Zeichen der Freundschaft: Pechvögel

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Elli und Barbara retten sich gegenseitig immer wieder. Egal ob das Handy mit wichtigen Flugdaten kaputt geht oder sie wegen Zahnschmerzen nicht schlafen können – gemeinsam stehen sie alles durch.

Ich putze gerade meine Fenster als mein Handy piepst. Über die Schulter
hinweg werfe ich einen Blick auf das Display. Eine Nachricht von Ellis Mutter.
Was ist denn jetzt wieder passiert, frage ich mich und unterbreche meine
Putzaktivitäten. Um das gleich vorab zu sagen: Elli ist ein Pechvogel. Und ganz
zufällig leiste ich ihr da oft Gesellschaft.

Schon im Kindergarten passierten
mir die merkwürdigsten Sachen. Dass die anderen Kinder eines Tages in meiner
Umhängetasche einen uralten, längst vergessenen Schnuller entdeckten und mich
stundenlang auslachten, ist nur eines von unzähligen Beispielen. Wie froh ich
war, als ich Jahre später auf der Fachoberschule auf Elli traf. Instinktiv
wusste ich, die ist auch so wie ich. Genauso verträumt, genauso verplant und anscheinend
ebenso sehr vom Pech verfolgt.

Aber zurück zur Handynachricht: Ellis Mama
schreibt, das Handy ihrer Tochter sei auf unerklärliche Weise kaputt gegangen.
Aber Elli fliegt heute Abend nach Rotterdam und die Flugdaten sind alle auf dem
Handy gespeichert. Das hat Elli ihrer Mutter in einem zweiminütigen
Telefongespräch am Münztelefon mitgeteilt – ehe die Verbindung abgebrochen ist.
Ich soll nun eine Freundin anrufen, mit der sich Elli später treffen will. Die
könnte ihr mit diesem Problem vielleicht weiterhelfen.

Die Freundschaft zwischen Elli und mir ist ein Geben und Nehmen: Sitzt eine
in der Patsche, muss die andere eingreifen. Das Gute ist, dass wir selten
gleichzeitig in eine blöde Lage geraten. So haben wir die Möglichkeit, uns
gegenseitig zu helfen. Oder zumindest die beruhigende Stimme des anderen zu
hören. Letztens erst erinnerten wir uns bei einer Tasse Kaffee gemeinsam an
einen von Ellis dunkelsten Tagen: Der Tag der Sportprüfung im Hochsprung.

„Extra eine Sportlehrerin hat Mama für mich aufgetrieben“, sagt sie heute noch
wehmütig. Das Hochspringen hätte sie bis zum Erbrechen geübt. Ihre Mama sei so
stolz auf sie gewesen. Leider fiel Elli während einer ihrer drei Sportprüfungen
auf die Schnauze, sodass sie aufgrund ihrer blutenden Nase für die Hochsprung-Prüfungen
gar nicht mehr zugelassen wurde. „Einmal fünf, zweimal sechs“ lautet Ellis
Schlussplädoyer, während sie mit hängendem Kopf in ihrer Kaffeetasse rührt. Ich
nicke ihr solidarisch zu und deute auf mein Kinn.

Der Weißheitszahn macht
wieder Probleme. Da fiel uns beiden die Geschichte ein, als ich eines Nachts
mit starken Zahnschmerzen halb München zu Fuß durchquerte, weil ich den Bus
verpasste. Am selben Abend übernachtete Elli bei mir, um mich von meinen
Zahnschmerzen abzulenken. Kein Auge hatten wir zugemacht. Ich vor Schmerzen,
Elli wegen meines Gejammers. „Barbara, wir müssen versuchen, zu schlafen, ehe
mein Wecker klingelt“. Eine Sekunde später bimmelte der Wecker bereits. Dass
der frühe Morgen bereits hereingebrochen war, hatten wir nicht einmal bemerkt.

Ohne Elli hätte ich die nächste Nacht wahrscheinlich nicht einmal überlebt. In
Extremsituationen sind wir immer füreinander da. Ich, wenn ihr Geldbeutel
gestohlen wird, und sie wenn, ich die Anmeldefrist für eine Prüfung versäumt
habe. Bei Elli fühle ich mich verstanden, sie kann nachvollziehen, dass mich
bei meinen Missgeschicken zu 99 Prozent keine Schuld trifft.

Und an guten Tagen, an denen wir keine Unfälle, keine
Verletzungen oder verstörende Momente haben, amüsieren wir uns über unsere
kleinen Anekdoten, die wir in all den Jahren so reichlich gesammelt haben. Denn
über sich selbst lachen zu können, ist auch etwas, was uns verbindet.

Von: Barbara Forster

Foto: Yunus Hutterer