbstversorger-Gemeinschaften legte er während eines Jahres ein und blieb von einem Tag bis hin zu acht Monaten. Seine Entscheidungen fällte er spontan, je nachdem, wie sehr ihn die Gemeinschaft oder die Methoden der Selbstversorgung interessierten. Sandros Reise ist ganz klar keine Kopfsache – die Entscheidungen fallen alle nach Bauchgefühl.
 Als es im Zelt doch zu kalt wurde, kam er im Winter dauerhaft bei einer Kommune unter, deren Mitglieder zwischen Ende 20 und 60 Jahren alt sind – und blieb sogar über die eisige Zeit hinaus in der alten Holzmühle 120 Kilometer nordwestlich von Wien. Die insgesamt acht Monate bei den „Zwetschgen“, wie sich die österreichische Selbstversorgergruppe nennt, waren neben der guten Gemeinschaft auch der Liebesgeschichte mit einer der Bewohnerinnen geschuldet, verrät er.

Beim plötzlichen engen Leben mit Fremden zeigten sich schnell die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede in den Vorstellungen. „Aber ich konnte ja leicht weiterziehen, wenn ich das Gefühl hatte, dass es nicht so ganz zu meinem Entwurf passte“, erklärt Sandro.

Auch wenn er auf seiner Reise bisher noch nicht den Ort zum Bleiben gefunden hat, war ihm doch nach jedem Aufenthalt klarer, wonach er sucht – und wonach eben nicht. So weiß er jetzt, dass ihm das Zusammenleben unter einem Dach zu nah ist. Mittlerweile könnte er sich das Leben in einem Ökodorf in nachbarlichen Verhältnissen gut vorstellen. Arbeiten würde er gerne als Filmemacher und als erstes Projekt einen Dokumentarfilm über seine Reise erstellen. Er ist sich aber auch als Handwerker oder Altenpfleger nicht zu schade – „was auch immer in der jeweiligen Gemeinschaft gebraucht wird“, sagt er und lächelt zuversichtlich.

Über solche privaten Überlegungen schreibt er auch in seinem Blog „SustainHAPPYlity“. Mit der Internetpräsenz möchte er andere für ein konsumarmes Leben begeistern, indem er es ihnen auf sehr persönliche Weise, fast tagebuchartig, in Texten und Videos vorstellt. Mit dem Begriff Konsumkritik tut er sich trotzdem schwer: „Ich sehe zwar viele Probleme in der Herkunft und Verteilung unserer Lebensmittel, will aber niemanden persönlich verurteilen“, erklärt er. „Das, was ich tun kann, ist herauszufinden, was für mich gut ist, und zu versuchen, andere zum Nachdenken zu bringen.“

Und was ist nach mehr als einem Jahr vom Freiheitsgefühl zu Beginn der Reise übrig geblieben? Materiell vermisst Sandro bis heute nichts, er hat sogar noch Dinge aus seinem spärlichen Gepäck verschenkt. Nur seine Freunde und Familie fehlen ihm. „Das hatte ich nicht so stark erwartet“, gibt er zu. Doch von der Weiterreise kann ihn das nicht abhalten. Er ist immer noch zu Fuß unterwegs, immer noch auf der Suche – vielleicht bald in Italien oder Südfrankreich. Ein zeitliches Limit hat Sandro sich selbst nicht gesetzt: „Ich bin einfach so lange unterwegs, bis ich einen schönen Ort für mich finde.“

Elisabeth Kagermeier


Foto: Sandro Langholz