Bei Erasmus-Aufenthalten entstehen oftmals ganz besondere internationale Freundschaften. Eine solche hat unsere Autorin bei ihrem Studium in Schweden mit ein bisschen Glück und Zufall auch gefunden.
Es ist eisig kalt. Bibbernd und Zitternd stapfe ich in
meinen dicken Fellstiefeln zur S-Bahn. Meine Hände stecke ich tief in die
Taschen meiner extra warmen Fjällräven-Daunenjacke. Die habe ich seit meinem Erasmusstudium
im bis zu -26 Grad kalten Winter Stockholms nicht mehr aus dem
Schrank geholt. Und da spüre ich es. Etwas kühles, glattes, das gegen meine
Fingerspitzen stößt. Ich ziehe das flache und glänzende Ding heraus und fühle
mich sofort an den ersten Tag in Stockholm zurückversetzt.
Der „Welcome-Day“ auf
dem mir noch ziemlich unvertrauten Campus der Stockholm University. In dem bunten Getümmel der Erasmusstudenten
in der großen Aula fühle ich mich fremd, unsicher und vor Allem eines: Alleine.
Meine Gedanken schweifen ab in die Heimat, nach München, zur
LMU. Meine liebgewonnen Mitstudenten haben sich sicherlich genau in diesem
Moment lachend und tratschend einen Kaffee am U-Bahn-Kiosk geholt und machen
sich gemeinsam auf den Weg ins nächste Seminar. Erst ein bisschen später fällt
mir auf, dass ich ja auch in der LMU einmal ein ganz ähnliches
Fremdheits-Gefühle hatte.
Ich lasse meinen Blick über die Masse der internationalen
Studenten schweifen. Dabei erkenne ich neidvoll,
dass sich viele bereits so angeregt und unbekümmert miteinander unterhalten,
als wären sie schon Jahrelang die allerdicksten Freunde. Mir schießen gut
gemeinte Ratschläge durch den Kopf. Ehemalige Erasmus-Studenten hatten sie mir mit
auf den Weg gegeben: „Häng lieber nicht so viel mit deutschsprachigen Leuten
rum, du bist schließlich im Ausland, deutsch sprechen kannst du auch daheim. “
oder: „An einer ausländischen Uni zu
studieren ist nicht einfach, zu viele Party-wütige Erasmus-Freunde zerstören
dir deinen Noten-Durchschnitt“.
Werde ich letztendlich einsam, Freunde-los und ohne jegliche
Zugehörigkeit meinen Erasmus-Aufenthalt überstehen müssen? Um zu überprüfen, ob
man mir diese ängstlichen Gedanken ansieht, mache ich mich auf den Weg zur
Toilette. Dort kommt es zu einer dieser zufälligen Begegnungen, die ich so am
allerwenigstens erwartet hätte: Eine italienische Erasmusstudentin versucht
verzweifelt und laut schimpfend ihre Toilettentür zu entriegeln. Der Moment, in dem ich sie mithilfe einer
schwedischen 10-Kronen-Münze aus ihrem Gefängnis befreit habe, legt den
Startschuss zu meiner ganz besonderen Erasmus-Freundschaft. Lara, eine quirlige
Mathematikstudentin aus Mailand, die immer gleich sagt was sie denkt, fällt mir
sofort um den Hals. Ihr liebenswerter italienischer Akzent lässt mich augenblicklich
schmunzeln. Von nun an vergeht kein Wochenende, an dem wir nicht gemeinsam
unterwegs sind. Schnell ist der Lieblings-Burger-Laden gekürt oder eine Nacht
bis zum Morgengrauen durchgetanzt. Und plötzlich fühlt sich diese Stadt gar
nicht mehr so fremd an.
Aus diesem ersten Tag und auch in der gesamten, aufregenden
Zeit in Stockholm habe ich gelernt, dass es keine Rezepte für das Finden und
Festhalten von Freundschaften gibt. Und dass man auch immer ein bisschen auf
den Zufall und das Glück vertrauen muss, die Menschen zu finden, die einen auch
an zunächst fremden Orten vorm Allein-sein bewahren.
Bevor meine nackten Hände noch
blau werden vor Kälte, stecke ich sie zusammen mit der 10-Kronen-Münze schnell
wieder in meine Manteltasche. Die S-Bahn-Fahrt werde ich nutzen, um Lara eine
Sprachnachricht zu schicken, so beschließe ich. Denn auch wenn inzwischen
wieder viele Kilometer zwischen uns liegen, so fühle ich mich ihr gerade wieder
so nah wie damals, als uns eine 10-Kronen-Münze die Tür zu unserer
Freundschaft öffnete.
Text: Amelie Völker
Foto: Yunus Hutterer