Zeichen der Freundschaft: Nachtschwärmer

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Zwei Freunde, die sich gerne gegenseitig auslachen und gemeinsam durch die Nacht ziehen. Und das wird immer dann besonders schön, wenn die Bar zu hat. Wenn man nicht so recht weiß, wohin.

Licht aus. Noel klopft an die mit Stickern übersäte Holztür.
Sie ist abgeschlossen. Licht aus. Ich springe vom einen Bein aufs andere, weil
mir so kalt ist. Ein zu langer Spaziergang durchs Glockenbachviertel, davor zu
viel Hirschkuss an der Reichenbachbrücke, der uns jetzt auch nicht mehr warm
hält. Und jetzt das. Wie zwei Ausgestoßene stehen wir auf dem kalten
Bordsteinpflaster. Blicken in den leeren, dunklen Couch Club.

Es ist Montagabend, Geisterstunde. Die meisten Menschen
sitzen zu diesem Zeitpunkt wohl gemütlich vor einem flimmernden Fernseher, eine
Riesentasse heiße Schokolade in den Händen. Aber Noel und ich, wir können das
nicht. Wenn sich die Menschheit hinter den eigenen vier Wänden verschanzt,
beginnt unser nächtliches Abenteuer. Die Zeit mit ihm wird immer zu einem heimatlosen
Streifzug durch verlassene Straßen und Plätze, durch alte Geschichten und ferne
Zukunftspläne, zu unbekannten Menschen oder Orten. Viele dieser Abende haben
sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Weil es eigentlich noch nie zweimal denselben
gegeben hat.

Noel und ich kennen uns schon seit der F-Jugend und trafen uns dann Jahre später im Tischtennis-Verein wieder. Doch erst seit dem ersten Nachmittag auf dem Bolzplatz mit anschließender Mario-Kart-Runde sind wir ein wenig unzertrennlich geworden. Er lacht mich gerne aus.  Wenn ich mal wieder zugeben muss, dieses oder jenes vergessen zu haben oder erneut einen phänomenalen Fehlpass im Fußball schlage.  Und ich lache dann immer mit. Weil wenn Noel lacht, klingt das ein wenig wie ein aufgeblasenes Nilpferd mit Schluckauf. Ich verstehe seine Art des Durchgeknalltseins, weil ich auch ein bisschen so ticke und wir oft denselben Drang nach Alltagsflucht verspüren.

Im vergangenen Sommer trafen wir uns regelmäßig abends an
der Isar und setzten uns bei willkürlichen Lagerfeuerrunden mit dazu. Erkauften
uns quasi die Gesellschaft mit mitgebrachtem Bier und Rum-Cola. Dann kam der
Herbst. Es zog uns beide raus in die Welt- ihn nach Australien und Thailand. Mich
nach Ostafrika. Doch schon vor unserer Rückkehr ist uns klar gewesen, dass wir
unser Nachtritual fortsetzen müssen. Das schönste am Verreisen ist doch, wiederzukommen
und zu merken, dass sich eigentlich nichts verändert an der Freundschaft. Trotz
all der Monate und all der Kilometer.

An der Isar sind wir nun kältebedingt die einzigen. Als die
Flasche Hirschkuss leer ist und unser Brennstoff verpufft machen wir uns auf,
durch ein ausgestorbenes Montagnacht-München. Über unendliches
Kopfsteinpflaster, auf dem wir beide so viel Leben finden können. Ich glaube
wir sind gleichermaßen ein wenig mehr Nachtschwärmer als Tagdenker. Wir  finden genau dann immer so richtig zueinander
wenn die Bar überraschend zu hat und der weitere Verlauf des Abends völlig
unklar ist. Mal laufen wir stundenlang an Laternenlichtern vorbei, in jenen
spätnächtlichen Gesprächen über Philosophie vertieft. Oder es verschlägt uns an
die alten Bahngleise beim Schlachthofviertel.
Dort steht immer irgendeinen alten Güterzug auf dem Abstellgleis, auf
dem man wunderbar Sterne gucken kann.  

Mit Noel durch die Straßen zu streifen, ist wie dem Pendel
der Zeit beim Innehalten zuzusehen. Alles wirkt dann deutlich langsamer,
verläuft so viel ungeplanter wie sonst. Es gibt ja dann immer noch die eine
Seitenstraße, die noch interessanter wirkt als die davor. Und die davor. Und so
setzen wir unseren heimatlosen Nachtspaziergang fort.

Von: Louis Seibert

Foto: Yunus Hutterer